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08.06.18 / Gegenwind / Kein Ausrutscher, sondern System

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-18 vom 08. Juni 2018

Gegenwind
Kein Ausrutscher, sondern System
Florian Stumfall

Es ist in noch frischer Erinnerung, mit welcher Attitüde der neue US-Botschafter Richard Grenell seinen Posten in Berlin angetreten hat. Fernab diplomatischer Gepflogenheiten und sogar außerhalb der allgemeinen Höflichkeit mischte er sich in die deutsche Politik ein und erklärte der Bundesregierung, was sie zu machen habe, kaum, dass er hinter seinem Schreibtisch Platz genommen hatte. Doch dieser Auftritt war kein Ausrutscher, sondern hat System.

Dieselbe Art, Kritik zu üben und Anweisungen zu geben, zeigte er dieser Tage wieder, als er in einem Interview erklärte, es sei seine Absicht, konservative Parteien in Europa zu stärken. Eine derartige Äußerung verletzt in unerträglicher Weise alle Regeln im internationalen Verkehr der Staaten untereinander, die jeden Diplomaten zur strengen parteipolitischen Neutralität verpflichten. Dass Grenell darüber hinaus als Botschafter in Deutschland dann auch noch als lobenswertes Beispiel den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz hervorhebt, macht die Sache noch schlimmer.

Nun könnte man meinen, dies alles sei der Ausdruck schlechter Manieren und der diplomatischen Unerfahrenheit des Mannes aus Michigan, aber eine solche Erklärung träfe nicht den Kern des Problems. Grenell kennt sehr wohl die diplomatischen Gepflogenheiten, aber er fühlt sich als Amerikaner daran nicht gebunden, und er weiß sehr wohl, dass es seine Aufgabe wäre, die US-Politik zu vertreten und nicht die deutsche zu tadeln, aber das ist ihm egal. Als Amerikaner steht er über solchen Bedingungen, so seine Ansicht, und mit der ist er nicht allein.

Was man bei Grenell vorerst noch in die Kategorien Diplomatie und Verhaltenskodex einordnen kann, nimmt anderswo in der Politik der USA ganz andere Formen an. Dieselbe Grundauffassung, dass für die USA die Regeln der anderen nicht gelten, steht hinter einer Rede, die General James Clapper, von 2010 bis 2017 oberster Geheimdienstkoordinator, kürzlich gehalten hat. Er versicherte, die USA würden sich nur dann in Wahlen anderer Länder einmischen und dort auch Regimewechsel durchführen, wenn dies „im Interesse der Menschen“ liege. Damit gab er zweierlei zu erkennen, nämlich erstens, dass Wahleinmischungen und Regimewechsel in anderen Ländern zum außenpolitischen Instrumentarium der USA gehören, und zweitens, dass es der Beurteilung Washingtons unterliegt zu entscheiden, was für die Menschen in einem beliebigen Land der Welt von Vorteil ist.

Clapper äußerte sich dazu bei einem prominenten Anlass, der Vorstellung seines Buches „Facts and Fears“. In einem Interview mit Tobin Harshaw von Bloomberg fuhr er fort: „Ich glaube, die Art, wie ich darüber denke, ist, dass durch unsere Geschichte, wenn wir versuchten, Wahlen zu manipulieren oder zu beeinflussen oder einfach Regierungen stürzten, dann hatten wir das beste Interesse der Menschen in diesen Ländern im Sinn.“ Er fügte hinzu, die USA hätten eine „traditionelle Ehrfurcht vor den Menschenrechten“.

Diese Geschichte, auf die sich Clapper beruft – nicht zur Rechtfertigung, denn die brauchen die USA nicht, sondern lediglich wegen der Anschaulichkeit –, zählt 242 Jahre. Davon verbrachte das Land 225 im Krieg, oftmals in verschiedenen Kriegen gleichzeitig. Der Politikwissenschaftler Dov H. Levin vom Institute for Politics and Strategy an der Carnegie-Mellon University in Pittsburgh machte allein in den Jahren zwischen 1946 und 2000 mehr als 80 Fälle von Wahleinmischungen und Regimewechseln fest. Im vergangenen Jahrhundert begannen die USA rund 70 Kriege, rund die Hälfte davon im eigenen Vorfeld, in Lateinamerika. Man könnte sagen, die Lateinamerikaner lehnen die Politik der USA deshalb heftiger ab, als andere Länder das tun, weil sie diese am besten kennen.

