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15.06.18 / Missbrauch mit Methode / Das Wort »Zivilgesellschaft« hat eigentlich einen guten Klang – doch die Bedeutung des Begriffs wurde auf den Kopf gestellt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-18 vom 15. Juni 2018

Missbrauch mit Methode
Das Wort »Zivilgesellschaft« hat eigentlich einen guten Klang – doch die Bedeutung des Begriffs wurde auf den Kopf gestellt
Dirk Pelster

Wer den Reden von Politikern und Verbandsvertretern aufmerksam folgt, der stößt bereits seit einigen Jahren immer häufiger auf den Begriff der „Zivilgesellschaft“. Die zunehmende Beliebtheit dieser Wortschöpfung soll bei den Zuhörern vor allem positive Assoziationen wecken. Aber was bedeutet der Begriff wirklich? Woher kommt er und wozu wird er heute missbraucht?

Leicht ist man geneigt, den Begriff für sich selbst mit den Worten Bürgergesellschaft oder bürgerliche Gesellschaft zu übersetzen und darin eine höchst willkommene Abkehr vom Obrigkeitsstaat früherer Tage zu erkennen. Doch genau hier ist höchste Vorsicht geboten. Die zuletzt genannten Umschreibungen sind deutlich ältere Kategorien, die sich bereits mit dem Bedeutungsverfall des Adels und dem Aufstieg des Bürgertums entwickelt haben. Bei „Zivilgesellschaft“ handelt es sich stattdessen um ein völlig neues Wort, welches in seiner heutigen Bedeutung erstmals von dem italienischen Kommunisten Antonio Gramsci prominent verwandt wurde.

Wie viele linke Denker in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stand auch Gramsci vor dem Problem, erklären zu müssen, warum die sozialistische Revolution in einem autoritär geführten Agrarstaat, wie dem russischen Zarenreich, so erfolgreich war, wohingegen sie in entwickelten Industrienationen scheiterte oder gar nicht erst einsetzte. Eigentlich hatte Karl Marx in seinen Schriften geweissagt, dass nur die sich in einer spätbürgerlichen Gesellschaft zuspitzenden Klassenkämpfe die optimalen Voraussetzungen für einen gewaltsamen Umsturz und den sich hieran anschließenden Aufbau des Kommunismus bieten könnten. 

In seiner Analyse fand Gramsci den Grund für diese Abweichung in der „Zivilgesellschaft“ der bereits vollständig industrialisierten Staaten. Hierunter verstand er die Ganzheit aller nichtstaatlichen Organisationen und Medien, die auf die öffentliche Meinung und daher mittelbar auch auf staatliches Handeln Einfluss nehmen. Während in Russland der Widerstand gegen die rote Revolution nur von einer kleinen Clique aus Adel, Militär und Kirche getragen wurde, trafen die Kommunisten in Deutschland 1918 auf eine Vielzahl von im Volk fest verankerten religiösen, politischen und sozialen Gruppen, die einen grundlegenden Umsturz der Verhältnisse mehrheitlich ablehnte. 

Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelte Gramsci schließlich sein Konzept vom Kampf um die kulturelle Hegemonie, welches sich von der rein politisch-ökonomischen Betrachtungsweise sozialer Konflikte durch den klassischen Marxismus entfernte. Als Mitglied des Zentralkomitees der italienischen Kommunisten warb er unter den Parteimitgliedern dafür, sich in Kirchen, Gewerkschaften und anderen Vereinen zu engagieren. Mit seiner Theorie inspirierte er nicht nur linke Denker, sondern auch die etablierte Kultur- und Politikwissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, von wo aus der Begriff der „Zivilgesellschaft“ seinen Weg zurück ins politische Tagesgeschäft fand.

In Deutschland wurde er – jenseits akademischer Zirkel – erst um die Jahrtausendwende gebräuchlich. In Folge des von Bundeskanzler Gerhard Schröder im Oktober 2000 nach einem versuchten Brandanschlag auf eine Düsseldorfer Synagoge ausgerufenen „Aufstand der Anständigen“ gehörte er fortan insbesondere dann zum gängigen Vokabular bundesdeutscher Politiker, wenn diese gegen rechte Dissidenten zu Felde zogen. 

Dass sich bereits zwei Monate später herausstellte, dass zwei arabischstämmige Jugendliche verantwortlich waren, hinderte die Regierungen in Bund und Ländern nicht daran, zahlreiche Programme gegen einen vermeintlich grassierenden Rechtsextremismus aufzulegen und dies ausdrücklich mit der Stärkung „zivilgesellschaftlicher“ Strukturen zu begründen. 

