19.04.2024

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01.06.18 / Das Ringen um Pommerellen geht weiter / Der Wandel der ostpreußischen Grenzen in der Neuzeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-18 vom 01. Juni 2018

Das Ringen um Pommerellen geht weiter
Der Wandel der ostpreußischen Grenzen in der Neuzeit
Manuel Ruoff

Das Streben, von Ostpreußen aus eine Landbrücke in den Nordosten zu schlagen, hatte mit dem Ende des Deutschordensstaates und der staatlichen Verbindung zwischen Ostpreußen und Livland aufgehört. Hingegen überlebte das Streben nach Pommerellen als Landbrücke zwischen Ostpreußen und dem Reich den Deutschordensstaat um Jahrhunderte und belastete die deutsch-polnischen Beziehungen bis weit in die Neuzeit.

Im Jahre 1762 herrschte im heutien Ostpreußen nicht mehr der Deutsche Orden, sondern der brandenbugische Kurfürst Fried­rich der Große als König in Preußen. Und aus der polnisch-litauischen Personalunion war eine Realunion geworden mit einem vom Adel gewählten König an der Spitze. Das war zu der Zeit August III. 1763 starb dieser August III. Die Wahl eines neuen Königs stand an. Zarin Katharina die Große unterstützte ihren Liebhaber Stanislaw August Poniatowski, das von Frankreich unterstützte Österreich hingegen dessen Gegenkandidaten Jan Klemens Branicki. 

Friedrich der Große hatte nun die Wahl, mit welchem der Gegner des Siebenjährigen Krieges er ein Bündnis einging. Angesichts der größeren militärischen Potenz Russlands und der Tatsache, dass Maria Theresia die Hoffnung auf eine Rückgewinnung Schlesiens immer noch nicht aufgegeben hatte, entschied er sich schließlich für die Zarin. 

Das Ergebnis war das Traktat vom 11. April 1764. Der preußische König stimmte der Kandidatur Poniatowskis zu. Des Weiteren verpflichteten sich beide zu militärischem Beistand im Falle eines Angriffs Österreichs oder einer anderen Macht. Im Falle eines österreichischen Einmarsches in Polen sollte auch Preußen einmarschieren und Russland unterstützen.

Derart militärisch abgesichert, marschierten noch im selben Jahr 20000 Russen in Polen ein, wo aus den Zeiten des Siebenjährigen Krieges ohnehin noch ein russisches Korps stand. Angesichts dieser militärischen Präsenz Russlands und großzügiger russischer „Wahlgelder“ erstaunt es nicht, dass der Sejm ebenfalls noch 1764 den russischen Kandidaten zum König wählte. 

Poniatowski, der sich nun Stanislaus II. August nannte, erwies sich jedoch nicht als die von der Zarin erhoffte Marionette. Vielmehr versuchte der vielseitig gebildete und intelligente Verehrer George Washingtons, Polen ein guter König zu sein und es mit Reformen wie der Einschränkung des Einstimmigkeitsprinzips im Sejm voranzubringen. 

Eine derartige Aufholjagd des zurückgebliebenen Nachbarn war jedoch nicht das, was die Zarin wollte. Und so intervenierte sie 1767 militärisch, wobei nicht-katholische Adlige und katholische Reformgegner sie unterstützten und ihre Intervention ein Stück weit legitimieren halfen. Angesichts der russischen militärischen Präsenz sah sich der Sejm gezwungen, 1768 einem bilateralen „Ewigen Vertrag“ zuzustimmen. Darin verpflichtete sich die polnische Seite, die Reformen zurück­zunehmen sowie das Einstimmigkeitsprinzip und die Rechte der religiösen Minderheiten zu achten. 

Aus Protest gegen den Ewigen Vertrag bildete sich noch im selben Jahr auf der Festung von Bar in Podolien eine Konföderation, die sich die Vertreibung der Russen aus Polen und die uneingeschränkte Herrschaft der katholischen Kirche zum Ziel setzte. Diese Oppositionsgruppe begann einen teilweise asymmetrischen Krieg gegen die Russen.

Im Kampf gegen die polnischen Oppositionellen erwiesen sich die russischen Streitkräfte nun als derart erfolgreich, dass eine ernst­hafte Bedrohung des Gleichgewichtes drohte. Bevor Polen nun gänzlich russisch wurde, sollten die beiden deutschen Nachbarn, so Friedrichs Vorschlag an die Österreicher, durch Annexion polnischen Territoriums wenigstens einen Teil des Landes dem russischen Zugriff entziehen. 

Dem Alten Fritz ging es dabei außer um Gleichgewichtspolitik auch um den Gewinn einer Landbrücke zwischen Brandenburg und (Ost-)Preußen.

Österreich reagierte ambivalent und widersprüchlich. Maria Theresias Gedanken kreisten um eine Rückgewinnung Schlesiens. Und einer Teilung der „katholischen Schwester Österreichs“ stand sie ablehnend gegenüber. 

