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01.06.18 / Signale aus Friesland für eine bessere Welt / Von Dada bis Escher, von Königen bis zu königlichen Pferden: Leeuwarden ist Kulturhauptstadt 2018

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-18 vom 01. Juni 2018

Signale aus Friesland für eine bessere Welt
Von Dada bis Escher, von Königen bis zu königlichen Pferden: Leeuwarden ist Kulturhauptstadt 2018
Helga Schnehagen

Mit Leeuwarden präsentieren die Niederlande 2018 neben Valletta auf Malta eine der beiden jährlich wechselnden Kulturhauptstädte Europas. Die historische Stadt mitten im weiten flachen Weideland bereichert dabei ein vielfältiges Programm.

Wie spricht man Leeuwarden eigentlich richtig aus? Die Antwort verblüfft: Jede Fassung ist richtig! Sind von dem Namen doch über 200 Schreibvarianten bekannt. Noch heute in Gebrauch sind das niederländische Leeuwarden, das stadtfriesische Liwwadden und das westfriesische Ljouwert. Im Stadtpark Prinzengarten, der sich in diesem Jahr in einen Sprachengarten verwandelt, ziehen alle Namensvarianten in einer endlosen Neonschleife an einem vorbei.

So unklar der Name, so unklar die Übersetzung. „Warden“ steht eindeutig für Warft, „leeu“ dagegen interpretieren manche als „Löwe“, andere, wie der Stadtführer, als „bei, um“. Also „Bei der Warft“? Und schon sind wir mitten drin in der Sprachenvielfalt dieser Welt. Einen tiefen Blick in das babylonische Wirrwarr wirft das Besucherzentrum am Oldehoofsterkerkhof gegenüber vom Oldehove, dem schiefen Turm und Wahrzeichen der Stadt, dem alten Kirchturm von 1529, den nie ein Kirchenschiff ergänzte.

Um das Blickfeld des „Lân fan taal“ betitelten Projektes gehörig zu erweitern, findet man dort in einer Installation aus Hunderten aufgehängter Würfel in alphabetischer Reihenfolge die Namen aller 6720 anerkannten lebenden Sprachen dieser Welt. Die Botschaft, die sich dahinter verbirgt, entspricht dem ambitionierten Hauptstadtjahr-Motto: Habe den Mut, Neues zu wagen und anders zu sein für eine gemeinschaftlichere, friedlichere Welt.

Auch ohne intellektuellen Überbau beindruckt die Hauptstadt der Provinz Friesland allein durch ihren mittelalterlichen Stadtkern mit den typisch holländischen Grachten. Schwebt über den 600 Denkmälern, die sich darin verbergen sollen, doch unweigerlich ein Hauch von Amsterdam. Auch mit seiner Geschichte hält Leeuwarden nicht hinter dem Berg. Seine berühmtesten Söhne und Töchter grüßen von Wandgemälden beim Gang durch die Gassen.

Zu Leeuwardens blaublütiger Prominenz gehören die Vorfahren der niederländischen Königsfamilie. Von 1584 bis zu ihrer Abreise nach Den Haag im Jahre 1747 wohnten sie als Statthalter des Hauses Nassau-Dietz in der Hauptstadt von Friesland. Die letzte Nassau-Prinzessin in Leeuwarden war Marie Luise von Hessen-Kassel (1688 bis 1765). Nach dem frühen Tod ihres Mannes Fürst Johann Wilhelm Friso von Oranien musste sie zweimal als Regentin einspringen, zuerst für ihren Sohn, dann für den Enkel. Von den Niederländern liebevoll Marijke Meu, Tante Marie, genannte, sind sie und ihr Ehemann die jüngsten gemeinsamen Vorfahren aller derzeit regierenden Monarchen in Europa. Ein kolossales Wandgemälde am Oldehoofsterkerkhof zeigt das Fürstenpaar mit dem Stammbaum der europäischen Königshäuser.

