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15.06.18 / Der verlorene Traum von der konstitutionellen Monarchie / Der vor 130 Jahren verstorbene Kaiser Friedrich III. und seine englische Ehefrau Victoria wollten Preußen und das Kaiserreich reformieren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-18 vom 15. Juni 2018

Der verlorene Traum von der konstitutionellen Monarchie
Der vor 130 Jahren verstorbene Kaiser Friedrich III. und seine englische Ehefrau Victoria wollten Preußen und das Kaiserreich reformieren

Um 11 – ein halb – hörte er auf zu atmen! Ach – wie konnte so furchtbares geschehen! Wehe mir daß ich es überdauern mußt – Armes Vaterland!“ Es war der 15. Juni 1888, als diese Worte von der Witwe, die sich ab diesem Tag „Kaiserin Friedrich“ nannte, als Abschluss ins Tagebuch ihres Mannes geschrieben wurden. Kaiser Fried­rich III., 1831 als Sohn des Prinzen Wilhelm von Preußen und der Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach geboren, war tot. Er hatte nur 99 Tage regiert, ein schwerkranker Mann, der schon lange resigniert hatte und nur zu genau wusste, dass er nichts mehr bewegen konnte. Und doch starb mit ihm ein Traum, den wohl vor allem seine Frau geträumt hatte.

Nun betrauerte sie nicht nur das eigene Schicksal, sondern auch das des „Vaterlands“. Aber was meinte sie damit eigentlich? Am preußischen Hof nannte man sie immer „die Engländerin“, denn sie war als erstes Kind der englischen Queen Victoria im Buckingham Palace in London geboren. Eindeutig englisch – oder?

Doch Vicky, wie die kleine Prinzessin in ihrer Familie genannt wurde, sah wohl Deutschland tatsächlich als ihr „Vaterland“ an. Den größten und wichtigsten Einfluss in ihrem Leben übte nämlich ihr Vater, Prinz Albert von Sachsen-Coburg-Gotha aus – und der war nicht nur in Schloss Rosenau im Herzogtum Sachsen-Coburg-Saalfeld aufgewachsen, sondern auch in seinem Empfinden von der deutschen Romantik geprägt. Im politischen Denken allerdings orientierte er sich an seinem Onkel Leopold, der zwar auch ein Sachsen-Coburger Prinz war, aber als liberaler König der konstitutionellen Monarchie in Belgien erwählt worden war.

In diesem Sinne erzog Prinz Albert auch seine geliebte Vicky, die sich als ausgesprochen frühreif und hoch intelligent erwies. 1851 zeigte sich das auf der Weltausstellung in London, die Albert organisiert hatte. Dort bekam die 11-jährige Vicky den Auftrag, den 19-jährigen preußischen Prinzen Friedrich herumzuführen. Nun sollte man denken, dass ein 19-Jähriger wenig mit einer 11-Jährigen anfangen könnte, doch nicht in diesem Fall. Fried­rich, der wahrscheinlich die für sein Regiment gültige Heeresdienstverordnung auswändig aufsagen konnte, war in Sachen Allgemeinbildung ein bisschen kurz gekommen. Die Kleine – übrigens wirklich klein, denn figürlich kam sie nach ihrer Mutter, die zur Gattung der „Kugelblitze“ gehörte – dagegen war von Gelehrten unterrichtet worden, sie hatte die wichtigsten Werke der Weltliteratur gelesen und mit ihrem Vater besprochen und sie sprach mehrere Sprachen – unter anderem akzentfreies Deutsch.

Friedrich war von so viel Intellekt, Charme, Würde und doch kindlicher Unschuld und Neugier tief beeindruckt. Das hielt an und vertiefte sich noch, als er vier Jahre später wieder nach England kam. Da verliebte er sich vollends in das kleine Kraftpaket, bekam Erlaubnis, ihm einen Antrag zu machen, aber die künftigen Schwiegereltern verlangten, dass mit der Heirat noch gewartet würde, bis die Braut wenigstens 17 Jahre alt war.

