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22.06.18 / Es gibt kein „cyryk“ / Der letzte echte Wilmesaurisch-Muttersprachler will seine Sprache retten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-18 vom 22. Juni 2018

Es gibt kein „cyryk“
Der letzte echte Wilmesaurisch-Muttersprachler will seine Sprache retten
Chris W. Wagner

Ganz Kleinpolen spricht polnisch. Ganz Kleinpolen? Nein, eine kleine Region um Wilmesau [Wymysoj, polnisch Wilamowice] hält dagegen. Ewa 50 Menschen sprechen heute noch in dem 15 Kilometer östlich von Pless [Pszczyna] gelegenen Ort Wilmesaurisch [Wymysiöery]. Für 20 von ihnen – nur wenige Alte – ist es sogar noch die Erstsprache. 

Die Sprache Wilmesaurisch ist ein Relikt aus der Ostkolonisation, als im Spätmittelalter weite Landstriche Kleinpolens deutschsprachig waren und sich selbst der König in Krakau einer deutschsprachigen Bürgermehrheit gegenübersah. In der Spätphase, als das Deutsche langsam begann zurückzugehen wirkte Veit Stoß in Polen und schuf den berühmten Hochaltar in der Krakauer Marienkirche.

Wilmesau ist nun das letzte Relikt von einst über 300 deutschsprachigen Städten und Dörfern in Kleinpolen und Rotreußen. Bis 1945 konnten die Wilmesauer ihre Traditionen und Sprache frei ausleben. Danach kamen Sprachverbot, Schikanen, Internierungen oder Arbeitslager-Verschickungen. 

Die Mehrheit der Polen weiß, dass es eine kaschubische Sprache gibt und viele wissen aufgrund der zweisprachigen Beschilderung auch, dass Kaschubisch seit 2005 als Regionalsprache anerkannt ist. Man weiß ebenso, dass es Oberschlesier gibt, die sich für die Anerkennung ihrer polnisch-tschechisch-deutschen Mischsprache – bislang erfolglos – stark machen. Aber Wilmesauer?

Der 25-jährige Wilmesauer Tymoteusz Krol bedauert, dass das Wissen um diese Volksgruppe so gering ist. Er sieht in der Sprache und dem Brauchtum ein zu schützendes Kulturgut. „Hoffentlich wird es uns gelingen, unsere Sprache als Regionalsprache in Polen anerkennen zu lassen. Wir würden endlich Geld für das Herausgeben von Büchern in unserer Sprache bekommen. Unsere Ausstellungen und andere Aktivitäten könnten auch vom Staat finanziert werden“, so Krol, der bereits während seines Studiums, wann immer er konnte, Sprachkongresse und Tagungen besuchte und Aufklärungsarbeit leistete. Das Wilmesaurische wurde ihm von seinen Eltern nicht in die Wiege gelegt, er lernte es von den Alten im Ort, die untereinander ausschließlich Wilmesaurisch sprachen. Mit zehn Jahren bestimmte Krol für sich, er wolle das Wilmesaurisch retten. Als die etwa 

100 Menschen, die noch Muttersprachler waren, immer weniger wurden, begann Krol ihre Erzählungen aufzuzeichnen. So entstand ein Tonarchiv von etwa 1000 Stunden – eine große Hilfe bei der Kodifizierung der Sprache.

Als Krol 2003 an seiner Schule den Wilmesauer Kulturklub gründete und nun auch noch als Jugendlicher Wilmesaurisch unterrichtete, schauten ihn die Lehrer skeptisch an. Heute gibt es in dem 3000 Einwohner zählenden Städtchen zwei Lehrkräfte für Wilmesaurisch und selbst in Warschau kann man die Sprache lernen. Denn Krol gründete an der Universität Warschau die „Wymy-siöerysy Akademyj“ (Wilmesaurische Akademie). Mitglieder sind Forscher aus aller Welt, die sich für Wilmesau interessieren. Krol begeisterte für sein Anliegen den Ethnologen und Dozenten an der Artes-Liberales-Fakultät der Universität Warschau, Bartlomiej Chromik, der mit seinen Studenten ein Internet-Wörterbuch Polnisch-Wilmesaurisch erarbeitet hat. Diese Aktivitäten halfen die in Wilmesaurisch aufgeführten Theaterstücke: „Der kliny Fjyst“ (Der klein Prinz) oder „Hobbit. Hejn an cyryk“ (Hobbit. Hin und zurück) zu verstehen. 

Zudem konnte er Politiker überzeugen, einen Antrag auf Anerkennung des Wilmesaurischen als Regionalsprache im Parlament zu stellen. Den Antrag stellte Danuta Pietraszewska von der Bürgerplattform.

Sollte Wilmesaurisch als Regionalsprache anerkannt werden, stünde den Wilmesauern das Recht auf unentgeltlichen Sprachunterricht ab dem Kindergarten zu und das Recht das Abitur in der Regionalsprache abzulegen. Krol weiß jedoch, dass der Gesetzgebungsprozess sehr lange dauern könnte. Davon können nämlich die Schlonsakisch sprechenden Oberschlesier ein Lied singen. 2010 hatte der Rat der Polnischen Sprache festgelegt, dass ihr Antrag auf Feststellung als eigenständige Sprache abzuweisen sei und nicht als Regionalsprache fungieren könne. Ein Jahr später zeigte die Volkszählung jedoch, dass 376000 Menschen diese „Nichtsprache“ als ihre Erstsprache und 431000 „(Ober-)Schlesisch“ neben Polnisch als zweite Sprache sprechen. Die Partei „Nowoczesna“ (Die Moderne) hat nun erneut einen Antrag auf Anerkennung des Schlonsakischen als Regionalsprache eingereicht.

Ob die Novellierung des 2005 erlassenen Gesetzes zum Schutz der nationalen und ethnischen Minderheiten und der Regionalsprachen Wilmesaurisch und Schlonsakisch anerkennt, hat für Krol keinen Einfluss auf die Identität als Volksgruppe: „Viele Polen können nicht begreifen, dass man, in Polen lebend, eine nichtpolnische Identität und Sprache haben kann. Wenn ich sage, dass ich Wilmesauer bin, sagen sie, dass es nicht stimme und ich doch Pole zu sein habe, weil ich in Polen lebe. Auch deswegen wird von Polen das Wilmesaurische nur als Mundart bezeichnet – alles, was nicht Polnisch ist, ist schlechter. Das ist sicher nicht die Meinung aller Polen, aber ich höre das oft – viel zu oft“, bedauert Tymoteusz Krol.