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08.06.18 / Keine vorgezogenen Wahlen / Nicaragua: Dialog zwischen Regierung und Opposition ausgesetzt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-18 vom 08. Juni 2018

Keine vorgezogenen Wahlen
Nicaragua: Dialog zwischen Regierung und Opposition ausgesetzt
Bodo Bost

Der Vermittlungsversuch der Kirche zur Überwindung der Krise in Nicaragua ist vorerst gescheitert. Der nationale Dialog wurde ausgesetzt, da sich Regierung und Opposition nicht auf eine gemeinsame Agenda einigen konnten. Das hat nun die Bischofskonferenz des mittelamerikanischen Landes mitgeteilt. Bei den Gesprächen sollte nach wochenlangen Protesten mit Dutzenden von Toten eine nationale Versöhnung auf den Weg gebracht werden. Die Regierung lehnte es bei dem Treffen mit der Opposition aber ab, Verhandlungen über vorgezogene Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr auf die Tagesordnung zu setzen.

Zuvor hatte sich erstmals auch das Militär in den Konflikt zwischen Regierung und Demonstranten eingeschaltet. Das Militär machte deutlich, dass es sich nicht für einen Machterhalt von Präsident Daniel Ortega und dessen Ehefrau und Stellvertreterin, Rosario Murillo, instrumentalisieren lassen will. Die Rolle der Streitkräfte in Nicaragua unterscheidet sich deutlich vom Militär in anderen Ländern Zentralamerikas. Als die Sandinisten 1990 die Wahlen gewannen, gab es viele Stimmen im Land, die sogar eine komplette Auflösung der Streitkräfte nach dem Vorbild Costa Ricas und Panamas forderten. Erst im Zuge der zunehmenden Machtkonzentration in den Händen Daniel Ortegas und seiner Frau Rosario Murillo seit 2005 kann man einen Trend zur Politisierung beobachten. Ortega baut seine Macht nicht auf dem Militär auf, sondern auf seinem Klientelismus und Populismus. Repressive Maßnahmen hatte er lange Zeit gar nicht nötig, aber die aktuellen Vorgänge zeigen, dass er nicht alle Institutionen im Land kontrolliert. Nach elf Jahren an der Regierung wird die Situation selbst für einen erfahrenen Populisten wie Daniel Ortega brenzlig. 

Im Vergleich zu Venezuela verfügt Ortega aber immer noch über mehr Popularität als sein venezolanisches Pendant Nicolás Maduro. Die letzten Wahlen im November 2016 gewann Ortega mit überragenden 72,5 Prozent der Stimmen souverän. Seitdem Ortega jedoch die Sympathie der Menschen nicht mehr mit kleinen Geschenken erkaufen kann, weil das Geld aus Venezuela ausbleibt, sinkt seine Popularität. Sogar innerhalb von Ortegas Familie scheint es gravierende Meinungsverschiedenheiten zur Lage im Land zu geben. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat sein Bruder, Humberto Ortega, ehemaliger Verteidigungsminister und pensionierter General des Heeres, den aktuellen Chef des Heeres, Julio Avilés, dazu bewegt, eine aktivere Rolle im aktuellen Konflikt zu übernehmen. Der zwei Jahre jüngere Bruder von Daniel Ortega hat sich wiederholt für einen offenen Dialog zur Beilegung der Gewalt ausgesprochen.

Seit Beginn der Massenproteste in Nicaragua Mitte April wurden nach Angaben der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (IAKMR), einem 1959 gegründeten Organ der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) mit Sitz in Washington, 86 Menschen getötet und mehr als 800 weitere verletzt. Die Wut der Demonstranten hatte sich im April gegen Pensionseinschnitte gerichtet. Angesichts des Widerstands zog Präsident Ortega sie schon bald wieder zurück. Inzwischen richtet sich der Unmut der Demonstranten generell gegen den autoritären Regierungsstil Ortegas und seiner Ehefrau. Der 72-jährige Politiker der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) und ehemalige Guerillakämpfer regiert Nicaragua seit elf Jahren.

Als Kommandant der linken FSLN-Guerilla hatte Ortega Anteil am Sturz der Diktatur von Anastasio Somoza im Jahr 1979, dessen Familienclan Nicaragua rund 45 Jahre lang beherrschte. Ortega regierte Nicaragua zunächst an der Spitze einer Junta und dann ab 1984 als Präsident. 1990 verlor Ortega die Wahl gegen seine ehemalige Mitstreiterin Violeta Chamorro. Es folgten lange Jahre in der Opposition. 2006 gelang Ortega die Rück­kehr zur Macht dank eines Bündnisses mit ehemaligen Somoza-Anhängern und dem konservativen Flügel der katholischen Kirche. Seither ist er ununterbrochen an der Macht. Von der einstigen Begeisterung für seine Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsprogramme ist so gut wie nichts mehr übrig. Immer mehr ehemalige Weggefährten distanzierten sich von ihm, als erster sein einstiger Kulturminister und Vordenker, Ernesto Cardenal. Der einstige Liebling der europäischen Linken äußerte sich vernichtend über Ortega. Er sei „ein schamloser Dieb“, der sich auf Kosten der Armen bereichere und gemeinsame Sache mache mit engsten Vertrauten des ehemaligen Diktators Anastasio Somoza.