Das war’s dann aber auch erst mal mit der Romantik. Das Brautpaar stand im Kreuzfeuer der Kritik. Die Engländer fanden die Hohenzollern „armselig“, in Preußen dagegen war man gespalten: Die Liberalen freuten sich auf die Lieblingstochter des liberalen Albert und hofften, dass ihr Einfluss Deutschland in Richtung konstitutionelle Monarchie bewegen könnte. Die Konservativen runzelten die Stirn und beschlossen, der jungen Prinzessin nicht so viel Raum zu lassen. Und dann war da noch die Tante, die eine Ahnung hatte. Die Halbschwester der Queen, Fürstin Feodora zu Leiningen, kannte den preußischen Hof und warnte, er sei eine Brutstätte von Neid, Intrige und Bösartigkeit.

Aber man hörte nicht auf sie. Prinz Albert schätzte den Einfluss der Liberalen in Deutschland zu hoch ein, zudem bildete er sich ein, die Deutschen müssten doch stolz darauf sein, die Princess Royal of the United Kingdom of Great Britain und Ireland – und er bestand darauf, dass sie diesen Titel auch nach der Heirat führen sollte – als Gattin ihres Kronprinzen bekommen zu haben.

Die Verlobungszeit und die junge Ehe wurden demnach von ständigen Auseinandersetzungen begleitet. Friedrich und Victoria liebten sich, aber was nützte es ihnen in dieser Schlangengrube? Man stritt sich um ihren Hofstaat. Auf keinen Fall sollten es Engländerinnen sein. Ihre Schwiegermutter hatte ihr nur ältere Damen verordnet und knurrte, weil dann doch noch zwei im Alter der Schwiegertochter durchgesetzt wurden. Und man stritt sich ums liebe Geld. Die Preußen fühlten zwar eher antibritisch, aber das hinderte sie nicht daran, ihren Prinzen so spartanisch auszustatten, dass der für eine ordentliche Haushaltsführung auf Zuschüsse der Queen angewiesen war.

Mit der Geburt des ersten Kindes wurde alles noch schlimmer. Es war zwar ein Knabe, aber den hatte man mit so viel Gewalt aus dem Mutterleib gezogen, dass sein linker Arm für immer geschädigt war. Victoria war verzweifelt. Man warf ihr vor, noch nicht einmal ein gesundes Kind gebären zu können.

Auch politisch kamen Victoria und ihr Prinz nicht weiter. 1861 war König Friedrich Wilhelm IV. gestorben. Victorias Schwiegervater Wilhelm I. kam auf den Thron und ihr Ehemann wurde Kronprinz, bekam deswegen aber keinen Pfennig mehr Apanage. Auch sonst hielt man ihn von den wichtigen Entscheidungen weit entfernt. 1862 kam es noch dicker: Bismarck wurde Ministerpräsident. Der hatte in Victoria schon lange eine Feindin erkannt und stellte sie zunehmend kalt. Victoria und Friedrich fühlten sich isoliert und Friedrich resigniert immer mehr. Er hatte ja nur die Hoffnung auf das Ableben seines Vaters, aber er wusste gleichzeitig auch, dass der zäh war. Der Sohn wurde immer deprimierter. Am 18. Oktober 1881 schrieb er in sein Tagebuch: „Fünfzig Jahre, also das Leben hinter mir. Müßiger Zuschauer, an tägliche Entsagung, Selbstüberwindung über ein Menschenalter gewöhnt, verurtheilt die besten Jahre unthätig zuzubringen ... . Ich altere fühlbar, u. hätte ich nicht Frau u. Kinder als mein Alles – längst wünschte ich aus der Welt zu scheiden.“

Im Februar 1887 klagte der Prinz über Heiserkeit. Er hatte immer viel geraucht, nun zahlte er den Preis – Kehlkopfkrebs. Fried­rich kommentierte die Diagnose knapp: „Somit werde ich wohl mein Haus bestellen müssen.“

Am 9. März 1888 starb sein Vater Kaiser Wilhelm. Der schwerkranke, nach einem Luftröhrenschnitt verstummte Friedrich wurde Kaiser – für 99 Tage. Erstaunlich genug: Die Liebe zwischen Friedrich und Victoria hielt all das aus. In den fast 4000 Briefen, die Victoria ihrer Mutter schrieb, zweifelte sie an allem und jedem, nur nie an einem: Dass Friedrich und sie zusammen gehörten.Sibylle Luise Binder