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15.06.18 / Erdogans Treter ungeschoren / Türkischer Oppositionschef erinnert an Vorfall nach Grubenunglück

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-18 vom 15. Juni 2018

Erdogans Treter ungeschoren
Türkischer Oppositionschef erinnert an Vorfall nach Grubenunglück

Vor vier Jahren wurden bei einem Grubenunglück im türkischen Soma 301 Bergleute getötet. Jetzt gedachte der türkische Oppositionsführer Muharrem Ince der Toten und erinnerte an den Berater von Staatschef Recep Tayyip Erdogan, der damals einen demonstrierenden Bergarbeiter getreten hatte. 

Zum größten Arbeitsunfall in der Türkei kam es durch die Fahrlässigkeit des Betreibers, die zu der Explosion in der Kohlemine führte. Mangels einer Grubenaufsicht kommt es in der Türkei häufig zu Katastrophen. Erdogan, damals Premierminister, besuchte kurz darauf die Stadt und erinnerte an Unter-Tage-Katastrophen im England des 19. Jahrhunderts: „Solche Dinge kommen ständig vor, das liegt in der Natur der Dinge.“ Diese kaltblütige Aussage hatte damals die Angehörigen und betroffenen Kumpel derart erzürnt, dass noch während Erdogans Besuch Bergarbeiter eine Kundgebung abhielten. Während dieser Proteste kam es zum Eklat, als der damalige Berater des Präsidenten, Yusuf Yerkel, im Handgemenge mit Demonstrierenden einen bereits am Boden liegenden Bergarbeiter, der verhaftet werden sollte, gnadenlos mit Tritten traktierte. Das Bild ging um die Welt. Es gehört zu den Bildern, welches die jüngere Geschichte der Türkei wie kaum ein anderes auf den Punkt bringen.

Der demonstrierende und getretene Bergarbeiter Erdal Kocabiyik protestierte damals gegen das „Massaker“ an seinen Bergarbeiter-Kollegen. Er protestierte gegen die Bergbaufirma und den Staat, die trotz aller Warnungen ihren Verpflichtungen und Verantwortungen im Sicherheitsbereich nicht nachgekommen waren und an dem Tod der Bergleute Schuld waren. Kocabiyik wurde anschließend entlassen und zu einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 117 Euro verurteilt, weil er „das Schutzfahrzeug des Ministerpräsidenten beschädigt haben soll“. Damit noch nicht genug, auch wegen „Beschädigung öffentlichen Eigentums“ wurde er angeklagt und schließlich zu zehn Monaten Haft verurteilt.

Yerkel, der den Bergmann getreten hatte, hat sich nach diesem Vorfall für sieben Tage krankschreiben lassen, weil er sich beim Treten den Fuß verstaucht hatte. Er wurde nicht entlassen und behielt seine Stellung bei Erdogan. 

Vielen Türken war der Vorfall kaum noch präsent. Bis jetzt Muharrem Ince, der Kandidat der Opposition daran erinnerte. Er sprach auf der Gedenkveranstaltung in Soma und sagte, falls er die Wahlen gewinne, sei er nicht auf „Rache oder Revanche“ aus, mit einer Ausnahme: „Dem getretenen Mann wurde hier die Arbeit verweigert. Wenn ich den Mann, der ihn trat, nicht zur Rechenschaft ziehe, bin ich feige.“

Ein paar Stunden nach dieser Erklärung gab der Treter, der vier Jahre lang so getan hatte, als sei nichts gewesen, eine Stellungnahme in den sozialen Medien ab. Vielleicht fürchtet er, dass am 24. Juni die Regierung wechselt, vielleicht wurde er sogar vom Erdogan dazu aufgefordert. Allerdings beließ er es bei einer nüchternen „Entschuldigung“. Dagegen wiederum protestierte der Theatermacher Baris Atay, der wie viele andere verlangte, dass Yerkel sich für seine Tat vor Gericht verantworten müsse. Mit dieser Forderung wurde er selbst zur Zielscheibe. Nicht der Treter wurde jetzt zur Verantwortung gezogen, sondern dessen Kritiker. Zwei Tage nach dem Jahrestag des Grubenunglücks wurde Atay in seiner Wohnung festgenommen.B.B.