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25.05.18 / Gegenwind / Ein bedenkliches Phänomen wird sichtbar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-18 vom 25. Mai 2018

Gegenwind
Ein bedenkliches Phänomen wird sichtbar
Florian Stumfall

Wie kann ein Pressefoto, auf dem drei Türken zu sehen sind, teilweise mit einem Fußballertrikot in der Hand, die halbe Nation zwischen Flensburg und Garmisch in Aufregung versetzen? Zu erklären ist das nur durch die unterschiedliche Graduierung ihres Türkentums, und das Verhältnis dessen zu Deutschland. Da ist zunächst Recep Erdogan, Staatspräsident der Türkei und als solcher in Fragen des Türkisch-Seins über allen Zweifel erhaben. 

Ein wenig anders verhält es sich mit den beiden anderen Herrn, zwei Fußballern, deutsche Staatsbürger und sogar Mitglieder der deutschen Nationalmannschaft, aber doch türkisch von ihrer Abstammung her. Ein weiterer Unterschied zwischen dem Präsidenten und den Ball-Artisten besteht darin, dass jener hier in Deutschland unbeliebt ist, diese hingegen sich hierzulande vermöge ihrer Geschicklichkeit, einen Ball zu treten, in einschlägigen Kreisen großen Zuspruchs erfreuen.

Dieser hat nun gelitten, weil sich die beiden Sportler von Erdogan für dessen Wahlkampf haben einspannen lassen. Um das Potenzial des Lächerlichen, das dieser Posse innewohnt, noch vollends auszuschöpfen, ließ sich – bei allem Respekt – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier herbei, die zwei Fußballer zu empfangen, um alle Irritationen auszuräumen, jedenfalls auf deutscher Seite. Auch er ist jetzt wieder aller Präsident.

Dahinter steckt die Frage, wieweit jemand zwei Nationen angehören und welche Folgen ein solcher Zwiespalt haben kann. Dieser Frage hat sich der Fußball nur unzureichend, gründlich aber das Staatsrecht angenommen. Danach gibt es drei Kennzeichen der Nation. Das erste, formale für einen Bürger ist der Besitz der Staatsbürgerschaft. Diese erwirbt man durch Geburt oder Einbürgerung. Um auf das aktuelle Beispiel zurückzugreifen: Die beiden bewussten Fußballer sind in Deutschland geboren, sie gehören also nicht zu der Schar von Spitzensportlern, denen man einen Pass verleiht, um sich mit ihren Rekorden schmücken zu können. 

Die zweite Form der Zugehörigkeit zu einer Nation ist die Teilhabe an der Kulturnation. Dazu gehört in erster Linie die Muttersprache, aber auch das tätige Bewusstsein der künstlerischen und anderen geistigen Hervorbringungen der jeweiligen Nation sowie die Teilhabe an Bräuchen und Traditionen. Diese Form der Zugehörigkeit geschieht im Allgemeinen ebenfalls von Geburt an, setzt aber die Staatsbürgerschaft nicht voraus. Im Sinne der Kulturnation gehört auch ein Südtiroler oder ein Deutscher in Namibia der deutschen Nation an.

Die dritte Form der Teilhabe ist die Bekenntnisnation. Hier geht es um die Frage nach einer Empfindung, die sich, um beim Fußball zu bleiben, daran exemplifizieren lässt, ob ein Südtiroler beim WM-Finale der deutschen Mannschaft die Daumen drückt oder der italienischen. 

Eines ist deutlich: Der Staat hat lediglich auf die erste Form einer Zugehörigkeit zur Nation Einfluss, auf die Staatsbürgerschaft, und dies nur dann, wenn sie verliehen werden soll. Entziehen kann man sie in Deutschland ohnehin nicht. Welche Sprache aber eine Familie in ihren vier Wänden spricht, oder wie es jemand mit patriotischen Gefühlen hält, das ist Privatsache. 

Was nun den türkischen Präsidenten Erdogan angeht, so spielt er derzeit mit großem Aplomb auf der Klaviatur der Kulturnation und des Bekenntnisses, also des gefühlten Patriotismus. Dass sich zwei harmlose Fußballer in Deutschland vor diesen Karren spannen lassen, von denen einer dann noch, Erdogan  „seinen Präsidenten“ nennt, ist eine Episode. Wenn aber aus halb Europa bekennende Angehörige der türkischen Kulturnation mit ganz verschiedenen Staatsangehörigkeiten nach Bosnien kommen, um „ihren Präsidenten“ zu hören und in seinem Wahlkampf zu unterstützen, so wird ein bedenkliches Phänomen sichtbar.