Ihr Sohn und Mitregent Joseph II. hingegen schuf gleich Fakten im Sinne von Fried­richs Vorschlag. Er marschierte in Polen ein. Damit hatte Friedrich nun den Vorwand, gemäß dem Traktat mit Elisabeth vom 11. April 1764 nun seinerseits ebenfalls in Polen einzumarschieren. 

Die Zarin zierte sich anfänglich, auf Friedrichs Teilungsvorschlag einzugehen, hoffte sie doch ein ungeteiltes Polen unter ihren Einfluss bringen zu können. Mit der Drohung konfrontiert, ohne preußischen Beistand dem Osmanischen Reich und Österreich gegenüberzustehen, war sie jedoch schließlich bereit, den von Preußen geforderten Preis für dessen Freundschaft zu zahlen. 1772 beschlossen Preußen, Russland und Österreich die gemeinsame sogenannte erste Teilung Polens, die der polnische Sejm im darauffolgenden Jahr abnickte. 

Den sowohl an Quadratmetern als auch Einwohnern kleinsten Anteil erhielt Friedrich. Friedrichs Gewinn bestand mehr oder weniger aus dem, was der Deutschordensstaat rund drei Jahrhunderte vorher im zweiten Frieden von Thorn abgetreten hatte. Aus dem Gewinn machte Friedrich die Provinz Westpreußen. In Abgrenzung dazu machte er aus dem bisherigen Königreich Preußen im engeren Wortsinne, also aus dem vormaligen Herzogtum Preußen, die Provinz Ostpreußen. 

Eine Ausnahme von der Regel stellte das Ermland dar, dass Fried­rich zwar 1772 gewonnen hatte, aber nicht West-, sondern Ostpreußen zuschlug. 

Ab nun hieß das, was wir als Ostpreußen kennen, endlich auch offiziell Ostpreußen.

Der Vollständigkeit halber sei hier noch kurz auf die sogenannte zweite polnische Teilung von 1793 und die sogenannte dritte polnische Teilung von 1795 eingegangen. Durch die damit verbundenen Zugewinne für Preußen wurden die Grenzen Ostpreußens zwar nicht verschoben, aber nach der Westgrenze hörten nun auch die Süd- und die Ostgrenze Ostpreußens auf, Staatsgrenzen zu sein. Denn an Ostpreußen grenzten dort nun Südpreußen und Neuostpreußen.

Das änderte sich wiederum nach dem vierten Koalitionskrieg von 1806/07, als Napoleon aus Südpreußen und Neuostpreußen das Herzogtum Warschau schuf. Nach Napoleons Niederlage erhielt Preußen auf dem Wiener Kongress von 1814/15 nur den westlichsten Teil Südpreußens zurück. Wir kennen ihn als Provinz Posen.

In den nun folgenden 100 Jahren herrschten Ruhe und Frieden an der Ostgrenze des Hohenzollernstaates. Der Korrektheit halber muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass in diesen 100 Jahren nichtsdestoweniger Ostpreußen zumindest als Provinz für ein paar Jahre verschwand. 

Ab 1816 war der legendäre Theodor von Schön Oberpräsident von Westpreußen. 1824 schied der bisherige Oberpräsident von Ostpreußen, Hans Jakob von Auerswald, aus dem Amt. Das wurde zum Anlass genommen, auch noch Ostpreußen Schöns Amtsbereich zuzuschlagen. Die Provinzen Ost- und Westpreußen wurden zur neuen Provinz Preußen mit der Hauptstadt Königsberg zusammengelegt.

1878 wurde die Provinz wieder geteilt. Danzigs damaliger Oberbürgermeister, Leopold von Winter, hatte hierfür vor allem getrommelt. Die Metropole an der Weichsel wollte der Metropole am Pregel nicht nachstehen und auch wieder Provinzhauptstadt sein, wie sie es bis 1824 gewesen war und ab 1878 dann auch tatsächlich wieder war. 

1914 endete ein friedliches Jahrhundert an der preußischen Ostgrenze mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Der Weltkrieg ging verloren und das Versailler Diktat brachte Preußen große Gebietsverluste, die zum Teil auch Ostpreußen betrafen. Ostpreußen verlor das Memelgebiet und das Soldauer Gebiet. Auf das Memelgebiet musste das Deutsche Reich verzichten, weil es angeblich mehrheitlich von Litauern bewohnt war und Litauen über den Memeler Hafen verfügen sollte. Und das Soldauer Gebiet verlor das Reich, weil durch das Gebiet die Ostbahnlinie Danzig–Warschau verlief, die Polen vollständig bekommen sollte. 

Ostpreußens Nachbarprovinzen Westpreußen und Posen sollte Polen ja ohnehin größtenteils erhalten. 

Eine Ostpreußen betreffende Ausnahme bildete der Ostpreußen benachbarte Nordosten Westpreußens. Elbing blieb beim Reich, und in den ebenfalls rechts der Weichsel und Nogat gelegenen westpreußischen Kreisen Marienburg, Marienwerder, Stuhm und Rosenberg sollte die Bevölkerung befragt werden. 

Ebenfalls befragt werden sollte die Bevölkerung im Süden Ostpreußens, konkret im Regierungsbezirk Allenstein und dem Kreis Oletzko. 

