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15.06.18 / Berlin kennenlernen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-18 vom 15. Juni 2018

Berlin kennenlernen
Theo Maass

Berlins U- und S-Bahn-Netz ist zwar  das größte in Deutschland, doch im Vergleich zu London oder Paris ist es erweiterungsbedürftig. Millionen Menschen nutzen es täglich. Viele entscheiden sich bewusst für die Bahn, dazu gesellt sich aber auch die größerwerdende Schar der „working poor“, der „arbeitenden Armen“, die kein Geld für ein Auto haben und daher gezwungenermaßen mit der Bahn fahren.

Es gibt auch Zielorte, die mit den beiden Bahnen rascher zu erreichen sind als mit dem Auto. Dies gilt vor allem dann, wenn die Reise ohne Umsteigen zu bewältigen ist.

Früher wurden Bau oder Instandsetzungsarbeiten bei Bahnen meist in der Nacht ausgeführt oder, wenn das nicht zu bewerkstelligen war, doch wenigstens ein eingleisiger Pendelverkehr eingerichtet. Die Fahrgäste merkten oft gar nichts davon.

Heute wird stattdessen lieber tage- oder wochenlang die ganze Strecke gesperrt. Dafür wird dann ein „Schienenersatzverkehr“ mit Bussen eingerichtet. Dieser Tage wurde bekannt, dass nun auch die U-Bahn-Linie 55 – hochtrabend Kanzlerbahn genannt – für ein geschlagenes halbes Jahr ihren Betrieb einstellt. So lange Zeit wird angeblich benötigt, um Schienen und Schotter für die Verlängerung der Bahn in die Tunnelanlagen der im Rohbau fertigen Verlängerung der Bahn zu schaffen. 

Selbst ein Teil der erst 1995 in den Westteil Berlins verlängerten Straßenbahnen M 13 und 50 nach Wedding liegt zurzeit still. Dafür ist dann je ein Fahrstreifen der dreispurigen Seestraßen wegen Bauarbeiten gesperrt. 

Besonders nachteilig ist es, wenn S-Bahn-Strecken betroffen sind, die von Brandenburg nach Berlin führen. Der Schienenersatzverkehr folgt dann nicht unbedingt den Verkehrsströmen auf den Straßen, sondern muss – es ist ja ein Ersatzverkehr – die einzelnen Bahnhöfe der zeitweilig stillgelegten Bahnstrecken abfahren. Das dauert deutlich länger als die normale Fahrt mit einem Linienbus. Es ist daher keine echte Alternative zum Auto als Verkehrsmittel. Die Kunden kommen damit nicht pünktlich zur Arbeit, es sei denn, sie stehen ein oder zwei Stunden früher auf. Dann sitzen die Pendler ewig lang im Bus. 

Aber einen Trost gibt es doch. Die Fahrgäste lernen die Stadt kennen und haben auch ausreichend Zeit, die Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke zu bewundern. Wenn am Wegesrand welche liegen sollten. Führt der „Schienenersatzverkehr“ sie dagegen durch die  Ghettos der „No go Areas“ Berlins, hilft noch der Versuch, möglichst unbeteiligt auf den Boden vor sich hin zu starren. Sonst nimmt man sich eben ein Buch mit. In unserer sonst schnelllebigen Zeit findet man ja sonst wenig Zeit zum Lesen.