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22.06.18 / Medial inszenierte Staatskrise / Der Tod eines RAF-Terroristen und eines Bundesgrenzschützers vor 25 Jahren erschütterten Politik und Gesellschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-18 vom 22. Juni 2018

Medial inszenierte Staatskrise
Der Tod eines RAF-Terroristen und eines Bundesgrenzschützers vor 25 Jahren erschütterten Politik und Gesellschaft
Wolfgang Kaufmann

Für manche politische Beobachter war er der Auslöser einer „Staatskrise bisher ungekannten Ausmaßes“, für andere das „Waterloo“ der Roten Armee Fraktion (RAF): der chaotisch verlaufene Einsatz deutscher Sicherheitsorgane am 27. Juni 1993 auf dem mecklenburgischen Provinzbahnhof Bad Kleinen. Allerdings wurde dabei kein Linksterrorist „exekutiert“, wie es im Anschluss zunächst wahrheitswidrig-reißerisch hieß.

Spätestens 1992 stand die RAF mit dem Rücken zur Wand. Ihre „Dritte Generation“ fand so gut wie keine Sympathisanten mehr im wiedervereinigten Deutschland und agierte wie gelähmt. Augenfälliges Symbol dieser Schwäche war der unsinnige Anschlag auf das noch nicht bezogene Gefängnis im hessischen Weiterstadt im März 1993. Trotzdem versuchten die Sicherheitsbehörden, der Terroristen habhaft zu werden, um ihr ramponiertes Image angesichts diverser unaufgeklärter RAF-Morde seit 1985 aufzupolieren. Besondere Hoffnungen setzten die Ermittler dabei auf Klaus Steinmetz, einen V-Mann des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes. Dem war es nämlich gelungen, das Vertrauen der RAF-Mitglieder Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams zu gewinnen. Damit bestand die Chance, gleich zwei wichtige Leitfiguren aus der Kommandoebene der RAF unschädlich zu machen.

Die Festnahme der beiden Terroristen sollte im Zusammenwirken von Verfassungsschutz, Generalbundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt und Bundesgrenzschutz auf dem Bahnhof von Bad Kleinen erfolgen. Dass sich Grams und Hogefeld dort treffen wollten, ging aus konkreten Hinweisen von Steinmetz hervor. Insgesamt warteten am Nachmittag des 27. Juni 1993 etwa 100 Beamte, darunter 37 der Elitetruppe GSG 9, auf die Zielpersonen. Deren Verhaftung geriet dann allerdings trotz der zahlenmäßigen Übermacht der Polizei zum Fiasko. Aufgrund missverständlicher Funksprüche konnte nur Hogefeld ohne Komplikationen überwältigt werden. Dagegen lieferte sich Grams einen kurzen, aber heftigen Schusswechsel mit seinen Verfolgern und traf dabei einen von ihnen, den Polizeikommissar Michael Newrzella, mit vier Kugeln, wodurch der 25-Jährige den Tod fand. Grams wiederum bekam fünf Projektile ab und stürzte ins Gleisbett neben dem Bahnsteig. Anschließend starb der Terrorist an den Folgen eines aufgesetzten Kopfschusses.

Gemäß dem Ermittlungsbericht der Staatsanwaltschaft Schwerin, welche 142 Zeugen befragte, sowie mehrerer Gutachten, darunter auch eines von der Stadtpolizei Zürich, gab Grams selbst den tödlichen Schuss in suizidaler Absicht ab, weil er sich in einer ausweglosen Lage befand. Damit endete das letzte Feuergefecht zwischen Mitgliedern der Roten Armee Fraktion und deutschen Sicherheitskräften. Die hierdurch ausgelösten politischen Turbulenzen sollten die Bundesrepublik noch eine Weile beschäftigen.