Zeitgleich fanden die Abstimmungen im westpreußischen Abstimmungsgebiet Marienwerder und im ostpreußischen Abstimmungsgebiet Allenstein am 11. Juli 1920 statt. Das Ergebnis war ein eindeutiges Bekenntnis zu Deutschland. Im Abstimmungsgebiet Marienwerder stimmten über 92 Prozent für den Verbleib beim Reich, im Abstimmungsgebiet Allenstein gar fast 98. Beide Abstimmungsgebiete verblieben also beim Reich. Elbing und das Abstimmungsgebiet Marienwerder wurden als Regierungsbezirk Westpreußen der Provinz Ostpreußen zugeschlagen.

Auf das Memelgebiet hatte das Reich ja bereits in Versailles verzichten müssen, und zwar „zugunsten der alliierten und assoziierten Hauptmächte“. Die Franzosen übernahmen im Auftrag des Völkerbunds die Verwaltung. So ähnlich wie die Russen bei der Krim marschierten die Litauer 1923 ohne Hoheitszeichen in das Memelgebiet ein. Die Franzosen waren kaum motiviert, ostdeutsches Siedlungsgebiet gegen Litauer zu verteidigen, die Deutschen hatten mit der zeitgleich beginnenden Ruhrbesetzung andere Probleme, und zudem war den Deutschen ein litauisches Memelgebiet im Zweifelsfall noch das kleinere Übel gegenüber einem polnischen, eng­lischen oder französischen Memelgebiet, das ebenfalls im Raum stand. 

1939, noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, gab Litauen Deutschland das Memelgebiet zurück. Die Litauer hatten genug Ärger mit den Polen, die immer noch von der polnisch-litauischen Union träumten; da wollten sie wenigstens an der deutschen Grenze Ruhe.

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und dem erfolgreichen Polenfeldzug wurde der Reichsgau Danzig-Westpreußen erschaffen. Als Nachfolger der Provinz Westpreußen erhielt er den ostpreußischen Regierungsbezirk Westpreußen zurück. Für diese Rückgabe wollte nun Ostpreußens Gauleiter Erich Koch Entschädigung. So wurde Ostpreußen um den Regierungsbezirk Ziechenau mit den Landkreisen Sudauen und Augustów erweitert. Aus den letztgenannten Kreisen wurde dann der Kreis Sudauen gebildet, der dem Regierungsbezirk Gumbinnen zugeschlagen wurde. Diese Gebietsgewinne überlebten das Kriegsende nicht.

Nach dem Kriege wurde Ostpreußen schließlich geteilt, in einen polnischen und einen sowjetischen Teil, wobei der sowjetische Teil wiederum geteilt wurde in einen russischen Teil, das Königsberger Gebiet, und einen litauischen Teil, das Memelgebiet. 

1990 wurde diese Teilung von der Bundesrepublik im Zwei-plus-Vier-Vertrag anerkannt. Seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 ist nun nicht mehr nur die Grenze zwischen dem polnischen und dem russischen, sondern auch die zwischen dem russischen und dem litauischen Teil Staatsgrenze. Ostpreußen ist zwischen den drei souveränen Staaten Republik Polen, Russische Föderation und Republik Litauen aufgeteilt. Das ist der Status quo.

Im Zuge der deutschen Vereinigung bot die Sowjetunion der Bundesrepublik neben dem von ihr besetzten Mitteldeutschland auch den von ihr verwalteten Teil Ostdeutschlands zum Kauf an. Von 48 Milliarden D-Mark war damals die Rede. Doch vom damaligen Bundesaußenminister Hans-Diet­rich Genscher ist der Ausspruch überliefert, „Königsberg nicht einmal geschenkt“ haben zu wollen.

Hätte die Bundesregierung es zugelassen, dass die Sowjetunion ihre Beute aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgibt, hätte sie Polen unter Zugzwang gesetzt, auch seine Kriegsbeute zurückzugeben. Hätte Polen im Gegensatz zur Sowjetunion seine Kriegsbeute nicht zurückgegeben, wäre es der Bundesregierung schwer gefallen, im traditionellen Ringen um Macht und Einfluss zwischen den Westmächten und Polen auf der einen Seite sowie Russland auf der anderen derart eindeutig und kompromisslos für erstere Partei zu ergreifen, wie sie es inzwischen getan hat.

Unabhängig davon, wie Polen auf eine Rückgabe des sowjetisch besetzten Teils Ostpreußens reagiert hätte – ob es den von ihm verwalteten Teil auch geräumt hätte oder nicht –, es wäre so oder so auf lang oder kurz deutscherseits der Wunsch entstanden nach einer Landbrücke zwischen dem Kern der Bundesrepublik und ihrer wie auch immer gearteten ostpreußischen Exklave. Damit wäre der traditionelle, schier antagonistische Gegensatz zwischen einem deutschen Interesse an einer Landbrücke zwischen Kerndeutschland und Ostpreußen sowie dem polnischen an einem Ostseezugang wieder zurückgekehrt.