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15.06.18 / Verscharrt am 1. Juli / Helmut Kohl: Die Art, wie dieses Kanzlers gedacht wird, muss beschämen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-18 vom 15. Juni 2018

Verscharrt am 1. Juli
Helmut Kohl: Die Art, wie dieses Kanzlers gedacht wird, muss beschämen
Erik Lommatzsch

Jetzt drehen die Zonis völlig durch: Dr. Kohl mit Erde beworfen“, darüber das Bild eines sehr bescheidenen, frischen Grabhügels und mit einem Holzkreuz, auf dem der Name des damaligen Bundeskanzlers zu lesen ist. Diese „Meldung“ brachte die „Titanic“ auf ihrem Titelblatt vom Juni 1991. Anlass waren, neben dem genüsslich gepflegten Dauereinschlagen des Satiremagazins auf Kohl, die wurfgeschossbeschwerten Proteste gegen ihn in Halle an der Saale einen Monat zuvor, medial vor allem dadurch in Erinnerung, dass der Kanzler auf die Angreifer losstürmte.

Der Humor der „Titanic“ mag Geschmackssache sein. Blickt man ein Jahr nach dem Tod und der Beisetzung dieses Kanzlers zurück, so erweist sich das Magazin in diesem Fall als prophetisch. Es charakterisiert den Umgang mit dem vor einem Jahr verstorbenen Kohl und dessen Andenken durchaus treffend. 

Historisch zählt er zweifelsfrei zu den großen Staatmännern. Die deutsche Vereinigung ist sein Verdienst. Die Umstände kamen ihm zupass, er wusste sie zu nutzen. Natürlich lasten auch Hypotheken auf der bislang längsten deutschen Kanzlerschaft der Nachkriegszeit, natürlich erweist sich nicht jede Weichenstellung und jeder an die Nachbarn für die Einheit bezahlte Preis als Segen. Das Bild Kohls war jedoch stets unverhältnismäßig vom Negativen geprägt. Etwa durch die „Spendenaffäre“, für die die CDU ihrem damals verdientesten Politiker faktisch den Ehrenvorsitz entzog. Erbärmlich, ganz abgesehen von der Überlegung, in welchem Verhältnis die „Spendenaffäre“ zum fatalen und für uns alle folgenreichen Agieren der gegenwärtigen Nachfolgerin Kohls steht, der „Parteifreundin“, welche der Ehrenposition des Altkanzlers mittels „FAZ“-Artikel im Dezember 1999 den Todesstoß versetzt hatte.

Unwürdig waren viele Nachrufe auf Kohl im Juni 2017– angefangen beim steten Hinweis auf seinen Wohnort. „Oggersheim“ klingt eben provinzieller als Ludwigshafen. Nicht einmal im auf den Tod folgenden Moment war es möglich, ihn erst einmal zu würdigen und Weiteres auf die Zeit danach zu verschieben. Prägend waren Hinweise auf Schattenseiten. Die „taz“ ergötzte ihre Leser in einer Teilauflage mit einer Fotomontage. Hier war Grabschmuck mit einer Birne zu sehen, überschrieben mit „Blühende Landschaften“. 

Dass Kohl, der sich Einheit und Nation wie kein anderer Kanzler auf die Fahne geschrieben hatte, im Zuge seiner Beisetzung am         1. Juli 2017 lediglich einen Trauerakt der Europäischen Union erhielt, zeugt von trauriger Missachtung seiner Persönlichkeit. Was Jean-Claude Juncker bemüßigt hat, das Ganze auch noch als „Staatsakt“ zu bezeichnen, erschließt sich allenfalls aus Junckers nicht allzu klarer Vorstellung vom Begriff „Staat“ und der Institution „Europäische Union“. Nach der seltsamen Veranstaltung in Straßburg wurde der Sarg in den Dom von Speyer, welcher Kohl immer viel bedeutet hat, gebracht. 

Beim Auszug nach dem Gottesdienst wurde reichlich handyfotografiert. In der Abwägung zwischen der Würde einer Beisetzung und dem Erhaschen eines Souvenirs lag offenbar selbst bei geladenen Gästen Letzteres eindeutig vorn. Dass man zu den Klängen der Nationalhymne auch singen kann, überraschte viele der auf dem Vorplatz Versammelten. Es war eine unwürdige Veranstaltung.

Was hört man ein Jahr danach im Zusammenhang mit Kohl? Medial war der Fokus in jüngster Zeit auf den letztendlich verlorenen Kampf der Witwe um Schadensersatzzahlungen gerichtet. Diese waren dem Altkanzler zugesprochen worden, da Heribert Schwan, einst Mitarbeiter Kohls bei dessen Memoirenwerk, von diesem nicht genehme Zitate veröffentlicht hatte. Das weitere „Kohl-Thema“ dieser Wochen: Er habe seine Aussage von 1990, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR würden bald „blühende Landschaften“ entstehen, später als zu optimistisch eingestuft, er sei sehr wohl über wirtschaftliche Schwierigkeiten im Bilde gewesen. Dies als „Kohls Lüge“ einzustufen, wie der „Spiegel“ es tut, zeugt von Schlagzeilenschlagfertigkeit, allerdings nicht von der Fähigkeit, die – durchaus gut dokumentierten – Zustände der DDR-Zeit mit den Ergebnissen der nachfolgenden Entwicklungen zu vergleichen. Und hier sind – bei allen Problemen im Detail – sehr wohl großflächig blühende Landschaften sichtbar.

Über Helmut Kohl, einen der wenigen wirklich prägenden deutschen Ausnahmepolitiker, hört man ein Jahr nach dessen Tod kaum etwas, abgesehen von abwertungsgeeigneten Petitessen. Spätestens wenn man sich noch einmal vergegenwärtigt, welche Art von Persönlichkeit die SPD als letzten Kanzlerkandidaten präsentierte, sollte bei Freund und Feind Sehnsucht nach dem politischen Format des Dicken aufkommen.