Schnell wurden die zahlreichen Pannen während des Einsatzes und danach bekannt. Neben der mangelnden Kommunikation beim Zugriff ließ auch die Spurensicherung im Anschluss sehr zu wünschen übrig. So vernichteten die Gerichtsmediziner beispielsweise mehrere wichtige Schmauch-, Blut- und Gewebespuren an beziehungsweise von Grams, und bei der Suche nach den verschossenen Projektilen kam es gleichermaßen zu Fehlern. Darüber hinaus stellte sich heraus, dass die GSG-9-Beamten ohne Schutzwesten angetreten waren und kein Notarzt bereitgestanden hatte. Insgesamt listete ein späterer Bericht der Bundesregierung 17 gravierende Fehlleistungen rund um den Einsatz in Bad Kleinen auf. Deshalb – und wegen diverser aufgeflogener Vertuschungsversuche der Sicherheitsorgane – musste am Ende der damalige Innenminister Rudolf Seiters seinen Hut nehmen. Danach traf es Generalbundesanwalt Alexander von Stahl. Ebenso Schaden nahm die Karriere des Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Hans-Ludwig Zachert, sowie seines Stellvertreters Gerhard Köhler. Außerdem stand die weitere Existenz der GSG 9 ernsthaft zur Disposition.

Ansonsten machten sich die Medien schon damals mehr Gedanken um das Schicksal von Terroristen und Mördern als um das von Polizisten. Allen voran das Fernsehmagazin „Monitor“ und „Der Spiegel“. Am 1. Juli 1993 sendete die ARD einen Beitrag des Teams um Klaus Bednarz, in dem behauptet wurde, Grams sei von den Elitepolizisten des Bundesgrenzschutzes „regelrecht hingerichtet“ worden. Als Hauptzeuge hierfür diente die Verkäuferin im Kiosk auf dem Bahnsteig 3/4 in Bad Kleinen. Und einen Tag später wiederum erschien dann im „Spiegel“ der Artikel „Der Todesschuss. Versagen der Terrorfahnder“. Darin wiederholte der „investigative Autor“ Hans Leyendecker unter Berufung auf einen anonym bleiben wollenden GSG-9-Beamten und angeblichen Beteiligten an der Aktion die These von der vorsätzlichen „Exekution“ von Grams aus Rache für den Tod von Newrzella.

Dies löste ein gewaltiges Echo innerhalb der Gesellschaft aus und es kam zu Protestdemonstrationen der linken Szene. Allerdings stellte sich in der Folge heraus, dass die ARD- und „Spiegel“-Journalisten Lügen verbreitet hatten. Die Kioskverkäuferin gestand später gegenüber der Schweriner Staatsanwaltschaft, sie habe nicht gesehen, wie jemand Grams einen Kopfschuss versetzte. Trotzdem sei sie von dem „Monitor“-Team massiv gedrängt worden, genau das eidesstattlich zu versichern. Und Leyendecker distanzierte sich dann 2007 von seinem Zeugen, weil diesem mindestens sieben Falschbehauptungen über den Einsatz nachgewiesen werden konnten. Dem folgte Selbstkritik, was die Qualität der damaligen Recherchen betraf: „Eigentlich hätte ich auch gefeuert werden müssen.“

Darüber hinaus stützen die gerichtsmedizinischen Gutachten die Version der Sicherheitsbehörden. Beispielsweise verlief der Schusskanal im Kopf von Grams so, dass im Grunde nur eine Selbsttötung in Frage kam. Deshalb scheiterten die zahlreichen Versuche der Eltern des Terroristen, die angeblichen Mörder ihres Sohnes juristisch zu belangen. Die letzte diesbezügliche Niederlage erlitten sie am 5. Oktober 1999 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Aus all diesen Gründen traf der 1993 regierende Bundeskanzler Helmut Kohl den Nagel auf den Kopf, als er mit Blick auf die Ereignisse nach der Aktion in Bad Kleinen in seinen „Erinnerungen“ schrieb: „Das war keine Staatskrise, es handelte sich schlicht um eine mediale Schmutz- und Desinformationskampagne, wie es sie noch nicht gegeben hatte.“