Die bereits begrifflich paradoxe Annahme, dass ein demokratisch verfasster Staat sich seine eigene „Zivilgesellschaft“ hält, schien beim Blick auf die Fördergelder niemanden mehr zu stören. Zwar wussten schon frühere Politiker, wie man sich die Loyalität von Verbänden und Organisationen durch die Zuteilung von Geld sicherte. Jedoch wies das Konzept, auf diese Weise nunmehr auch aktiv die politische Agenda neu zu gestalten, eine völlig neue Qualität auf. Problematisch ist, dass viele der subventionierten Initiativen im Volk so wahrgenommen werden, als würden sie von ehrenamtlichen Bürgern getragen, obwohl es sich in Wirklichkeit um reine Auftragsarbeiten handelt.

Naturschutzverbände, Gewerkschaften, kirchliche Vereine oder Organisationen der Asyl- und Sozialindustrie – viele von ihnen erhalten mittel- oder unmittelbar Geld vom Staat. Mit diesen Finanzspritzen werden Mitarbeiter beschäftigt, Projekte bezuschusst und Ergebenheit gesichert. Aber immer mehr werden auch Aktivitäten gefördert, die staatliche Organe aus guten juristischen Gründen selbst gar nicht vornehmen dürften. So haben etwa die beiden Autoren Christian Jung und Torsten Groß in ihrem 2016 erschienenen Buch „Der Links-Staat“ anhand verschiedener Beispiele illustriert, wie kriminelle Linksextremisten aus staatlichen Fördertöpfen alimentiert werden. 

Im Jahre 2015 berichtete selbst die Berliner „Tageszeitung“, dass antifaschistische Demonstrationsteilnehmer Geld dafür erhielten, um gegen Pegida-Kundgebungen zu protestieren. Eine Anfrage des AfD-Abgeordneten Jörg Henke an die thüringische Landesregierung bestätigte den Verdacht. Nach einer Aufstellung des zuständigen Ministeriums flossen aus dem Landesprogramm für „Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit“ von 2012 bis 2014 insgesamt knapp mehr als 41000 Euro an Vereine der selbst ernannten „Zivilgesellschaft“, damit diese die Fahrtkosten für die Gegendemonstranten gegen verschiedene regierungskritische Kundgebungen übernehmen konnten. 

Eine dieser alimentierten Stellen war das Stadtjugendpfarramt Jena des bekannten evangelischen Theologen Lothar König, der sich schon häufiger an rechtswidrigen Blockaden von Demonstrationen beteiligt hatte. Obwohl Polizei und Staatsanwaltschaft bereits mehrfach wegen verschiedenster Delikte gegen König ermittelten, konnte er sich einer Verurteilung immer wieder entziehen. Rückendeckung erhielt er dabei unter anderem von dem damaligen Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse (SPD), der sich ebenfalls schon an rechtswidrigen Sitzblockaden genehmigter Demonstrationen beteiligt hatte. 

Ähnlich wie bereits der Begriff der Zivilcourage, so ist das gegenwärtige herrschende Verständnis von „Zivilgesellschaft“ völlig pervertiert worden. Sollten hiermit ursprünglich Haltungen oder soziale Organisationsformen beschrieben werden, die sich keiner staatlichen Rückendeckung erfreuen durften oder gar im Widerspruch zur Obrigkeit standen, so gilt es derzeit als höchster Ausdruck von zivilem Mut, wenn sich jemand gemeinsam mit seinem Bürgermeister, den örtlichen Parlamentsabgeordneten der Regierungsparteien und dem Polizeipräsidenten in eine Protestversammlung gegen die Demonstration einiger Dutzend Oppositioneller einreiht, um – ohne jedwedes eigene Risiko – lautstark zu bekunden, dass die eigene Stadt „bunt und tolerant“ sei. Strukturell ähnelt das Konzept der Zivilgesellschaft der heutigen Bundesrepublik damit frappierend dem der „Nationalen Front“ der untergegangenen DDR. Auch hier organisierten sich die Parteien des „Demokratischen  Blocks“ unter staatlicher Lenkung mit den Verbänden von Antifaschisten, Künstlern und Kleintierzüchtern, um ihr Arbeiterparadies vor „Diversanten“ und „feindlichen Elementen“ zu schützen.