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25.05.18 / Journalisten und Wissenschaftler über Polen heute

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 21-18 vom 25. Mai 2018

Journalisten und Wissenschaftler über Polen heute
Karlheinz Lau

Politische Mythen haben in allen europäischen Nationen eine Rolle gespielt. Sie werden politisch/ideologisch instrumentalisiert oder sie sind unbelastet wie zum Beispiel der „deutsche Wald“. Er ist eine Sehnsuchtslandschaft für die Menschen, was im 20. Jahrhundert etwas anders aussah. Man denke nur an die Verbindung deutscher Wald mit der Blut- und Boden-Ideologie der Nationalsozialisten. Gegenwärtig scheint sich in Deutschland ein Mythos „Heimat“ aufzubauen.

Das diesjährige Jahrbuch Polen behandelt aus unterschiedlichen Blickwinkeln Mythen, die für die polnischen Menschen sinn- und orientierungsstiftend sind oder sein können. Es werden 15 Beiträge von überwiegend polnischen, aber auch deutschen Autoren vorgestellt. Es sind Journalisten, Historiker, Sozialwissenschaftler, Politologen sowie Literaturkritiker, also kein aktiver polnischer oder deutscher Politiker. Die von ihnen behandelten Themen stellen jeweils die persönliche Position des Autors dar, sind nicht offizielle Meinung, was eine Übereinstimmung mit der Linie etwa der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nicht ausschließt. Die behandelten Themen/Mythen gleichen einen Streifzug durch die jüngste polnische Geschichte von den Teilungen, dem Wiedererstehen eines polnischen Staates nach dem Ersten Weltkrieg und bis zur Gegenwart der Regierung Ka-czynski. 

Zentrale Persönlichkeit für die Polen ist und war der legendäre Marschall Pilsudski, eine Art pater patriae, der als Macher der polnischen Unabhängigkeit bis heute ein politisches Symbol darstellt. Er ist das erklärte Vorbild für Ka-czynski als Garant für die Stärke und Unabhängigkeit Polens. Sein Tod 1935 änderte überhaupt nichts an der Symbolkraft dieses Mannes für die Polen. Die nationale polnische Geschichte wird als permanente Bedrohung durch benachbarte Großmächte, durch heldenhafte Aufstände und Kämpfe für die unterdrückte polnische Nation dargestellt. 

Diese Sicht spiegelt sich vornehmlich im 19. Jahrhundert in der Malerei und in der Literatur wider. Stellvertretend werden die Namen des Malers Matejko mit seinem monumentalen Gemälde „Schlacht bei Grunwald 1410“ sowie Adam Mickiewicz mit „Pan Tadeusz“ oder Henryk Sienkiewicz mit dem Titel „Die Kreuzritter“ genannt. Sie schufen identitätsstiftende Mythen mit Blick auf die deutsch-polnischen Beziehungen: der erfolgreiche Abwehrkampf der Slawen gegen die germanischen Aggressoren. Die Aufstände während der Teilungszeit – hier spielt der Name Kosciuzko eine zentrale Rolle – und vor allem der Warschauer Aufstand im Jahre 1943 gegen die nationalsozialistische Besatzungsmacht sind in dieser Sichtweise zu interpretieren mit dem Unterschied, dass das polnische Volk in diesen Ereignissen zwar als Opfer fremder Mächte, als Verlierer, aber auch als moralischer Sieger hervorging. Zum Mythos der dritten polnischen Republik zählt die Geschichte der Gewerkschaft Solidarnosc, die in Deutschland als ein entscheidender Faktor zur Beendigung des Kommunismus im Ostblock eingeschätzt wird. In der intellektuellen Szene Polens wird sie allerdings sehr differenziert gesehen, das geht zumindest aus dem entsprechenden Beitrag hervor. Gleiches gilt für das Verhältnis der polnischen Gesellschaft zu ihren jüdischen Mitbürgern. 

Der Beitrag der deutschen Autorin Katrin Steffen diskutiert die Frage, ob der Antipolonismus in den polnisch-jüdischen Beziehungen eine Realität oder ein Mythos ist. Die sehr klare Position der regierenden PiS-Partei wird nicht unbedingt bestätigt. Sehr interessant ist der Beitrag über Geschichte und Gegenwart der ehemaligen polnischen Ostgebiete mit Wilna und Lemberg. Im Polnischen werden sie Kresy = Grenzland genannt. Ihren Ursprung haben sie im 14. Jahrhundert, als Polen und Litauen sich zu einer Union vereinigten. 

Es sind Territorien, die heute zu Litauen, Weißrussland und der Ukraine gehören. Dort lebten nicht nur Polen. Bis ins 20. Jahrhundert gehörten diese Gebiete zum polnischen Staat. Erst in der Konferenz zu Jalta 1944 verfügten die drei Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, dass Polen die Kresy aufgeben musste, die polnische Bevölkerung sollte in die ehemals deutschen Ostprovinzen umgesiedelt werden. Dies ist die nach 1945 erfolgte Westverschiebung Polens. Bemerkenswert ist – so der polnische Autor des Beitrages – dass die Erinnerung an die verlorenen Ostgebiete auch heute noch in der polnischen Bevölkerung sehr wach ist. Es wird eine 2007 durchgeführte Bevölkerungsumfrage zitiert¸ nach der 52 Prozent der polnischen Staatsbürger die ehemaligen Ostgebiete mit Wilna und Lemberg nach wie vor als polnische Gebiete betrachten. Die bewusst national und patriotisch orientierte Geschichtspolitik der PiS-Regierung wird dieses Ergebnis mit Sicherheit verstärken. Spannend wäre das Ergebnis einer entsprechenden Befragung in Deutschland.

Alle Autoren – auch die in Polen lebenden Deutschen – geben ein sehr genaues und differenzierendes Bild über die jeweilige Thematik, die sie bearbeiteten. Adressaten sind offensichtlich die eigenen Landsleute mit entsprechendem Bildungsniveau. Ein deutscher Leser sollte zum Verständnis Kenntnisse über die Grundlinien der polnischen Geschichte, der Mentalitäten, der politischen Einstellungen und der Empfindlichkeiten der Menschen östlich der Oder/Neiße besitzen. Der Zuwachs an konkreten Informationen und Wissen wird dabei nicht bestritten. Eine Übersichtskarte für die räumliche Vorstellung und eine Zeittafel, die die zeitliche Einordnung der einzelnen Themen (Teilungen, Aufstände im 19. Jahrhundert und anderes mehr) unterstützt, fehlt wie auch schon bei den vorangehenden Jahrbüchern.

Deutsches Polen-Institut Darmstadt: „Jahrbuch Polen 2018 – Mythen“, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2018, broschiert, 229 Seiten, 15 Euro