Entlang der Straße der Romanik kann man in Memleben und Merseburg neuerdings auch in die Zeit der Ottonen eintauchen.
Die Spurensuche im Kernland deutscher Geschichte entlang der Straße der Romanik, die gerade ihr 25-jähriges Bestehen feiert, ist keineswegs eine trockene Angelegenheit. Im Gegenteil. An den milden Ufern der Unstrut befanden sich bereits 998 urkundlich von Otto III. erwähnte Weinberge. Deutschlands nördlichstes Weinanbaugebiet im heutigen Sachsen-Anhalt spielte damit bereits vor 1000 Jahren eine wesentliche Rolle, als die sächsischen Herzöge der Luidolfinger beziehungsweise Ottonen von ihrem Stammland aus als Könige und Kaiser das Heilige Reich einigten.
Mitte des 12. Jahrhunderts existierten in der Region nachweislich 58 Weinberge, die pro Jahr 200000 Liter Wein erzeugten. Heute umfasst die historische Terrassen-Weinlandschaft an Saale und Unstrut 765 Hektar und inklusive Thüringen 42 Lagen. Während der Weinbau die Zeitläufte überdauerte und sich gerade in den letzten 25 Jahren wieder rasant entwickelt hat, erschließt sich das Erbe seiner ursprünglichen Betreiber, der Klöster, erst auf den zweiten Blick. Die Dichte an Klöstern und Stiften, wie sie in Mitteldeutschland vorhanden war, suchte im mittelalterlichen Reich ihresgleichen. Die Klosterlandschaft besonders an Saale und Unstrut wieder neu zu entdecken ist somit überfällig.
Dass die Zeitreise ins Mittelalter jetzt in dem „Flecken“ Memleben stattfindet, ist kein Zufall. War das einstige Benediktinerkloster zu Zeiten Ottos II. doch zum Reichskloster erhoben worden und damit den mächtigen Reichsklöstern Fulda und Reichenau rangmäßig gleichgestellt. Memleben, rund 35 Kilometer nordwestlich von Naumburg gelegen, träumt heute vergessen inmitten fruchtbaren Ackerlandes vor sich hin, während der Nachbarort Nebra durch den Fund der bronzezeitlichen Himmelsscheibe bereits wachgeküsst wurde.
Im 10. Jahrhundert entstanden die ersten selbstständigen Klöster in der Saale-Unstrut-Region. Den Anfang machte 963 die Gründung eines Benediktinerklosters im acht Kilometer von Memleben entfernten Bibra. Memleben war zu dieser Zeit eine bedeutende Pfalz, von der sich – wie in Merseburg – bisher allerdings keine Überreste finden ließen. Dafür ist Memleben als Sterbeort von sowohl König Heinrich I. († 936) als auch von seinem Sohn Otto I. († 973) unauslöschlich in die Geschichte eingegangen. Die royalen Gebeine wurden danach nach Quedlinburg beziehungsweise Magdeburg überführt.
Schon Otto I. stiftete für den verstorbenen Vater eine Maria geweihte Monumentalkirche. Neben wenigen Mauerresten beeindruckt bis heute der mit Steinen markierte Grundriss der gewaltigen romanischen Basilika. „Schon lange bevor Otto in Magdeburg große politische und bauliche Pläne verfolgte, hat er in Memleben mit der Königsbasilika den Gründungsbau der imperialen Klosterbaukunst des deutschen Mittelalters geschaffen“, schreibt Kunsthistoriker Christian Antz.
Dann stiftete Otto II. mit seiner Gattin Theophanu am Sterbeort von Vater und Großvater um 979 ein Benediktinerkloster. Es sollte sowohl der Memoria an die Familie dienen als auch dem Herrscher eine politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Stütze sein. Zu Zeiten, wo Staat und Kirche untrennbar miteinander verbunden waren, wo das Wissen der Geistlichkeit und die Macht der Herrscher eine Symbiose bildeten, waren Klöster unverzichtbar und deren Aufgaben und Besitz genauestens geregelt.
Eindrucksvolle Belege sind die in Memleben ausgestellten historischen Dokumente. Ein besonderes Kleinod sind darunter die nach 799 verfassten althochdeutschen Benediktinerregeln aus dem Kloster St. Gallen, die hier zum ersten Mal öffentlich ausgestellt sind. Unter den etwa 60 Exponaten zum Thema Staat und Kirche im Allgemeinen und Memleben im Besonderen gehören eine bei Erfurt gefundene Scheibenfibel mit griechischem Kreuz aus dem 7. Jahrhundert und eine Brakteat genannte Münze mit König Otto IV. und Abt Jo-hann I. aus Hersfeld von 1201–13.
Jüngstes Objekt ist eine leider stark verblasste Schinkelzeichnung der Klosterruine Memleben. Nachdem Preußen auf dem Wiener Kongress einen Teil Sachsens und Thüringens erhalten hatte, wurde Karl Friedrich Schinkel beauftragt, das künstlerische Erbe zwecks Erhaltungsmaßnahmen zu beurteilen. Damit wurde der Baumeister zum Begründer der Denkmalpflege in Mitteldeutschland und Retter von Memleben.
Kaiser Otto III., Sohn Ottos II., hatte die Tradition der Ottonen für die Pfalz und das Kloster Memleben fortgesetzt. Ebenso sein Nachfolger Heinrich II., der 1002 an die Regierung kam. Im Jahr 1015 entzog dieser dem Kloster jedoch alle Rechte und unterstellte es als Propstei dem Kloster Hersfeld, um im Gegenzug Güter für das neue Bistum Bamberg zu erhalten. 1548 wurde das Kloster aufgehoben. Romantische Erinnerung sind die Ruinen der frühgotischen zweiten Klosterkirche, vor allem aber deren perfekt erhaltene spätromanische Hallenkrypta.
Unter den elf Korrespondenzorten der Ausstellung befinden sich so unterschiedliche wie Zscheiplitz und Pforte. Während in Zscheiplitz neben dem alten Klosterkirchlein heute das Qualitäts-Weingut Pawis zur Einkehr einlädt, befindet sich in den sehenswerten Bauten des ehemaligen Zisterzienserklosters Pforte seit 475 Jahren eine renommierte Lehranstalt, an der schon Nietzsche, Fichte und Klopstock ihren Abschluss machten.
Noch mehr von den Ottonen gibt es in Merseburg. Wie kein zweiter hat Thietmar (975–1018), einer der bekanntesten Merseburger Bischöfe, mit seiner Chronik die Vorstellung vom Mittelalter geprägt. Anhand von ausgewählten Texten zu so unterschiedlichen Themen wie Kaiserkrönungen, prachtvolle Hoftage, kirchliche Feste, aber auch den Alltag der Burg- und Dorfbewohner, die Mühen bei der Urbarmachung des Landes, Hungersnöte und Gefahren sowie von passenden Leihgaben kann der Besucher hier seine Reise in die Zeit um 1000 erweitern und vervollständigen.
„Wissen und Macht“ im Museum Kloster und Kaiserpfalz Memleben, 06642 Kaiserpfalz/OT Memleben, läuft bis 15. Oktober täglich von 10 bis 18 Uhr, Eintritt:
8 Euro. „Thietmars Welt“ im Merseburger Dom sowie gegenüber in der Willi-Sitte-Galerie läuft vom 15. Juli bis 4. November, täglich von 9 bis 18 Uhr, Eintritt: 9 Euro.