Es ist freilich so, dass auch die Lateinamerikaner versuchen, aus der Geschichte zu lernen, und das hat zumindest insoweit Früchte getragen, als die „Gringos“ dort allgemein unbeliebt sind und mit Arroganz, Drohung und Gewalt in Verbindung gebracht werden. US-Vizepräsident Mike Pence nahm den Amerika-Gipfel Mitte April in der peruanischen Hauptstadt Lima zum Anlass, weiter Öl in dieses Feuer zu gießen. Er wetterte mit Blick auf die lateinamerikanischen Länder, wenn auch nicht auf alle, gegen „Diktatur und Tyrannei“, musste aber dann seine Beteiligung am Plenum unterbrechen, weil bekannt wurde, dass sein Präsident Donald Trump gerade Syrien mit Raketen überfallen hatte. 

Allerdings sollte die manchmal ein wenig bizarre Art des Präsidenten Trump nicht dazu verleiten, alle seine Vorgänger für redliche Hausväter zu halten. Vor allem der am unzutreffendsten beurteilte Barack Obama, der Friedensnobelpreisträger des ersten Tages, war von derselben Überheblichkeit im Verkehr mit dem Rest der Welt erfüllt, und zwar aus tiefer Überzeugung. Er hob immer wieder den „amerikanischen Exzeptionalismus“ hervor und unterstrich damit die selbstverständliche Begründung dafür, dass die USA der Notwendigkeit enthoben seien, sich wie andere Länder an gemeinsame Vereinbarungen zu halten.

Am 30. Mai 2014 hielt Obama vor den Absolventen der Militärakademie West 

Point, der exklusivsten Einrichtung dieser Art in den ganzen USA, eine Abschlussrede, in der er sich zum US-Interventionismus uneingeschränkt bekannte. Er unterstrich zudem, dass seine Regierung weiterhin auf dem „Recht“ des US-Imperialismus beharren wird, militärisch einzugreifen, wo und wann er beschließt, dass ein Krieg seinen Interessen dient.

Seit Obama und auf unabsehbare Zeit hinaus spielt Syrien in der Interventions- und Kriegsstrategie der USA eine zentrale Rolle. Er selbst hatte das Land ein „wichtiges Element“ in einem größeren Plan genannt, demzufolge die USA den gesamten Nahen und Mittleren Osten von Grund auf verändern werden. Herhalten muss für solche Unternehmen immer eine aktuelle Ausrede, nordvietnamesische Angriffe auf die US-Zerstörer „Maddox“ und „Turner Joy“ im Golf von Tonking, die nie stattgefunden haben, für den Vietnamkrieg oder das vorgebliche irakische Giftgas des Colin Powell. Doch seit dem 9. November 2001 ist die US-Außenpolitik der Notwendigkeit enthoben, nach einem Anlass für den Krieg zu suchen, denn nun gibt es einen mit Ewigkeitswert: den Terrorismus. 

Unabhängig davon, ob eine Dschihadisten-Gruppe von der CIA gegründet worden ist oder nicht – die Erklärung, sie müsse bekämpft werden, hält immer her. Auf diesem Ticket befindet sich US-Militär widerrechtlich in Syrien, wo allerdings vor dem Eingreifen Russlands, das von der syrischen Regierung gedeckt ist, der Islamische Staat (IS) an Umfang, Macht und Landbesitz zugenommen hatte, obwohl doch angeblich die GI den Terror mit Eifer bekämpften. Es ist, wie nach 17 Jahren Afghanistankrieg: Das vorgebliche Ziel wird verfehlt.

Allerdings steckt in der US-Strategie gegen Nah- und Mittelost weniger die Verbreitung von Demokratie und Menschenrechten, sondern die Absicht, diese Länder zu zerteilen und auf diese Weise so zu schwächen, dass sie dem US-Einfluss keinen Widerstand mehr entgegenhalten können. In diesem Zusammenhang bedeuten „Menschenrechte“ nichts anderes als die Vorstellung der USA von der Weltordnung, in der sie unangefochten ganz oben stehen. Wie sagt Clapper? Die USA wissen, was zum Besten der Menschen ist. Ob diese Menschen, soweit sie nicht zu den Millionen Toten der US-Kriege gehören, ebenso denken, bleibt dahingestellt.