Aber auch bürgerliche Berühmtheiten erblickten in Leeuwarden das Licht der Welt, darunter Frieslands Ikone Mata Hari (1876 bis 1917) und die Frau von Rembrandt, Saskia van Uylenburgh (1612 bis 1642) sowie Frieslands Vorzeigekünstler Maurits Cornelis Escher (1898 bis 1972). Mit den Ausstellungen „Escher auf Reisen (bis 28. Ok­tober 2018) und „Saskia und Rembrandt“ (25. November 2018 bis April 2019) ehrt das Fries Museum Leeuwardens berühmte Kinder.

Escher kam dort zur Welt, wo Marie Luise wohnte und sich heute das Keramikmuseum befindet: im Princessehof. Als Kind wohlhabender Eltern konnte er es sich leisten, seinen Neigungen zu folgen, sich zum Grafiker auszubilden, Künstler zu werden und einen Großteil seines Lebens im Ausland zu verbringen. Vor allem Italien hatte es ihm angetan. Seine Begeisterung für die Toskana, die Abruzzen, die Amalfiküste oder auch Rom hält er in zahllosen Zeichnungen und späteren Drucken fest. In ihrer fesselnden Sichtweise übertragen sie Eschers Italiensehnsucht wie magisch auf den Betrachter.

Seine Auseinandersetzung mit perspektivischen Unmöglichkeiten und optischen Täuschungen scheint in den Reisebildern vor dem Naturalismus zu weichen. Doch bei genauerem Hinsehen spielt Escher auch hier immer wieder mit perspektivischen Verzerrungen und motivischen Versatzstücken. Wer Escher vor allem von seinen unmöglichen Geometrien her kennt, kann in den Leeuwardener Landschaftsdarstellungen eine weithin unbekannte Seite des Künstlers entdecken.

Wer in Sachen Kunst weiter das Außergewöhnliche entdecken möchte, sollte auch nach Drachten fahren. Denn das Festprogramm bezieht die friesische Provinz mit ein. Drachten war einst das pulsierende Herz der Avantgarde. Die Stadt, in der die Dada-Bewegung 1916 gegründet wurde, wo 1917 das erste Manifest von De Stijl erschien und die Künstlervereinigung De Ploeg entstand. Der Ort, den die friesischen Schuster Thijs und Evert Rinsema, aber auch große Künstler wie Theo van Doesburg und Kurt Schwitters vor 100 Jahren zu ihrer Wirkungsstätte auserkoren. Mit Ausstellungen und Veranstaltungen in und außerhalb des Museums Dr8888 – es heißt tatsächlich so – feiert Drachten das ganze Jahr über sein revolutionäres Erbe.

Zum größten Ereignis im Kulturhauptstadtjahr könnte allerdings die in ihrer Art noch nie dagewesene Theateraufführung „De Stormruiter“ werden. Wenn sich im Auftrag des Königlichen Friesenpferden-Stammbuchs und der Stiftung Faderpaard die deutsche Novelle „Der Schimmelreiter“ von Theodor Storm in ein großes Musiktheaterstück mit 100 Friesenpferden in der Hauptrolle verwandelt. Bis zum heutigen Tag sehen die Menschen die Geister des Deichwarts und seines Pferdes auf dem Watt. Jos Thie, der ehemals Produktionen wie ABE! und Peer Gynt schrieb, erweckt die Legende aus dem Jahr 1650 zu neuem Leben. Die bombastische Aufführung über den übermütigen Deichgrafen Hauke Haien und seinen ewigen Kampf gegen das Meer findet vom 6. September bis 3. Oktober mit 15 Vorstellungen im WTC Expo in Leeuwarden statt. Die Produktion soll einmalig bleiben und nicht wiederholt werden.

Informationen und Gesamt-Programm im Internet unter: www.friesland.nl/de/kulturhauptstad-2018/programm