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25.05.18 / »Bollwerk der Demokratie« / Reiner Hoffmann biedert seinen DGB der Politik als Mittel gegen »Rechte und Ewiggestrige« an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-18 vom 25. Mai 2018

»Bollwerk der Demokratie«
Reiner Hoffmann biedert seinen DGB der Politik als Mittel gegen »Rechte und Ewiggestrige« an
Peter Entinger

Als sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in der vergangenen Woche zu seinem Jahreskongress traf, übte er sich in einer Machtdemonstration. Doch die lauten Töne können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Basis der Arbeitnehmervertretungen schwindet.

Den acht DGB-Mitgliedsvereinigungen gehören derzeit exakt 5995437 Mitglieder an. Weniger als sechs Millionen waren zuletzt 1951 im DGB organisiert. Im Jahr 2010 gab es noch fast 200000 Gewerkschafter mehr. Zur Jahrtausendwende hatte der DGB noch 7,7 Millionen Mitglieder. Unmittelbar nach der Vereinigung waren es sogar 11,8 Millionen – fast doppelt so viele zuvor. 

 Der DGB führt dies vor allem auf das Älterwerden der Gesellschaft zurück. Das allein reicht als Erklärung jedoch nicht aus. So waren nach Angaben des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im vergangenen Jahr im Durchschnitt aller Branchen und Tarifbereiche nur 18,9 Prozent der Beschäftigten Mitglied einer Gewerkschaft. Zuwächse im Organisationsgrad gingen dabei allein auf das Konto des vom DGB unabhängigen Zusammenschlusses „DBB Beamtenbund und Tarif-union“, zu dem auch die einflussreiche Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) gehört, der man eine beachtliche Kampagnenfähigkeit unterstellt. Der Vorsitzende des DGB, Reiner Hoffmann, räumte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (DPA) ein: „… wir müssen unseren Organisationsgrad halten und nach Möglichkeit deutlich nach oben schieben.“ 

Beobachter fragen sich, wie das funktionieren soll. Die Gewerkschaften könnten nicht nur daran wenig ändern, dass mehr ältere Arbeitnehmer in Rente gehen als jüngere nachrücken, sondern auch daran, dass viele Menschen in Teilzeit, befristet oder zu Niedriglöhnen arbeiten, weshalb sie sich den Beitritt zu einer Gewerkschaft lieber sparen, konstatiert die „Süddeutsche Zeitung“, laut welcher der DGB-Kongress mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben habe. 

Die DGB-Gewerkschaften gelten mittlerweile als altbacken, strukturkonservativ und unbeweglich. Politikwissenschaftler raten ihnen seit Jahren zu mehr Flexibilität, zu mehr Aktionismus. Doch eine auf Kampagnen spezialisierte Organisation wie etwa Greenpeace sieht Hoffmann in seinem DGB auch künftig nicht. In seiner Grundsatzrede wertete er zwar deren Rentenkampagne vor der Bundestagswahl als Erfolg, im Zentrum seiner Ansprache stand allerdings klassische Gewerkschaftspolitik: „Dort, wo wir stark sind, können wir mit Tarifverträgen und Mitbestimmung die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen aus eigener Kraft verbessern.“ Doch die Lebensrealitäten haben sich verändert. Laut Satzung ist es die Aufgabe des Gewekschaftsdachverbandes, dass er seine Mitgliedsgewerkschaften „vereinigt“ und die gemeinsamen Ziele in der Politik vertritt. „Doch die Interessen von Metallern mit 50000 Euro Jahreslohn sind ja nicht deckungsgleich mit jenen von Teilzeitverkäuferinnen oder Altenpflegern; ein höheres Rentenniveau nutzt schließlich vor allem langjährig Vollzeitbeschäftigten mit ohnehin guter Rente“, beschreibt die „Frankfurter Allgemeine“ das Dilemma des DGB. 

Intern macht sich Unmut breit. DGB-Chef Hoffmann bekam dies bei seiner Wiederwahl in Berlin zu spüren. Mit 76,3 Prozent erhielt er 16,8 Punkte weniger als vor vier Jahren. Er gilt vielen als zu stark entfernt von der Basis, als zu EU-freundlich und zu nah an der Politik. Viele Delegierte monierten während ihrer Reden, dass der DGB-Vorsitzende die SPD nach dem Aus der Jamaika-Sondierungen vergangenes Jahr vehement zu einer neuen großen Koalition drängte.

Doch es sind vor allem die Umwälzungen der modernen Arbeitswelt, die das gewerkschaftsinterne Klima belasten. Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hoffmann weiß keine Antwort auf die Frage, ob traditioneller Arbeitnehmerschutz in Arbeitsgebieten mit neuer, oft digitaler Technologie zu gewährleisten ist. „Da sind viele Fragen offen“, gibt er unumwunden zu. Im Gespräch mit der DPA nennt er als Beispiel, dass Elektromobilität herkömmliche Autos immer mehr verdränge: „120000 Arbeitnehmer müssen allein deshalb bis 2030 eine andere Tätigkeit als bisher ausüben. Doch die neuen Stellen sind oft schlechter bezahlt, ohne Tarifvertrag, ohne gute Standards.“ Die Gewerkschaften müssen sich fragen, wie sie ihre Machtressourcen stärken können, um das Versprechen, „dass wir jeden durch die Transformation bringen“, auch einlösen zu können. „Wenn wir das nicht schaffen“, so der IG-Metall-Chef, „wird es schwer.“ 

Das spürt wohl auch der DGB-Vorsitzende, wenn er die Gewerkschaften „als Bollwerk der Demokratie“ preist. Wenn gar nichts mehr hilft, muss eben die AfD herhalten. „Wenn wir die Lebensumstände der Menschen verbessern, dann erschweren wir den Rechten und Ewiggestrigen ihr schmutziges Geschäft“, rief er in Berlin. Doch der Applaus blieb bescheiden. Die liberale „Wirtschaftswoche“ sah darin entsetzt „eine seltsame Selbstverzwergung“. Die Beantwortung der sozialen Frage sei für den obersten Gewerkschaftsboss kein Selbstzweck, sondern vor allem ein Mittel im „Kampf gegen rechts“.