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25.05.18 / Die Tragik mit den beiden Landbrücken / Der Wandel der ostpreußischen Grenzen in der Zeit des Deutschordensstaates

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-18 vom 25. Mai 2018

Die Tragik mit den beiden Landbrücken
Der Wandel der ostpreußischen Grenzen in der Zeit des Deutschordensstaates
Manuel Ruoff

Etwas Tragisches haftet dem an, dass es im ureigensten Interesse des Deutschordensstaates lag, nach den beiden Landbrücken zu streben: der einen ins Baltikum nach Livland, wo der livländische Ordenszweig eine Exklave bildete, und der anderen zum Reich, von wo der personelle und materielle Nachschub kam. Die eine Landbrücke schnitt Litauen, die andere Polen von der Ostsee ab. Der Deutschordensstaat war beiden Nachbarn einzeln gewachsen, aber nicht vereint.

Preußens Namensgeber sind die Prußen. Der baltische Volksstamm siedelte im heutigen Ostpreußen. Zu seinen Nachbarn gehörte der westslawische Volksstamm der Masowier. Deren Herzog Konrad von Masowien eroberte 1220 das von Prußen bewohnte Kulmer Land, geriet im Kampf mit den Prußen aber wiederholt in die Defensive, sodass er schließlich den Deutschen Orden zur Hilfe rief. 1230 schlossen der Herzog und der Orden den Vertrag von Kruschwitz. Konrad übertrug dem Orden das Kulmer Land und sicherte ihm zu, alles Land als weiteres Ordensland zu akzeptieren, dass dieser jenseits der polnischen Grenzen im Land seiner prußischen Feinde erobern würde. 

Bis zum Frühjahr 1231 sammelte sich bei Nassau unweit des heutigen Thorn, aber noch auf dem linken Weichselufer eine kleine Ordens-Streitmacht, um dann die Weichsel zu überschreiten und mit der Eroberung und Christianisierung des Landes der Prußen zu beginnen. Es ging die Weichsel abwärts. Vor dem Mündungsgebiet der Weichsel mit Danzig wurde jedoch nordostwärts abgebogen, da jenes Gebiet zum Herrschaftsbereich der Herzöge von Pommerellen aus dem Geschlecht der Samboriden gehörte, die nicht mehr christianisiert zu werden brauchten. Nun ging es die Nogat abwärts bis zum Frischen Haff. Die Erreichung der Ostseeküste war ein wichtiger Meilenstein, denn nun war eine Versorgung aus dem Reich über die Ostsee möglich. An der Ostseeküste arbeitete man sich weiter voran bis Memel, wo 1252 eine Burg errichtet wurde. Ein größeres Problem war die Eroberung des Binnenlandes, weil mit zunehmender Entfernung von der Ostseeküste die Versorgung mit Nachschub schwieriger wurde. 

Wie weiland Konrad von Masowien leisteten die Prußen auch den Ordensrittern Widerstand. Einem erfolglosen ersten Prußenaufstand von 1242 bis 1249 folgte 1260 ein zweiter, der 1283 mit der endgültigen Niederlage der Prußen endete. An dieser endgültigen Niederlage der Prußen im Jahre 1283 wird denn auch das Ende der Eroberung des Landes der Prußen durch den Deutschen Orden festgemacht. Der Chronist des Deutschen Ordens Peter von Duisburg notierte: „Es endet der preußische Krieg, und es beginnt der Litauerkrieg.“

Warum begann der Litauerkrieg? Das lag zum einen daran, dass die Litauer immer noch Heiden waren und der Christianisierung harrten. Es hatte aber auch geopolitische Gründe. Bereits 1237 hatte der junge Deutschordensstaat eine Exklave erhalten. Der Schwertbrüderorden, der sich die Christianisierung von Livland zum Ziel gesetzt hatte, wurde 1236 in der Schlacht von Schaulen von den Samaiten und Livländern vernichtend geschlagen. Da der Schwertbrüderorden alleine nicht mehr überlebensfähig schien, wurde er auf Geheiß des Papstes 1237 dem Deutschen Orden zugeschlagen. Wie das in der Regel nun einmal so ist, versuchte der Deutschordensstaat nun den territorialen Brückenschlag zu seiner Exklave, dem sogenannten livländischen Ordenszweig. 

Zwischen Mutterland und Exklave lag Samaiten, welches das im 13. Jahrhundert sich bildende Großfürstentum Litauen für sich beanspruchte. Der Streit um Samaiten belastete das Verhältnis des Ordensstaates mit seinem litauischen Nachbarn nachhaltig. Einen wenigstens vorläufigen Sieg des Ordens stellte dabei der 1398 mit dem Großfürstentum Litauen geschlossene Friedens- und Grenzvertrag zu Salinwerder dar. Ihm zufolge fiel Samaiten dem Deutschen Orden „für alle Zeiten“ zu.

Wie in östlicher versuchte der Deutschordensstaat auch in westlicher Richtung erfolgreich einen territorialen Brückenschlag. Er war auf personellen wie materiellen Nachschub aus dem Reich angewiesen. Da war eine gemeinsame Grenze mit diesem wünschenswert. Zwischen dem Deutschordensstaat und dem Reich lag allerdings Pommerellen mit der christlichen Dynastie der Samboriden. Einer ihrer Her­zö­ge, Sambor II., überschrieb 1276 in der Hoffnung auf Schutz und militärischen Beistand dem Deutschen Orden das Mewer Land um Mewe [Gniew] bei Dirschau. 

