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08.06.18 / Respekt und Anerkennung nach 75 Jahren / Die polnische Stadtverwaltung schätzt eine Initiative der Vertriebenen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-18 vom 08. Juni 2018

Respekt und Anerkennung nach 75 Jahren
Die polnische Stadtverwaltung schätzt eine Initiative der Vertriebenen
Chris W. Wagner

Am 3. Juni wurde auf dem jüdischen Friedhof im niederschlesischen Ohlau [Olawa] eine zweisprachige Gedenktafel eingeweiht. Die Initiative für diese Aktion kommt vom Bund der Vertriebenen (BdV) in Thüringen und soll das Projekt zur Restaurierung dieses Friedhofes neu beleben.

Heinz Scholz war acht Jahre alt, als in Ohlau die Reichskristallnacht wütete. Am nächsten Morgen, als er mit Bekannten durch die Stadt ging, befiel den Jungen ein gruseliges Gefühl, die Welt geriet aus den Fugen. Bürger, denen eigentlich Respekt und Anerkennung hätte gelten sollen, wurden angegriffen. Scholz hat sich zur Lebensaufgabe gemacht, das Schicksal dieser Landsleute vor dem Vergessen zu bewahren. Aus seiner Initiative, die seine Mitstreiter vom Regionalverband Weimar des Bundes der Vertriebenen unterstützten, wurden Spenden gesammelt, Gespräche geführt, Aufklärungsaktionen gestartet.

Vor fast 15 Jahren hatten sich Scholz und andere Vertriebene aus Ohlau und anderen Städten an die polnische Stadtverwaltung gewandt, den jüdischen Friedhof, der sich in einem desolaten Zustand befand, in einen zumindest ansehnlichen Zustand zu versetzen. Scholz und seine Mitstreiter hatten gute Argumente: Auf dem 1833 in Ohlau gegründeten jüdischen Friedhof sind – durch erhaltene Grabsteine mit hebräischen Inschriften nachgewiesen – Angehörige der Familie Pringsheim beigesetzt worden. Alfred und Hedwig Pringsheim waren die Schwiegereltern von Thomas Mann. Sie wurden durch physische und psychische Verfolgung, Entrechtung und Enteignung ins Exil nach Zürich getrieben, wo sie 1941 beziehungsweise 1942 verstarben. Die Familie von Katharina Mann, geborene Pringsheim, war in Schlesien sehr angesehen. Dieses berichteten Scholz und seine Mitstreiter Jacek Pilawa, der damals im Rathaus Ohlau zuständig für Kontakte mit dem Ausland war. Sie liefen offene Türen ein. Am 12. Juni 2012 wurde ein Kooperationsvertrag mit dem BdV-Regionalverband Weimar unterzeichnet. Auch die jüdische Gemeinde von Breslau hatte ihre Mitarbeit erklärt. „Nachdem im Beisein der Bürgermeister von Weimar und Ohlau die Zusammenarbeitserklärung unterzeichnet wurde, kamen deutsche Journalisten auf uns zu und fragten, ob es uns nicht störe, dass ausgerechnet der Bund der Vertriebenen das Projekt finanziere. Ich habe geantwortet, dass lokale Politiker, Geschäftsleute und Medienvertreter, die durch die Welt reisen, neue Informationskanäle bilden. In der obersten Ebene in Europa gibt es vielleicht Vorbehalte gegen den BdV, aber auf lokaler Ebene machen wir unsere Arbeit, die wir als etwas Faszinierendes und Wertvolles ansehen“, berichtet Jacek Pilawa im jüdischen Magazin Chidusz. 

Die Aufgaben wurden aufgeteilt, die Stadt und der BdV sorgten für Gelder, die jüdische Gemeinde wurde beauftragt eine Inventur des Friedhofs zu erstellen, womit Agnieszka Kagankiewicz und Michal Mostowicz-Gerszt von der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Juden in Niederschlesien betraut wurden. „Unter den jüdischen Friedhöfen, die fast alle in einem schlechten Zustand waren, machte der in Ohlau auf uns einen besonders bedrückenden Eindruck. Verlassen und vergessen, überwuchert und verwildert, sodass man kaum noch erkennen konnte, dass dies eine Nekropole war. Lediglich Schüler der Ohlauer und Breslauer Oberschulen räumten den Friedhof in dreimaliger Aktion auf“, erinnert sich Kagankiewicz. 

Aufgrund dieser Inventur wurde ein Sanierungsprojekt ausgearbeitet. Gelder dafür stellte die Stadt. 2013 reiste eine Delegation des BdV-Landesverbandes Thüringen unter Leitung des Thüringer Landtagsabgeordneten Egon Primas nach Ohlau, um Bürgermeister Franciszek Pazdziernik und Alexander Gleichgewicht von der jüdischen Gemeinde Breslau die zugesagte Spende zu überreichen. Schade, dass in einer sonst gelungenen Aktion bereits Vertriebene polnische Ortsnamen im deutschen Text auf der BdV-Internetseite verwenden müssen.

Die Schäden auf dem Ohlauer Friedhof waren gravierender als angenommen und die Sanierungskosten überstiegen das Budget. So mussten Anträge an das polnische Kultusministerium gestellt werden, und es dauerte noch weitere fünf Jahre bis zur Gedenktafeleinweihung, an der dann der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde Thüringens, Prof. Reinhard Schramm, Vertreter der jüdischen Gemeinde in Breslau sowie Gemeindevertreter Ohlaus und Vertreter der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaft in Breslau anwesend sein konnten.