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15.06.18 / Die EZB als Intensivstation für Italien / Sollte das Land in die Insolvenz schlittern, drohen an vielen Stellen Milliardenverluste

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-18 vom 15. Juni 2018

Die EZB als Intensivstation für Italien
Sollte das Land in die Insolvenz schlittern, drohen an vielen Stellen Milliardenverluste
Norman Hanert

Aus Sicht des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) ist Italien nicht in der Position, von seinen Gläubigern einen Schuldenerlass zu erzwingen. Eine Reihe von Wirtschaftswissenschaftlern sieht dagegen für Deutschland und andere Euro-Länder ein erhebliches Risiko – durch einen Schuldenschnitt für Italien, durch eine Inflationierung des Euro oder durch eine Schuldenunion.

In einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“ sagte der frühere Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, er sehe vonseiten der Italiener „überhaupt nicht dieses Erpressungspotenzial“, um einen Schuldenerlass zu erzwingen. Der CDU-Politiker sprach sich zudem für Gelassenheit im Umgang mit der neuen italienischen Regierung aus. Deren Wahlkampfäußerungen hätten „mit Regierungspolitik nichts zu tun“, so Schäuble. Einige Ökonomen sind da wesentlich skeptischer. Robert Halver, Leiter der Kapitalmarkt­analyse der Baader Bank, sieht Italien durchaus in einer starken Verhandlungsposition. Aus seiner Sicht könnte eine italienische Regierung mit einem „Italexit“, einem Ausstieg aus dem Euro, drohen. Dieser wäre „im Gegensatz zum Grexit der politische Super-GAU, der das gemeinsame europäische Haus zerstört“, so Halver im „Manager Magazin“. 

Vor dem Hintergrund seiner Einschätzung, dass Italien im Vergleich zu Brüssel die besseren Karten hat, sieht Halver die Umwandlung der Stabilitätsunion in eine „romanische Schuldenunion“ kommen. Auch Hans-Olaf Henkel hat im „Focus“ mit Blick auf Italien darauf hingewiesen, dass das gesteigerte Risiko ein erhöhtes Erpressungspotenzial geschaffen habe: „Rettungsgarantien wirken wie ein Angebot für die Schuldnerländer, sich den Verbleib in der Eurozone mithilfe anderer Steuergelder zu versüßen.“

Tatsächlich steht bei einem Ausscheiden Italiens sehr viel mehr auf dem Spiel, als dies bei Griechenland der Fall war. Italien hat mittlerweile einen Schuldenberg in Höhe von 2,3 Billionen Euro angehäuft. Dies entspricht rund 132 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes. Carmen Reinhart von der Harvard Universität zählt zu der ohnehin schon horrenden offiziellen Staatsverschuldung noch die Verbindlichkeiten Italiens im Rahmen des Euro-Verrechnungssys-tems Target 2 hinzu. 

Tatsächlich steht Italiens Zentralbank bei anderen Notenbanken im Rahmen dieses Systems mit 430 Milliarden Euro in der Kreide. Die Target-Forderungen der Bundesbank an andere Euro-Zentralbanken sind auf ein neues Allzeithoch von 956 Milliarden Euro gestiegen.

Sollte Italien in eine Insolvenz schlittern, drohen allerdings auch an anderer Stelle Verluste. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Zuge ihrer Anleihekäufe mittlerweile Papiere für 345 Milliarden Euro angekauft. Auch Banken der Euro-Zone sind über Anleihen und Kredite mit 513 Milliarden Euro in Italien engagiert. Der Löwenanteil entfällt dabei mit über 310 Milliarden Euro auf Frankreichs Banken. Das Engagement deutscher Geldhäuser wird mit über 90 Milliarden Euro beziffert. Weitgehende Einigkeit besteht unter Wirtschaftsexperten darin, dass allein die offiziell ausgewiesene Staatsverschuldung Italiens langfristig nicht tragbar ist. Bislang wurde die Problematik durch die Aussetzung von Marktmechanismen auf Eis gelegt. Die Nullzinspolitik und die Anleihekäufe der EZB haben Italien eine Verschnaufpause verschafft, die Überschuldungsproblematik ist aber weiterhin ungelöst.

Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt bei der DZ Bank, hat inzwischen auch auf das Risiko hingewiesen, dass sich Italiens Liquiditätslage rapide verschlechtern könnte. „Ohne Zugang zu den Finanzmärkten oder finanzieller Hilfe könnte Italien auf absehbare Zeit die Pleite drohen, die auch die Zahlungsfähigkeit etlicher italienischer Banken nach sich zöge. Ohne Hilfe von außen dürfte Italien unter diesen Umständen gezwungen sein, auch die EU oder zumindest die Eurozone zu verlassen“, so Bielmeier. 

Eine entscheidende Rolle fällt damit erneut der EZB zu. Sie wird „gezwungenermaßen die Intensivstation für die italienische Finanzpolitik“, so die Diagnose des Kapitalmarktexperten Halver. Auf der anderen Seite wächst allerdings auch der Druck auf die EZB, ihre ultralockere Geldpolitik aufzugeben. Denkbar ist vor diesem Hintergrund, dass Italien auf längere Sicht Zuflucht beim Euro-Rettungsfonds ESM suchen muss.

Der Ökonom Daniel Stelter hat noch auf eine andere Möglichkeit hingewiesen. Über die Einführung einer Parallelwährung könnte Italien im Poker mit seinen Gläubigern noch ein zusätzliches Ass in die Hand bekommen. Mit einer neuen Lira könnte Italien einen Teil seiner Schulden auf die neue Währung umstellen, Forderungen der EZB könnten einfach annulliert werden. Ein derartiger Ausstieg hätte, zumindest aus italienischer Sicht, gleich zwei positive Seiten: Die Gesamtlast der Verschuldung würde sinken, Gläubiger, die in Italien ansässig sind, könnte man bei den Verlus-ten schonen.