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22.06.18 / Von Gefühlen verleitet / »Neuroselling«: Wenn man kauft, was man gar nicht braucht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-18 vom 22. Juni 2018

Von Gefühlen verleitet
»Neuroselling«: Wenn man kauft, was man gar nicht braucht
Stephanie Sieckmann/tws

Zur Fußballweltmeisterschaft will jeder zur Nationalmannschaft gehören. Überall sieht man Fans in den Trikots ihrer Idole herumlaufen. Die Sportartikelunternehmen reiben sich indes die Hände ob dieses Verkaufserfolgs, denn durch die  emotionale Begeisterung haben sich die Kunden zu einem Kauf hinreißen lassen, der gleich nach der WM auf ewig im Schrank verschwindet. 

Um Kunden das Geld aus der Tasche zu ziehen, ist Marketing-Experten jedes Mittel recht. Die moderne Strategie setzt dabei auf das Unterbewusste der möglichen Käufer. Das Ergebnis ist eine ausgefeilte Produkt-Präsentation, die wie das WM-Ereignis eine magnetische Sogwirkung entwickeln soll. Erschreckend häufig funktioniert diese Masche. Das Geheimnis dahinter ist das sogenannte Neuroselling.

Der überaus bequeme Stuhl beim Autohaus gehört ebenso zu der Vorbereitung der Verkaufs-aktion wie die farbliche Gestaltung der Wände im hochwertigen Möbelhaus und die dekorativen Bilder von mit Palmen gesäumten Stränden an der Wand beim Reisebüro. Emotionen sind der Schlüssel zur Kaufbereitschaft. Wer sich wohlfühlt, gibt schneller nach beim Beratungsgespräch. Sitzt der Kunde beim Verkaufsgespräch auf einem harten Holzstuhl, ist zu befürchten, dass er das Angebot hartnäckig hinterfragt, versucht, bessere Konditionen auszuhandeln, oder sich gar gegen das Produkt entscheidet. Und das unabhängig davon, ob er vor Betreten des Verkaufsraums dem Pkw-Modell, der Küchenzeile oder den Konditionen der Le­bensversicherung ge­genüber aufgeschlossen war. Elemente wie diese sind nachvollziehbar, stellen aber nur die einfachsten Grundlagen der Verkaufsförderung dar.

Wenn die bewusste Einstellung des möglichen Käufers „Ich brauche nichts“ lautet, ist trotzdem eine Entscheidung für das Produkt möglich. Grund dafür ist das Unterbewusstsein, das zum großen Teil von Gefühlen gesteuert wird. Genau auf dieses Element setzt die Strategie des Neuroselling. Zentraler Kern dieser Strategie sind die drei Systeme, die bei jedem Menschen vorhanden sind, wenn auch in unterschiedlich starker Ausprägung.

Natürlich ist es für den Kunden praktisch, wenn er neben Lebensmitteln auch andere Produkte kaufen kann. Er spart sich einen Weg. Doch wie oft benötigt man neue Bettwäsche, Töpfe oder Handtücher? Eine sehr interessante Frage lautet: Würden Sie Brot, Zwiebeln und Käse kaufen, wenn Sie in einem Reisebüro den Urlaub buchen? Wohl kaum. Das liegt daran, dass Nahrung, Schlaf und Sex das Balancesystem im Unterbewussten nähren. Dieses Prinzip will Sicherheit schaffen. Lebensmittel, Matratzen, Deko-Artikel und alles, was zum Thema Wohnen und Haushalt gehört, stellt für das Balancesystem eine harmonische Gruppe an Produkten dar. Kein Wunder, dass das Konzept der Discounter aufgeht und die Kunden Woche für Woche zum Einkauf kommen. Sie befriedigen damit ihr Balancesystem.

Wer sich im Autohaus über ei­nen neuen Pkw informieren lässt, ist im Modus seines Dominanzsystems unterwegs. Der Kunde will Einfluss nehmen und sich durchsetzen. Entsprechend möchte er ernst genommen werden mit seinen Ansprüchen. Einzeln wählbare Details der Ausstattung sind Aspekte, die dem Verlangen nach Befriedigung des Dominanzsystems entgegenkommen. In diesem Zu­stand ist das Unterbewusstsein aufgeschlossen, hochwertige Uh­ren und Schmuck zu kaufen, die ebenfalls dem Dominanzsystem Rechnung tragen.

Das dritte Element, das beim Neuroselling genutzt wird, ist das Stimulanzsystem, das mit den Elementen Neugier und Risiko­bereitschaft verknüpft ist. Sport und Reisen stärken dieses Element, aber auch Mode. Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, dass für jede Sportart und jedes Reiseland eine eigene Kollektion entworfen wird – und hoch erfolgreich verkauft wird. 

Allerdings darf der Kunde auch nicht „überfüttert“ werden. Sollte jedes Jahr eine WM ausgetragen werden, nimmt der Kaufanreiz ab. Die Nationalmannschaftstrikots könnten selbst dann zum Ladenhüter werden, wenn die eigene Mannschaft Weltmeister wird. Da hilft dann das beste Neuroselling nichts.