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25.05.18 / Die Revolution in der Küche / Der Koch als Designer – Ernährungsexperten machen sich in Berlin Gedanken über das Essen von morgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-18 vom 25. Mai 2018

Die Revolution in der Küche
Der Koch als Designer – Ernährungsexperten machen sich in Berlin Gedanken über das Essen von morgen

Ein Mensch aus dem Mittelalter würde unser veganes, laktosefreies und industriell gefertigtes Essen wahrscheinlich für ungenießbar halten. Ähnlich könnte es uns ergehen, wenn wir die Möglichkeit hätten, die Nahrung der Zukunft zu probieren. Über die Frage, wovon wir uns in unserer durch schwindende Ressourcen geprägten Wachstumsgesellschaft später einmal ernähren werden und wie wir das zubereiten, darüber machen sich Ernährungsexperten schon jetzt Gedanken. 

Jeder von uns gestaltet mit seinem Essverhalten den Globus mit. Essen ist längst keine Privatsache mehr, sondern ein hochgradig politischer Akt. Das Berliner Kunstgewerbemuseum am Matthäikirchplatz verwandelt sich gegenwärtig in ein künstlerisch-wissenschaftlich-spekulatives Laboratorium für neue Denk- und Praxismodelle zur Zukunft des Essens und Wohnens. Für die bis zum 30. September laufende Ausstellung „Food Revolution 5.0. – Gestaltung für die Gesellschaft von Morgen“ präsentieren 

30 internationale Designer ihre Entwürfe, Ideen und Visionen zur Gestaltung der Transformation unseres Ernährungssystems.

Unsere Gesellschaft wird durch Essen in all seinen Facetten von der Ressource bis hin zum Konsum sozial gestaltet und konditioniert. Essen ist dabei nichts anderes als in Form gebrachtes, „designtes“ Material – somit gehört „Food Design“ zu den frühesten Gestaltungsaufgaben überhaupt. Und auch die Köche waren von Anbeginn der Zeit im Prinzip kreative Designer von Essen.

Die Sonderausstellung wurde schon 2017 im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg gezeigt, ist aber für Berlin mit neuen Projekten aktualisiert und gestaltet worden. Sie ist in vier Themenräume gegliedert: Farm, Markt, Küche und Tisch. Angesichts schwindender Res­sourcen plädiert die Ausstellung für Postwachstum und alternative Formen des „farmings“ auf dem Land, in der Stadt und der eigenen Wohnung. Die vorgestellten Projekte reichen von der urbanen Streuobstwiese und einem essbaren Garten über eine Indoor-Farm bis hin zur Insektenfarm und dem Mini-Kompostierer für das Stadt­apartment. 

Entscheidend für unser persönliches Wohlbefinden und unsere Gesundheit ist auch die Frage, was und wie wir essen. Designer setzen sich mit unseren Essgewohnheiten auseinander und entwickeln neue Bestecke oder Tischobjekte. Ebenso stehen die negativen Auswirkungen des Fleischkonsums zur Disposition sowie der 3-D-Drucker als neues Produktionsmittel unserer Ernährung. Neue Technologien wie Biotechnologie oder synthetische Biologie regen zu Spekulationen über In-Vitro-Fleisch, die Modifikation unseres Verdauungssys-tems oder gar zu digitalem Essen an, das aus unseren persönlichen Daten generiert wird. 

Die Herausforderung ist im­mens, denn unser gesamtes Nahrungsmittelsystem sowie unsere Essgewohnheiten stehen auf dem Prüfstand. Die Ausstellung knüpft an die These an, dass wir dringend eine globale Revolution des Essens brauchen. Aufgerufen da­zu seien wir alle: Denn Konsum ist eine Frage der Verantwortung.

Die kuwaitische Designerin Hanan Alkouh hinterfragt dabei die Möglichkeiten, unsere Kultur von Fleischproduktion und -lagerung sowie Fleischverzehr in einer fleischlosen Welt zu replizieren. Die Holländerin Chloé Rutzerveld spekuliert in ihrem Projekt „In Vitro ME“ über den menschlichen Körper als zukünftigem Koproduzenten von In-Vitro-Fleisch. Ganz real ist „The Hive“ der österreichischen Designerinnen Katharina Unger und Julia Kaisinger, die erste Mini-Farm für essbare Insekten, die in der eigenen Küche aufgestellt werden kann. Jinhyun Jeon aus Taiwan entwirft neues Essgerät, um unsere multisensorischen Esserfahrungen zu optimieren und achtsames Essen zu fördern. Mit dem Projekt „Volumes“ – bunten Objekten, die zwischen der Nahrung auf dem Teller platziert werden – will die holländische Designerin Marije Vogelzang ebenfalls unsere Esskultur positiv beeinflussen. „Bioplastic Fantastic“, ein Projekt der deutschen Designerin Johanna Schmeer, forscht nach neuen Produkttypen und Nahrungsmitteln, die aus der Bio- und Nanotechnologie heraus entstehen könnten. Für den spanischen Designer Martí Guixé liegt die Zukunft in dem noch spekulativen Ernährungssystem „Digital Food“: Ein Algorithmus entscheidet aufgrund der Analyse individueller Daten über die passenden Nahrungsbausteine, die der je­weilige Nutzer auswählen kann und die dann von einem

 3-D-Drucker je nach Bedarf produziert werden.

Die Ausstellung beginnt bereits unmittelbar am Kulturforum: Auf der Piazzetta lässt der niederländische Stadtplaner und Designer Ton Matton eine „urbane Streuobstwiese“ entstehen. Die deutsche Landschaftsarchitektin Kat­rin Bohn transformiert zusammen mit Studenten des Fachbereichs Freiraumplanung der Technischen Universität Berlin eine bislang ungenutzte Terrasse am Kunstgewerbemuseum in einen essbaren Garten. Wenn alles abgenagt ist, können die Besucher wenigstens sagen, dass sich satt gesehen haben.H. Tews/SPK