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01.06.18 / Statt Geschenk droht Kahlschlag / Senat unter Druck: Schulen fürchten Mittelkürzungen wegen neuer Lernmittelfreiheit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-18 vom 01. Juni 2018

Statt Geschenk droht Kahlschlag
Senat unter Druck: Schulen fürchten Mittelkürzungen wegen neuer Lernmittelfreiheit
Norman Hanert

Die Forderung, Kindern Schulbücher kostenlos zur Verfügung zu stellen und damit die Bildungschancen unabhängig vom Einkommen der Eltern zu machen, geht noch auf Ideen der Revolutionäre von 1848 zurück. Berlin will nun zum Modell der Lernmittelfreiheit zurückkehren, das im Jahr 2003 von der damals amtierenden rot-roten Koalition abgeschafft wurde. Die Umsetzung des Vorhabens ist bei allen guten Absichten aber umstritten.

Bereits ab diesem Sommer sollen Grundschulkinder für Bücher oder Lernhefte nichts mehr bezahlen müssen. Zuvor mussten Eltern pro Jahr bis zu 100 Euro für Lernmaterialien bezahlen, das Land Berlin legte 73 dazu, sodass insgesamt 173 Euro pro Kind zur Verfügung standen. Schon bislang zahlungsbefreit sind Eltern, die auf Sozialtransfers angewiesen sind. Bei ihnen überwies das Land 98 Euro für Lernmaterial an die Schulen. Dies betraf im vergangenen Schuljahr rund 65000 Kinder, die Eltern von etwa  106000 Grundschulkindern waren sogenannte „Selbstzahler“. 

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) äußerte die Hoffnung, dass die Lernmittelfreiheit Eltern und Schulen entlastet. Scheeres wies darauf hin, dass die derzeitige Regelung zur Folge habe, dass Schulbücher zum Start des Schuljahres bei vielen Kindern noch nicht vorhanden seien oder verschiedene Auflagen eines Schulbuches genutzt würden. Mit der zentralen Bereitstellung könnten die Lernmaterialen pünktlich zum Schuljahresbeginn ausgeben und damit auch die Unterrichtsqualität verbessert werden, so die Hoffnung der Bildungssenatorin. 

Einige Schulleiter haben inzwischen aber auch die Befürchtung geäußert, dass sich die Qualität des Unterrichts am Ende sogar verschlechtern werde. Nach den bekanntgewordenen Plänen des Senats will das Land seine Zahlungen pro Kind von bislang 73 Euro generell auf 98 Euro pro Jahr erhöhen. Damit die Schulen eigene Bücherbestände aufbauen können, sollen in den Jahren 2018 und 2019 nochmals extra          50 Euro pro Kind überwiesen werden. 

Ab dem Schuljahr 2020/21 soll dann aber nur noch ein Betrag von 98 Euro vom Land gezahlt werden. Zur Erinnerung: Im Fall der selbstzahlenden Eltern können die Schulen inklusive der Senatsgelder bislang mit einem Gesamtbetrag von 173 Euro kalkulieren. Unterm Strich droht so, dass sich innerhalb weniger Jahre der zur Verfügung stehende Betrag fast halbiert. 

Verschärfend kommt hinzu, dass die eigenverantwortlich agierenden Schulen die Gelder für Lernmittel flexibel einsetzen können – zumindest zum Teil auch für die Reparatur von Sportgeräten oder die Anschaffung von Computern. Entsprechend fielen die Reaktionen aus einigen Schulen auf die Senatspläne aus. So protestierten Schulleiter aus dem Bezirk Pankow bereits in einem offenen Brief an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Auch die Opposition im Abgeordentenhaus sieht die Senatspläne skeptisch. Die Berliner CDU hatte sich in ihrem Programm zur letzten Abgeordnetenhauswahl für die Wiedereinführung der Lernmittelfreiheit ausgesprochen. Bei den konkreten Neuregelungsplänen der rot-rot-grünen Koalition sieht man bei der Hauptstadt-Union aber die Gefahr, dass sich die geplante Lernmittelbefreiung als „populi­stischer Schnellschuss“ herausstellt, der zu Lasten der Bildungsqualität geht. 

Hildegard Bentele, die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, sagte gegenüber der PAZ: „Die SPD greift überhastet – wie eilig einberufene Arbeitsgruppen und angekündigte Informationsschreiben zeigen – in das seit Jahren etablierte System der Lernmittelbeschaffung ein, bei dem Sozialtransferempfänger schon immer von Zahlungen ausgenommen waren und von freiwillig eingerichteten Bücherfonds an Schulen profitiert haben.“ 

Auch bei der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus wird die Gefahr gesehen, dass die Pläne auf Kosten der Schulen gehen, die Qualität des Unterrichts sinkt und die Bildungschancen der Schüler massiv eingeschränkt werden. Franz Kerker, Bildungsexperte der AfD-Fraktion im Abgeordentenhaus, spricht sogar von einem „vergifteten Geschenk“, auch er äußert die Befürchtung, dass Berlins Schulen künftig effektiv noch weniger Geld zur Verfügung haben werden als bisher. 

Dass solche Befürchtungen nicht unbegründet sind, zeigt die Entwick­lung bei der Inklusion, dem gemeinsamen Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern an regulären Schulen. Auch bei diesem Projekt hieß es im Vorfeld, es würden zur Umsetzung ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Ein Brandbrief von Lehrpersonal der Sonnen-Grundschule in Berlin-Neukölln lässt dagegen auf ein Scheitern des Inklusionsprojekts im Schullalltag schließen. 

Die Lehrer schreiben, durch Personalmangel, einen hohen Krankenstand und eine schwierige Schülerschaft erfolge ein Schulbetreib nur noch „nebenher“. In dem Brief wird insbesondere auch auf Probleme bei der Inklusion eingegangen. Die Lehrer weisen auf eine große Zahl verhaltensauffälliger und lernbehinderter Kinder hin und warnen, eine „unbegrenzte und alternativlose Inklusion“ könne unter diesen Bedingungen nicht gelingen.