Denn wenn auch die Staatslehre drei Formen der Zugehörigkeit zu einer Nation kennt, so ist es doch seit der Herausbildung der europäischen Völker vor 1500 Jahren der Regelfall gewesen, dass diese drei Formen eine Einheit gebildet haben. Das Herkommen aus einem Volk, das Bekenntnis dazu und die Rechte, die sich aus beidem ableiten, haben untrennbar zusammengehört. Diese Bindung war so eng, dass über lange Zeit ein Ausbrechen daraus zumindest mit Ächtung geahndet wurde.

Das ist natürlich längst vorbei. Das Gefüge staatlicher, kultureller und emotionaler Zusammengehörigkeit hat derart Schaden genommen, dass ein Mann wie der grüne Parteivorsitzende Robert Habeck sagen darf, es gebe gar kein Volk und daher könne es auch keine Zugehörigkeit dazu geben. Wäre diese Aussage lediglich als irrige Feststellung eines Sachverhaltes zu verstehen, so könnte man sie abtun als die intellektuelle Fehlleistung eines einzelnen Irrenden. 

Tatsächlich aber formuliert Habeck eine Wunschvorstellung, die Projektion in eine Zukunft, in der wirklich alles eingeschmolzen wäre, was heute zwischen den Völkern der Welt an Unterscheidbarkeit, Eigenwert und Struktur vorhanden ist: die äußerste Form des Multikulturalismus, der zu seinem Gegenteil mutiert, nämlich einer Welt der einen Kultur, oder – weil das Wort hier nicht mehr zutrifft – einer einzigen Art, das Leben zu verbringen. Dies ist eine Vorstellung, die an Schrecken sogar George Orwell übertrifft.

Umso erstaunlicher ist, was Regierungen und Nichtregierungsorganisationen an Mühen auf sich nehmen, sich diesem Ziel zu nähern, sei es bewusst oder aus Blindheit. Das reicht von der Globalisierung bis zur gezielten Einwanderung vor allem von Afrikanern in die EU, die letztlich nur ein Baustein dieser Globalisierung ist. Der einflussreiche US-Politologe Tom Barnett, der in der Tradition des verstorbenen Präsidentenberaters Zbignew Brzezinski steht, beschreibt die Vernetzung, die mit der Globalisierung einhergeht, in erstaunlicher Offenheit: „Sie wird den Wirtschaftskreislauf beseitigen, nationale Grenzen einreißen, und die Relevanz des Staates bei der Steuerung einer globalen Sicherheitsordnung beenden.“ Nur nebenbei und am Rande: Barnett fordert eine Verzehnfachung der Einwanderung aus Afrika nach Europa.

Es wird eine Zeit kommen, in der die jungen Leute wieder einmal zu ihrer Vätergeneration sagen werden: Warum habt ihr nichts dagegen getan, warum seid ihr nicht aufgestanden, ihr hattet doch alles nachlesen können.

Allerdings betrifft das Konzept der nationalen, kulturellen und staatlichen Selbstentleibung nur den Westen, soweit er unter dem Einfluss der USA steht. Deren Anspruch auf weltweite Befehlsgewalt wird indes eingeschränkt durch andere Länder, die anderen Zielvorstellungen folgen, allen voran Russland und China. Die offene Feindschaft, welche die USA diesen und den Ländern gegenüber entwickeln, die sich an die beiden halten, resultiert nicht, wie die Propaganda es sagt, aus einem Schutzbedürfnis Washingtons, sondern aus der Absicht, den anderen ihren Willen aufzudrängen.

Doch es bleibt dabei: Bis auf den Beweis des Gegenteils gehören Unterschiede, Traditionen und Strukturen zu den Stabilitätsmerkmalen eines Zusammenlebens der Völker. Dazu bedürfen diese jeweils einer eigenen Erkennbarkeit, also des Gegenteils einer beliebigen Melange. Das ist die Voraussetzung für Wettbewerb, Achtung des Gegenüber und schließlich ein friedliches Auskommen unter den Völkern. Und wenn es Ausnahmen davon gibt, soll man sie auf den Sport beschränken und nicht zu hoch hängen.