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22.06.18 / Scheußlich, aber billig / Bausünden verschandeln das Land – Weil man sich an den Anblick gewöhnt hat, meckert keiner darüber

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-18 vom 22. Juni 2018

Scheußlich, aber billig
Bausünden verschandeln das Land – Weil man sich an den Anblick gewöhnt hat, meckert keiner darüber
Nils Aschenbeck

Prestigebauten wie die Hamburger Elbphilharmonie lassen an eine glanzvolle Welt der modernen Architektur denken. Sie verdecken schnell die Tatsache, dass unser Land von hässlichen Bausünden verschandelt ist. 

Bauten, die im Fernsehen gezeigt werden, die im Internet präsent sind – für die meisten Menschen verkörpern sie „Architektur“. Heute, so scheint es, entsteht Architektur nur noch in den Zentren der größeren Städte oder der Metropolen. Architektur, wie wir sie heute an diesen Orten erleben, dient der Selbstdarstellung der Kommunen, dient dem Wettbewerb um Investoren und Touristen. In Bilbao sorgen weniger die Kunstwerke als das Gebäude des Guggenheim-Mu­seum selbst für Besuchermassen. Architekt Frank Gehry war ge­wählt worden, da seinen Bauten der Ruf vorausging zu begeistern. Wolfsburg hat dank der 2016 verstorbenen Architektin Zaha Hadid mit dem „Phaeno“ ein modernes Image bekommen, und im historischen Lüneburg gibt Daniel Libeskinds Universität bald der Stadt einen neuen, in die Zukunft weisenden Charakter.

Es sind wenige Architekten – die wichtigsten wurden gerade genannt –, die die internationale Architekturszene beherrschen und die noch „Architektur“ schaffen. Dass die meisten Projekte dieser Architekten-Elite die Preisvorgaben sprengen, gehört schon fast zum guten Ton, unterstreicht die Bedeutung der Objekte.

Abseits der beachteten Zentren jedoch entsteht schon lange kaum noch Architektur. Zumindest werden keine Bauten errichtet, die den Anspruch haben, außergewöhnlich oder besonders sehenswert zu sein. So werden an den Autobahnausfahrten quer durch die Republik und quer durch Europa einfache eingeschossige Hallen hochgezogen. Man sieht inzwischen hunderte von ihnen und überall künden Baustellen von kommenden Neubauten. Ihr simples Prinzip: Ein Raster aus Betonstützen wird mit Fertigwänden verkleidet. Es sind reine Zweckbauten ohne jeden An­spruch. Sie machen die Landschaft, in der sie entstehen, ärmer und hässlicher, aber niemand stört sich daran. 

Barackenarchitektur wird hingenommen. Oder anders: An den Autobahnausfahrten, in den Industriegebieten und an den Ausfallstraßen erwarten wir keine Architektur. Da akzeptieren wir die trostlose Ansammlung hässlicher Häuser und Hallen – wir haben uns daran gewöhnt. 

Der alte Anspruch, dass Architektur unsere Welt lebenswert und auch schöner machen soll, scheint unter allgegenwärtigem Kostendruck verloren gegangen zu sein. Heute müssen Zweckbauten schnell und billig errichtet werden, für Schönheit, gelungene Proportionen, gute langlebige Materialien ist kein Geld mehr vorhanden. Wer seine Industriehalle heute als Kunstwerk be­greift, wer mehr Geld ausgibt als unbedingt notwendig, der wird als Spinner oder Weltverbesserer angesehen. 

Diese pragmatische, allein an den Kosten orientierte Einstellung hat längst auch den Wohnungsbau erreicht. Wenn man die Immobilienportale nach Neubauten durchsieht, trifft man immer auf denselben Grundtyp: einfache, weiße Appartementblöcke mit gläsern verkleideten Balkonen. An den Häusern ist es kaum noch möglich, lokale Eigenheiten zu entdecken, die individuelle Handschrift eines Architekten zu ermitteln. Die Einfamilien- wie Mehrfamilienhäuser sind ebenfalls Zweck­bauten geworden – Bauten ohne den Anspruch, Architektur zu sein.

Um 1900 noch wollten Architekten mit ihren Schöpfungen die Welt verbessern. Alle Bereiche des Lebens sollten durch eine künstlerisch hochstehende und auch soziale Architektur aufgewertet werden. Es war die Überzeugung der Architekten des 

20. Jahrhunderts, dass Wände, Grundrisse und nicht zuletzt die architektonische Form jedes Wohlbefinden direkt beeinflussen. Beim Dessauer Bauhaus stand die Idee, dass mithilfe der Architektur eine bessere Welt zu erreichen sei, im Vordergrund. Nicht wenige Leuchtturm-Projekte sollten dieses Ziel erreichen, sondern vielmehr der normale Wohnungs- und auch der Industriebau. Der Großsiedlungsbau im Berlin der 1920er Jahre – heute Weltkulturerbe – ist dafür ein gutes Beispiel. 

Allerdings waren die Versuche, die Welt mithilfe von Architektur zu retten, nicht von Erfolg ge­krönt. Die ambitioniertesten Wohnbauten entpuppten sich oft als abstoßende Anlagen, in denen selbst die Architekten nicht leben wollten. Die Architekten der Moderne haben die Welt nicht besser, nicht sozialer und auch nicht schöner formen können, eher trifft das Gegenteil zu. 

Als Folge wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet: Wenn bessere Architektur nicht zu einer besseren Gesellschaft führt, dann benötigen wir eben keine bessere Architektur mehr, dann genügen Baracken, die ihren Zweck erfüllen – so die heutige Vorstellung vom Bauen. 

Immobilienkäufer achten nicht mehr auf die Schönheit der Fassaden, sondern mehr auf das Vorhandensein einer Tiefgarage oder auf die technische Ausstattung der Einbauküche. Innen muss alles perfekt organisiert sein, der äußere Eindruck hingegen ist egal. In Zürich spricht man bereits von einer „Cremeschnitten“-Architektur, die sich an den Hängen am Zürichsee ausbreitet – wie Cremeschnitten geschichtete Appartementblöcke, die alle irgendwie gleich aussehen.

Unterdessen dringt die Leuchtturmarchitektur der Zentren über alle Kanäle in die Köpfe der Menschen. Diejenigen, die in langweiligen und wiederholbaren Vorstädten leben, konsumieren über TV, Internet und Smartphone die großartige Architektur in Hamburg, Berlin oder New York. Die eigene Umgebung hingegen, die Logistik-Baracken an den Autobahnen, die typisierten Supermärkte an den Ausfallstraßen oder die rechtwinkligen Appartementblöcke werden nicht mehr wahrgenommen, werden in ihrer Nicht-Architektur fast unsichtbar.

Man kann davon ausgehen, dass heute weniger als ein Prozent des Gebauten von den Menschen bewusst wahrgenommen wird. Dieses Prozent wird als „Sehenswürdigkeit“ tausendfach fotografiert. Der Rest des Gebauten hingegen begleitet viel mehr und eindringlicher unseren Alltag, gehört zu unserer Realität. Und doch denken wir über diese Masse an Häusern nicht nach, stellen sie nicht in Frage, fordern keine Verbesserung. Wir haben uns angewöhnt, die Nicht-Architektur unserer Umgebung zu übersehen und uns lieber an Vorzeigeobjekten wie der Elbphilharmonie zu begeistern, so umstritten das Bauwerk in der Hansestadt auch ist.