Mit Sambors II. Enkel Mestwin II. starb das Geschlecht der Samboriden im Mannesstamme aus. Die Folge war ein Erbfolgestreit zwischen Brandenburg und Polen. Im Rahmen dieses Erbfolgestreits wurde der Deutsche Orden 1308 von polnischer Seite um Unterstützung bei der Belagerung Danzigs gebeten. Der Orden kam dieser Bitte nach, die dafür versprochenen 10000 Silbermark blieben jedoch aus. Die Deutschordensritter erstürmten daraufhin die Stadt und nahmen sie in Besitz. Da die 10000 Silbermark weiterhin ausblieben, kaufte nun seinerseits der Orden schließlich im darauffolgenden Jahr 1309 für 10000 Silbermark Brandenburg im Vertrag von Soldin dessen Rechte auf Pommerellen ab. 34 Jahre später, 1343, verzichtete schließlich auch der polnische König Kasimir III. im Vertrag von Kalisch auf seine Ansprüche auf Pommerellen. Hintergrund war zum einen, dass Kaiser und Papst sich zwischenzeitlich auf die Seite des Deutschen Ordens geschlagen hatten, aber auch, dass der Tod des Piasten Georg II. im Jahre 1340 zu einem polnisch-litauischen Erbstreit um das Fürstentum Halitsch-Wolhynien geführt hatte. Für diesen Streit konnte Kasimir keine zusätzlichen Händel mit dem Deutschen Orden gebrauchen. 

Das war symptomatisch. Je schlechter die Beziehungen zwischen dem polnischen und dem litauischen Nachbarn, desto besser für den Deutschordensstaat. Insofern war die polnisch-litauische Union für den Ordensstaat eine Katastrophe.

Wie kam es zu dieser für den Deutschen Orden unsäglichen polnischen Union? 1370, also noch bevor der Deutschordensstaat seine größte Ausdehnung erlangte, starb der polnische König Ludwig der Große, ohne einen legitimen Sohn hinterlassen zu haben. Der damals schon mächtige polnische Adel signalisierte daraufhin einerseits Ludwigs Tochter Hedwig von Anjou, sie als Königin von Polen zu akzeptieren, sofern sie denn den litauischen Großfürsten Jogaila heiratet, sowie andererseits Jogaila, ihn als König anzuerkennen, sofern er denn Hedwig heiratet und zum christlichen Glauben übertritt. Hedwig und Jogaila waren einverstanden. 1386 ließ sich Jogaila taufen, heiratete Hedwig und bestieg mit ihr den polnischen Thron. Die vom polnischen Adel erstrebte polnisch-litauische Front gegen den Deutschordensstaat stand. 

Doch der Deutsche Orden hatte nicht nur das Problem, dass er es jetzt statt mit zwei kleinen mit einem großen Nachbarn zu tun hatte, sondern auch, dass er durch die Taufe des litauischen Großherzogs nun von Christen umzingelt war. Das hatte wiederum zwei schwerwiegende Folgen. Zum einen konnte der Deutschordensstaat beim Kampf gegen Litauen nun nicht mehr auf die Solidarität der christlichen Welt setzen. Zum anderen verlor er seinen Staatszweck. Wen sollten die Deutschordensritter nun noch mit dem Schwerte christianisieren?

Eine weitere Legitimitätskrise kam hinzu. Ein spezifischer Vorteil wurde zum Nachteil. Lange hatte der Ordensstaat davon profitiert, dass frisches Blut aus dem Reich kam. Ordensbrüder, die sich im Reich bewährt hatten, wurden nach Ostpreußen geschickt. Ihre nichtostpreußische Herkunft war kein Problem, denn die Siedler und Kaufleute kamen ja auch aus dem Reich. Allmählich entwickelte sich jedoch ein eingesessener, in Ostpreußen geborener Bevölkerungsteil, der die Ordensbrüder aus dem Reich zunehmend als Fremdherrscher empfand.

Die Sinnkrise des Deutschordensstaates und dieses Gefühl der Fremdbestimmung bei einer zunehmenden Zahl von Alteingesessenen beförderten die Bildung einer innerstaatlichen Opposition, die nun auch noch Halt bei der polnisch-litauischen Union suchte.

Durch diese Opposition zusätzlich unterstützt, nutzte die junge polnisch-litauische Union ihre geballte Kraft nun, um den Deutschordensstaat anhaltend militärisch unter Druck zu setzen. Es begann eine kriegerische Phase, die durch Friedensschlüsse nur kurzfristig unterbrochen wurde. In diesen Friedensschlüssen machte der Ordensstaat ein Zugeständnis nach dem nächsten. 

Nach der berühmten Schlacht bei Tannenberg 1410 kam erst einmal der erste Thorner Frieden von 1411. Dieser war vor allem finanziell bedeutend. Der Ordensstaat verpflichtete sich, für 100000 Schock böhmischer Groschen seine in der Schlacht von Tannenberg in Gefangenschaft geratenen Ritter auszulösen. Diese finanzielle Last musste die Deutschordensstaatsführung nun auf ihre Bevölkerung verteilen, was ihre Stellung in der Bevölkerung zusätzlich destabilisierte.

Elf Jahre nach dem ersten Thorner Frieden wurde 1422 der Frieden von Melnosee geschlossen. In diesem Frieden verzichtete der Ordensstaat auf Samaiten. Die Landbrücke zum livländischen Ordenszweig war wieder verloren. Der Ordensstaat erhielt im Norden, Osten und Süden die Grenzen, die wir heute als Grenzen Ostpreußens kennen.

44 Jahre später, 1466, verlor der Ordensstaat auch die Landbrücke zum Reich. Im zweiten Thorner Frieden verzichtete der Orden außer auf Pommerellen auch auf das Kulmer Land, den vormaligen Regierungssitz Marienburg und das Ermland. Diese Grenzziehung im Westen hatte über das Ende des Deutschordensstaates hinaus Bestand bis zu den sogenannten polnischen Teilungen des späten 18. Jahrhunderts.