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01.06.18 / Der Kugelschreiber, das verkannte Genie / Argentinien widmet dem Ungarn Laszlo Biro den »Tag des Erfinders«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-18 vom 01. Juni 2018

Der Kugelschreiber, das verkannte Genie
Argentinien widmet dem Ungarn Laszlo Biro den »Tag des Erfinders«
Klaus J, Groth

Der Kugelschreiber gehört zu den Dingen, die unverzichtbar sind, zuhause, im Büro und im Weltall. Für seine geniale Erfindung erhielt der Ungar Laszlo Biro am 10. Juni 1943, vor 75 Jahren, das Patent.

Als Redakteur einer Budapester Zeitung muss Biro ganz besonders an der Unzulänglichkeit des Schreibens mit Feder und Tinte gelitten haben. Es kleckste, und die Finger waren immer beschmiert. Der Bleistift, der oft angespitzt werden muss, war im hektischen Redaktionsalltag keine Alternative. Als Biro eines Tages in der Druckerei die Drehungen der Rotationsmaschine beobachtete, kam ihm eine Idee. Könnte man nicht ein Schreibgerät entwickeln, das nur den Tintenabdruck auf dem Blatt Papier hinterließ? Unterstützt von seinem Bruder György, einem Chemiker, machte er sich an die Arbeit. Das Tüfteln und Erfinden lag den beiden in den Genen. Ihr Vater behandelte die Patienten in seiner Zahnarztpraxis mit selbst konstruierten Instrumenten vom Bohrer bis zur Zange. Ob die Patienten das zu schätzen wussten, ist nicht bekannt.

Den Söhnen gelang es, eine Tintenpaste von fester Konsistenz herzustellen, die rasch trocknete. Eine Mine mit einer kleinen Kugel an der Spitze in einem Gehäuse übertrug die Tinte aufs Papier. Das klingt simpel, ist aber ein hochkomplizierter Vorgang, der jedem Benutzer eines Kugelschreibers Respekt abverlangen sollte. Das Herzstück aller „Kulis“ besteht aus drei Teilen: einem Reservoir für die Tinte, einer Schreibspitze, die das Tintenröhrchen nach oben hin abschließt und einer Schreibkugel aus Metall, heute auch aus keramischem Material. Am oberen Ende ist die Mine offen oder mit einem luftdurchlässigen Verschluss versehen. Die Luft gleicht das Volumen der verschriebenen Tinte aus. Auf der Tinte schwimmt eine Dichtungsmasse, die das Eintrocknen verhindert. Bei billigen Minen fehlt diese Dichtung, deshalb trocknen sie schnell aus. Führt man die Mine über das Papier, dreht sich die Kugel und gibt Tinte aus dem Speicher ab. 1938 erhielt Laszlo Biro das ungarische Patent auf den Prototypen des Kugelschreibers, das er aber nicht mehr verwerten konnte.

Als Ungarn sich mit den Deutschen verbündet, ist Biro als Jude in Budapest nicht sicher. Er geht nach Jugoslawien, von wo aus er weiter für Zeitungen Artikel schreibt. Biro möchte nach Argentinien emigrieren, erhält aber kein Visum. Den Fortgang der Geschichte erzählt man sich in Argentinien so: 

Der Präsident des südamerikanischen Landes von 1932 bis 1938, Agustin Pedro Justo, besucht Jugoslawien. Durch einen Zufall begegnen sich die beiden. Justo sieht, wie Biro mit einem merkwürdigen Gerät schreibt und ist fasziniert. Der berichtet von seiner Schwierigkeit, eine Einreiseerlaubnis für Argentinien zu bekommen. Justo verspricht zu helfen. 1940 reisen Biro, seine Frau Elsa, die Tochter Mariana und sein Bruder György nach Buenos Aires, um für immer dort zu bleiben.

Am Rio de la Plata arbeitet der Erfinder an der Verbesserung des Prototyps, der noch recht dick und unhandlich ist und mal zu viel, mal zu wenig Tinte abgibt. Am 10. Juni 1943 erhält er für sein perfektioniertes Modell in Buenos Aires das Patent und gründet mit einem Partner die Firma Sylvapen. Noch im selben Jahr verkauft er Lizenzen für mehrere Millionen an das US-Unternehmen Parker Pen Company und nach England. Der britische Geschäftsmann Henry George Martin hatte erkannt, dass der Kugelschreiber das ideale Schreibgerät für Flugzeugbesatzungen ist, weil er auch in großer Höhe nicht kleckst und gut lesbar bleibt. Die Royal Air Force nimmt ihm auf Anhieb 30000 Stück ab. Sylvapen beliefert ganz Südamerika mit dem Boligrafo, „Boli“ genannt.

 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Kugelschreiber überall nachgebaut, oft ohne Lizenz. Das Familienunternehmen Schneider im Schwarzwald, heute der erfolgreichste deutsche Hersteller von Kugelschreibern, zahlte ab 1947 bis zum Erlöschen der Patente 19 Millionen Mark an Lizenzgebühren. Die ersten Exemplare waren noch teuer, sie kosteten 1950 rund 20 Mark pro Stück. Der Schwarzwald wurde zum Zentrum der Produktion. Viele Schwarzwälderinnen verdienten sich in Heimarbeit mit dem kniffligen Zusammensetzen der einzelnen Teile ein Zubrot. Auch heute wird die Montage als lohnender Nebenverdienst im Internet angeboten. Verbraucherschützer warnen allerdings vor unseriösen Angeboten.

Selbst total losgelöst von aller Erdenschwere behält der Kugelschreiber seine Zuverlässigkeit. Bei der ersten Landung der Amerikaner 1969 auf dem Mond machte sich Neil Armstrong damit Notizen. Bei allen amerikanischen und russischen Raumfahrtmissionen wird der Space Pen seitdem zum Führen der Logbücher benutzt. Diese Spezialversion steht unter Gasdruck und tut ihren Dienst unter extremsten Bedingungen wie Kälte, hohen Temperaturen, im Vakuum und eben bei Schwerelosigkeit. Schreibproben aus dem Spaceshuttle beweisen das.

Der rastlose Biro entwickelte nach dem Prinzip des Kugelschreibers Parfümfläschchen, mit denen sich Düfte auftragen lassen. Der Vorteil des Roll-on-Systems, nach dem auch Deoroller funktionieren: Die Flüssigkeit ist besser zu dosieren und haftet nicht an den Fingern. Die von Biro vertriebenen Parfüms hatten französische Namen, die an Poesie nicht zu übertreffen waren. Chant d’Espoire, Lied der Hoffnung, Voix de la Forêt, Stimme des Waldes, Chou Chou … Doch die Frauen ließen sich nicht täuschen. Sie kauften lieber die echten französischen Düfte. 1948 musste die Produktion mangels Nachfrage eingestellt werden. 

Laszlo Biro ist in Argentinien ein berühmter Mann, als er im Alter von 90 Jahren am 24. Oktober 1985 in Buenos Aires stirbt. Der „Tag des Erfinders“ am 29. September, seinem Geburtstag, ist ihm gewidmet. 

Dass man den Kugelschreiber gelegentlich zu einem anderen Zweck benutzt als zum Schreiben, hat Biro vermutlich nicht gefallen. Statt mit Tinte mit Gift gefüllt wird er schon mal von den üblich verdächtigten Geheimdiensten zur Beseitigung unerwünschter Personen verwendet.