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08.06.18 / »Urige Segelei« / Auf dem Segelschulschiff »Greif« durch den bewegten Greifswalder Bodden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-18 vom 08. Juni 2018

»Urige Segelei«
Auf dem Segelschulschiff »Greif« durch den bewegten Greifswalder Bodden
Peer Schmidt-Walther

Ungläubig und auch etwas ängstlich legt Stephanie ihren Kopf ins Genick, um die beiden fast 30 Meter hohen Masten zu bestaunen. Sie sind eine Herausforderung für die frisch zusammen gewürfelte Crew, die sich neugierig auf das eintägige Ostsee-Segelabenteuer eingelassen hat.

Und sie wollen es alle wissen. Doch vor der Praxis kommt die (gar nicht) graue Theorie: Was sie hier vom Ersten Nautischer Offizier, kurz NO genannt, hören, können sie „nicht nur sehen, sondern auch gleich einsehen, vieles auch anfassen beim Anpacken“.

Wie ein Feuerwerk prasseln neue Begriffe auf sie ein, doch die Einweisung in Schiff und Bordgepflogenheiten muss sein. „Sie“ sind zum Beispiel die Betriebsangehörigen der Agrargenossenschaft Groß Kiesow: „Das ist“, sagt jemand, „wie das Luftholen vor der großen Ernte“. Ihr Jahresausflug von der vorpommerschen Scholle auf die schwankenden Planken der Schonerbrigg „Greif“. 

Das Flaggschiff von Mecklenburg-Vorpommern ist aber auch Lernort: für Studentinnen der Hochschule Stralsund (HOS). Zu ihrem Touristik-Studium gehört das besonders praxisorientierte Fach Maritimer Tourismus. „Wir wollen nicht nur Wissen anhäufen“, sagt Stephanie, „sondern auch fühlen, wie Wind und Wetter direkt auf ein Schiff wirken“. Zu solcherart Studien eignet sich die „Greif“ ganz besonders.

Wolken jagen an diesem Tag über den Bodden. „Genau richtig für uns“, findet aber Kapitän Roland „Rollo“ Hunscha, als er seine Tagesgäste an der Gangway persönlich empfängt. Seine Crew freiwilliger Helfer, die während ihres Urlaubs – aus Begeisterung für „unser Schiff“ – von überall her angereist sind, warten auf der Back. Erster Offizier Olli weist sie in ihre Aufgaben als Ausguck, Festmacher, Rudergänger und Segler ein. Schließlich über Bordlautsprecher das Kommando: „Klar vorn und achtern zum Auslaufen!“ Langsam tastet sich der 41 Meter lange Segler vom Heimathafen Greifswald-Wieck durch die schmale Fahrrinne nach Osten. Die roten und grünen Tonnen wirken wie eine Slalomstre-cke.

Als endlich die Masten zum Entern freigegeben werden, sind die „Seefahrtsschüler“ nicht mehr zu bremsen. Mit umgelegtem Sicherheitsgurt und wackligen Knien tasten sie sich nach oben vor, freiwillig natürlich. Der Bootsmann – an Bord sind alle per du – unterstützt von Deck aus stimmgewaltig den Aufwärtstrend. „Ist das super hier oben!“, tönt es bald mehrstimmig von Stephanie, Melina und Cindy aus dem „Gehölz“, wie die Takelage auch heißt. Nur auf den fingerdi-cken Drähten der Rah-Fußpferde wippend, genießen die Studentinnen das neue Hochgefühl. Unter ihnen das Schiff und in der Ferne die Türme der altehrwürdigen Hansestadt. Rügens Küsten grüßen von jenseits des Boddens als grauer Streifen herüber.

Alle legen sich ins Zeug. Mancher Griff nach einem Tampen zum Segelsetzen geht im Eifer des ersten Manövers daneben, doch hilfreiche Ausbilderhände sind schnell zur Stelle. Wind und Segel bekommen ihre Chance. Durch die von Schaumköpfen aufgeraute See – Ost-Rügen liegt an Back­bord, Usedom an Steuerbord – rauscht der Segler bei steifem Nordwest-Wind mit Schräglage in den Greifswalder Bodden. Fast bis vors lehmgelbe Südperd-Kliff, dem Südostkap von Rügen. Des Bootsmanns Stimme ruft alles übertönend zum Segelmanöver: „Klar zur Wende!“ Die Brassleinen werden auf der einen Seite durchgeholt, auf der anderen lose gelassen. Vorschriftsmäßig meldet der Ausguck von der Back, was er voraus sieht: „Steuerbord 

20 Grad, Fahrzeug unter Segeln!“ „Wer hier nur Vorfahrt hat?“, fragt ein Landwirt, der solche Probleme mit seinem Trecker auf weiter Ackerflur nicht kennt.

Ein Crew-Mitglied schlägt mit der Schiffsglocke am Fockmast acht Glasen: zwölf Uhr – und Mittag! Frotzelt über die Wechselsprechanlage Olli prompt: „Brü-cke an Back: Das klingt ja noch wie ‘ne Kuhglocke!“

Aus Smutjes Mini-Kombüse duftet es schon eine Weile appetitsteigernd. Sein Chili con Carne geht weg wie warme Semmeln. In der Messe und an Deck unter Regenschutz-Persenningen löffeln sie die kräftigende Suppe und erzählen sich die Rah- und Decks­erlebnisse vom Vormittag. Aus ihren Worten klingt Stolz, haben die Profis sie doch gelobt: „Das läuft ja schon ganz ordentlich mit euch!“ Das Bootsmanns-Training hat schnell gefruchtet, weil alle hoch motiviert sind. Was sich auch beim anschließenden Souvenirkauf niederschlägt: Manch eine(r) streift sich ein „Greif“-Hemd über oder setzt sich eine Baseballkappe mit Schiffsmotiv auf. Nach dem Motto: „Wir gehören jetzt dazu!“

Auf der mit modernen nautischen Geräten ausstaffierten Brücke steht ein „Greif“-„Frischling“ am hölzernen Ruder. Er überzieht die graue See mit seinem privaten, schaumigen Steuer-„Strickmuster“. Der Mann strahlt beim Blick nach achtern auf seine Zickzack-Spur im Kielwasser. Kapitän „Rollo“ nimmt’s mit Humor: „Bis zurück nach Greifswald haben wir noch genügend Zeit, da können wir uns diesen Tanz ruhig leisten“.

Der Schnuppertörn geht am Nachmittag zu Ende. Viele wollen im nächsten Jahr unbedingt wiederkommen: wegen der „urigen Segelei“ und des „starken Gruppengefühls“.

Die Fachhochschul-„Mädels“ könnten sich sogar vorstellen, auf der „Greif“ als Hand gegen Koje-Trainees anzumustern. „Vielleicht ergibt sich daraus ja auch ein Hausarbeitsthema“, meinen Cindy und Melina, „zum Beispiel ‘Synergieeffekte bei der optimalen Vermarktung eines Großseglers aus der Region’“. Das maritime Leben auf der „Greif“ hat sie – nicht nur akademisch – dazu animiert.