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08.06.18 / »1968 ist heute Leitkultur« / Spannende Podiumsdiskussion mit Bettina Röhl, Cora Stephan, Jörg Friedrich und Gerd Held in Berlin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-18 vom 08. Juni 2018

»1968 ist heute Leitkultur«
Spannende Podiumsdiskussion mit Bettina Röhl, Cora Stephan, Jörg Friedrich und Gerd Held in Berlin
Michael Leh

Eine Podiumsdiskussion über „Kulturbruch ´68?“ hat die „Bibliothek des Konservatismus“ in Berlin mit den prominenten Zeitzeugen Bettina Röhl, Cora Stephan, Jörg Friedrich und Gerd Held veranstaltet. Darin wurden auch die fortwirkenden Gefahren der 68er-Ideologie diagnostiziert. 

Der Historiker Jörg Friedrich, Jahrgang 1944, Autor des Werkes „Der Brand“ über den Luftkrieg gegen deutsche Städte, schilderte, wie er als Student nach Berlin ging, um sich dem Wehrdienst zu entziehen, und dort Mitglied einer linksextremen Gruppe wurde. Selbstkritisch sagte er: „Haben wir nicht die Gewalt, die ausgeübt wurde durch Fidel Castro, durch Che Guevara, durch Ho Tschi-Minh, durch Mao, durch Stalin, haben wir das nicht alle gebilligt, applaudiert?“ 

Man habe gar nichts gegen Gewalt gehabt: „Wir hatten nur etwas gegen die Gewalt von der falschen Seite.“ Von „1968“ habe sich auf heute vererbt: Die andere Meinung sei nicht falsche Ansicht, sondern Ketzerei: „Sie muss zum Schweigen gebracht und auch menschlich denunziert werden.“

Gerade sei er in Berlin „auf der Demonstration“ gewesen: „Da saß praktisch die AfD in einem Kessel und dahinter standen ungefähr 20000 Affen, die schrien ,Nazis raus‘. Das heißt, die haben hier stundenlang den Nationalsozialismus verharmlost.“ 

Es habe sich doch nicht um „Nazis“ gehandelt: „Das waren alte, desorientierte Leute, die mit Schwarz-Rot-Gold dastanden und Einigkeit und Recht und Freiheit gesungen haben.“ Heute, so Friedrich, gebe es einen „Machtblock“, der „jeden existenziell zerquetscht und letztendlich die Luft zum Atmen nimmt“. Und: „Wer nicht auf Linie ist, ist kein Dissident, sondern eine Ver­dachtsperson.“

„Wenn wir uns hier vor drei Jahren getroffen hätten, im Mai 2015, hätte ich gesagt: 68 war ein Mummenschanz, ein Kostümfest, wo Leute mit der Ballonmütze als Arbeiterbefreier herumgelaufen sind, als Stadtguerilleros, wo sie die Liebe und Erziehung neu erfunden haben. Alles dummes Zeug, spurlos verschwunden.“ Heute jedoch habe er den Eindruck, er habe sich wieder einmal geirrt: „68 hat gesiegt“.

Die Publizistin Cora Stephan erklärte: „Was mich auch immer wieder frappiert: Die Toten von Stalin, die Toten von Mao existieren nicht. Den größten Massenmörder haben die Deutschen gestellt. Alle anderen Massenmörder sind irgendwie aus dem Bewusstsein verschwunden. Es erschüttert mich immer zutiefst.“

Bettina Röhl, die 1962 geborene Tochter Ulrike Meinhofs, hat gerade ihr neues Buch „Die RAF hat euch lieb – Die Bundesrepublik im Rausch von 68 – Eine Familie im Zentrum der Bewegung“ vorgelegt. Das Werk setzt ihr auch immer noch sehr lesenswertes Buch „So macht Kommunismus Spaß! Ulrike Meinhof, Klaus Rainer Röhl und die Akte Konkret“ aus 2006 fort. 

Äußerst kenntnisreich seziert Röhl die 68er-Bewegung, zertrümmert ihre Mythen und zeigt die anhaltenden Gefahren ihrer Ideologie auf. „Nach meiner These ist 68 ein Paradigmenwechsel, ein Sieg passiert“, sagte sie. Auf dem Höhepunkt, zwischen dem Vietnamkongress an der TU Berlin und während der Osterunruhen nach dem Attentat auf Rudi Dutschke, habe „eigentlich der geistige Sieg der 68er schon gewirkt“. 

Der Kommunismus habe schon vor 1968 in Deutschland und im Westen „Siegeszüge der Propaganda gefeiert“. Im „fanatischen, sektenhaften KBW“ seien Hunderttausend organisiert gewesen, „hinzu kamen noch Massen, die nicht organisiert waren, aber ebenso gestrickt waren“. Auch Podiumsteilnehmer Gerd Held, später Leitartikler der Tageszeitung „Die Welt“, heute Autor unter anderem bei der „Achse des Guten“ und „Tichys Einblick“, war elf Jahre lang KBW-Mitglied.

