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01.06.18 / Die Geister-Autos kommen / Trotz Rückschlägen geht der Trend zum selbststeuernden, führerlosen Fahrzeug weiter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-18 vom 01. Juni 2018

Die Geister-Autos kommen
Trotz Rückschlägen geht der Trend zum selbststeuernden, führerlosen Fahrzeug weiter
D. Jestrzemski

Ungeachtet mehrerer tödlicher Unfälle mit Beteiligung autonomer Fahrzeuge in den USA während der vergangenen Jahre ist in Kalifornien ein weiterer Schritt auf dem Weg zur allgemeinen Zulassung von selbstfahrenden Autos vollzogen worden. Ab April 2018 dürfen vollautomatische Fahrzeuge ohne Fahrerassistenz am Alltagsverkehr des größten US-Bundesstaats teilnehmen, vorausgesetzt, sie erfüllen sämtliche Sicherheitsstandards und sind vor Cyberattacken geschützt. 

Das bedeutet, dass niemand mehr als Fahrer in den eigens dafür umgerüsteten Roboterwagen sitzt. In Kalifornien waren bislang nur pilotierte Fahrzeuge mit einem Fahrer hinter dem Steuer zugelassen, um im Notfall eingreifen zu können. Diese Zuständigkeit übernimmt bei den lenkradlosen Roboterautos eine Leitstelle, die sich in kritischen Situationen einschalten kann. 

Damit ist der letzte von fünf Automatisierungsgraden bei der Entwicklung des automatisierten Fahrens erreicht. Dafür hatten sich unter anderem Technik-Konzerne aus dem Silicon Valley eingesetzt, darunter das Google-Schwesterunternehmen Waymo und der Fahrvermittler Uber. Testfahrzeuge ohne Lenkrad und Pedale waren bisher schon in den US-Bundesstaaten Michigan, Pennsylvania, North Carolina, Tennessee, Georgia, Texas, Colorado und Nevada unterwegs. 

Seit Jahren wird die Öffentlichkeit mit der Vorhersage konfrontiert, dass im Straßenverkehr schon in naher Zukunft nur noch autonome Fahrzeuge im Einsatz sein würden. Durch das automatisierte Fahren lasse sich die Zahl der Unfälle um bis zu 90 Prozent reduzieren, da die weitaus meisten Unfälle auf menschliches Versagen am Steuer zurückgingen. 

Diese derzeit nicht widerlegbare Aussage klingt wie eine Rechtfertigung von etwas scheinbar Unabwendbarem. Tatsächlich investieren viele Unternehmen in aller Welt bereits seit Jahrzehnten Milliarden Euro in diese Entwick­lung. Immer mehr hatte sich jedoch gezeigt, dass Menschen, die ein Auto nur beaufsichtigen, statt es aktiv selbst zu steuern, leicht abgelenkt und dann nicht in der Lage sind, rechtzeitig zu reagieren, um einen Unfall zu verhindern. 

Nach jedem schweren Unfall mit Beteiligung eines autonom agierenden Fahrzeugs in den USA entbrannte weltweit eine Debatte über die Schuldfrage, so auch nach einem tödlichen Unfall Anfang März 2018 in der Stadt Tempe, Arizona. Ein selbstfahrender Uber-Volvo mit einer Fahrerin hatte eine Frau erfasst, als sie die Straße überqueren wollte. Durch Insider wurde später die Mitteilung verbreitet, dass die Software des Wagens kurz vorher modifiziert worden sei, um allzu heftige Bremsmanöver zu vermeiden.   

Uber stoppte vorübergehend den Betrieb seiner autonomen Fahrzeuge für Tests und Kundenfahrten in einigen großen Städten, darunter Pittsburgh, Toronto und San Francisco. Der japanische Autokonzern Toyota stellte ebenfalls seine Tests ein. Waymo dagegen betonte zwei Tage nach dem tödlichen Unfall, dass seine Fahrzeuge sicher seien. 

Außerhalb der Branche werden in den USA immer mehr kritische Stimmen laut. Die unabhängige Verbraucherorganisation Consumer Watchdog gab zu bedenken, dass selbstfahrende Autos noch nicht bereit für die Straßen seien, wenn sie zum Zweck des selbstständigen „Lernens“ ihrer Logarithmen Menschenleben gefährdeten. 

Mit dem lenkradlosen Fahren ist seitens der Hersteller die Vorstellung verbunden, die Schuld- und Haftungsfrage „Mensch am Steuer oder Maschine“ nach Unfällen auszuschließen und auch die Zweifel am Nutzen des automatisierten Fahrens klein zu halten. Bei Unfällen mit fernüberwachten Fahrzeugen haftet im Zweifelsfall immer der Hersteller. Das offenbar angestrebte Ziel einer ausschließlichen Fernüberwachung von digital gesteuerten Fahrzeugen wurde von Seiten der daran arbeitenden Unternehmen erst kommuniziert, als diese erstmals auf die Straße gebracht wurden. So ist den meisten Menschen vermutlich noch gar nicht bewusst, dass sie in einigen Jahren als Fußgänger, Radfahrer und Autoinsassen an einem Straßenverkehr mit lenkrad- und fahrerlosen Fahrzeugen teilnehmen sollen.

Jahrzehntelang fragten die Entwickler des automatisierten Fahrens nicht danach, ob die Menschheit ihr „Geschenk“ überhaupt will. Zudem mussten sie sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass Unfälle im Straßenverkehr durch menschliches Versagen oft als unvermeidlich hingenommen werden, Unfälle durch pilotierte Fahrzeuge hingegen nicht, erst recht nicht, wenn Todesopfer zu beklagen sind. Demnächst könnte das unheimliche Szenario eines fahrerlosen, digital vernetzten Straßenverkehrs für Unruhe in der Gesellschaft sorgen.