Röhl sagte, der 68er-Geist sei „in Wellen durch die Gesellschaft gegangen“, in immer neuen Bewegungen. Dazu zähle auch die von der DDR beeinflusste „Friedensbewegung“. „Die Pershing-II-Raketen wurden bekämpft“, sagte sie, „aber die Bewaffnung der Sowjetunion nicht“. 

Seit 1968 würden sich die Menschen nicht mehr mit dem Staat identifizieren, sondern „immer mit der nächsten Protestbewegung“. Es sei „eigentlich egal: Feminismus, marxistische Gruppen – es gibt unwahrscheinlich viele Spielarten –, dann die Anti-Atombewegung“. „68 ist heute meiner Ansicht nach die Leitkultur, das heißt Normalnull, wir merken es auch nicht mehr“, so Röhl. Und: „Sehr viele Gedanken aus dem Marxismus und auch aus dem Maoismus sind irgendwie in unsere Gesellschaft hineingekommen, und wir reflektieren es nicht mehr.“ 

Die Identifikation der 68er mit der „grausamen und primitiven Kulturrevolution“ Mao Tse-tungs, mit dem Vietcong, mit Massenmördern, das sei „nicht alles raus“, Ideen verschwänden nicht einfach von alleine: „Die Antifa würde ich heute immer noch als jüngste rote Garde dieser Kulturrevolution von Mao bezeichnen.“ Bis heute habe die Antifa immer noch „die Attitüde der Moral“, dass sie angeblich für Menschenrechte kämpfe. Immer noch gebe es sehr viele Menschen, die sagten, auch wenn etwa bei einem G20-Gipfel in Hamburg Zerstörungen stattfänden, es sei aber doch „gut und wichtig, dass da auch protestiert“ werde. 

Röhl erinnerte daran, dass auch Mao 1966 einen „Kampf gegen rechts“ ausgerufen habe und einen „Kampf gegen die Geige, gegen das Ballett, gegen Kosmetik“. „Die Grünen in den Strick­pullovern“, fügte sie hinzu, „durften sich auch nicht schminken“. Und: „Wir sollten schon sehen, dass in jedem Politikfeld heute 68 immer noch eine Rolle spielt.“

„Ich behaupte ja“, sagte Röhl, „Angela Merkel hat spätestens seit 2011 die Staffel der 68er in die Hand genommen, weil das immer noch Siegerenergie ist und immer noch die meisten Stimmen bringt.“ Zu den negativen Folgen von „1968“ gehöre, dass es bei „jedem Diskurs, egal welches Thema“ nur noch Schwarzweiß gebe. So wie man Gegnern das Mikrofon weggenommen habe. 

Wer angezweifelt hätte, dass „nur die Amerikaner schlimm waren in Vietnam und nicht vielleicht auch der Vietcong, der wäre gelyncht worden“. Wer für Atomkraft sei, sei „gleich ein Massenmörder“. Das gehe so „von damals bis heute, bis zu den Diskussionen über Trump und Obama“. Die Hysterisierung habe nicht aufgehört. „Ich sehe in der Zeitung jeden Tag Hetze“, erklärte Röhl, „von der ich sage, das ist immer noch 68er-Geist.“ 

Auf die Frage der PAZ zur Entwicklung der Unionsparteien und den Hinweis, dass zum Beispiel in Trier auch die CDU ohne Gegenstimme der Aufstellung einer über fünf Meter hohen Propaganda-Statue von Karl Marx aus Peking zugestimmt habe, erklärte Röhl, eigentlich hätten die 68er schon seit 1968 keine aktiven Gegner mehr – „keine, die argumentieren“. Man höre nur oft „so ein Gejammer“, alles sei schlimm und die 68er an allem schuld: „Aber es gibt keine richtig konstruktive Kritik an 68.“ Das konservative Lager und „die Wirtschaft“ hätten sich „einmal Karl Marx vornehmen und ihn auseinandernehmen müssen. Das ist unterblieben“. 

Es sei ein „ganz großes Manko der konservativen Seite, der bürgerlichen Gesellschaft“, sich „nicht genug und nicht richtig mit 68“ auseinandergesetzt zu haben. „Die Aufarbeitung von 68 ist sinnvoll, auch für heute“, betonte Röhl. 1998 sei Rot-Grün an die Macht gekommen, „und damit 68“. 

Die „noch größere Konfusion“ verkörpere Angela Merkel, die „jetzt irgendwie kapiert“ habe, dass die 68er-Ideen alle gesiegt hätten. „Denen rennt sie jetzt hinterher, die Sozialdemokraten sind auch schon ganz blass“. Wo das „konservative Element geblieben ist“, das sei das „ganz große Problem, vor dem wir stehen“. Sie plädiere dafür, „nicht auf die Straße zu gehen“, sondern sich mit „Fakten und Analysen“ zu beschäftigen. „In der Historie findet man auch Antworten“, fügte sie hinzu.