29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
29.06.18 / Problematischer Verbündeter / Die Türkei vollzog im Zweiten Weltkrieg mehrfach einen Kurswechsel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-18 vom 29. Juni 2018

Problematischer Verbündeter
Die Türkei vollzog im Zweiten Weltkrieg mehrfach einen Kurswechsel
W. Kaufmann

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war die Türkei neutral. Bald darauf unterzeichnete sie aber zunächst Beistandsverträge mit den Westmächten und anschließend einen Freundschaftspakt mit dem Deutschen Reich. Dem folgten der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Deutschland im August 1944 und die Kriegserklärung vom 23. Februar 1945. Für diesen dreimaligen Kurswechsel gab es mehrere Gründe

Schon vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs agierte die Republik Türkei ganz in der Tradition der osmanischen Schaukelpolitik und arrangierte sich wechselweise mit Deutschland und Großbritannien. Verantwortlich hierfür war der Wunsch, von beiden Großmächten moderne Waffen zu beziehen und wirtschaftliche Unterstützung zu erhalten. Dabei kam es nach dem Tode des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk im November 1938 zur Bildung zweier verfeindeter Lager innerhalb der Führung in Ankara. Auf der einen Seite standen die anglophilen Politiker rund um Staatspräsident Ismet Inönü und Außenminister Sükrü Saracoglu, auf der anderen Seite prodeutsche Personen wie Ministerpräsident Refik Saydam und Generalstabschef Fevzi Cakmak. Das führte zu einer Patt-Situation, aus der heraus die türkische Neutralitätserklärung von Anfang September 1939 resultierte. Doch dann unterzeichnete Ankara am 19. Oktober 1939 urplötzlich einen Bündnisvertrag mit Großbritannien und Frankreich, weil es sich von Italien und der Sowjetunion bedroht fühlte.

Wenig später erlitten die Westmächte eine vernichtende Niederlage in Frankreich, welche sie zum Anlass nahmen, den Kriegseintritt der Türkei auf Seiten der Gegner der Achsenmächte einzufordern. Angesichts der bröckelnden militärischen Macht des Westens entschied sich Ankara jedoch für die Annäherung an Deutschland – in der Hoffnung, Adolf Hitler werde Benito Mussolini und Josef Stalin von Angriffen auf die Türkei abhalten. Doch zu genau jener Zeit begann Italien, auf dem Balkan vorzurücken, während die Sowjetunion Ansprüche auf die türkischen Meerengen anmeldete und an der Kaukasus-Grenze provozierte.

Das verstärkte die türkische Furcht vor einer Invasion, obwohl Hitler Inönü im Frühjahr 1941 die territoriale Integrität der Türkei garantiert hatte, wenn diese ihre Neutralität bewahre. Hitler war wichtig, dass während des geplanten Feldzuges gegen die Sowjet­union keine Bedrohung an der Südflanke entstand. Deshalb hofierte er die Türkei immer stärker und hielt jede seiner Zusagen hinsichtlich der deutschen Operationen auf dem Balkan und im östlichen Mittelmeerraum peinlich genau ein, weshalb Ankara erneut auf Berlin zuging. Diese Entwicklung kulminierte am 18. Juni 1941 in der Unterzeichnung des deutsch-türkischen Freundschaftsvertrages. Darin verpflichtete sich die Türkei trotz des fortbestehenden Militärbündnisses mit den Westalliierten zur Neutralität gegenüber dem Deutschen Reich.

Angesichts der Erfolge der Wehrmacht im Kampf gegen die Rote Armee bekam die prodeutsche Fraktion in Ankara erheblichen Aufwind. Und das war von großer Bedeutung, weil Personen wie Saydam und Cakmak zu den glühendsten Anhängern der pantürkistischen Idee zählten. Diese besagte, dass es die Aufgabe der Türkei sei, sämtliche Turkvölker Zentralasiens in einem großen Reich zu vereinen, was letztlich auch die Annexion Sowjetisch-Mittelasiens implizierte. Deshalb lag es nur zu nahe, dass die germanophilen Pantürkisten nun intensiver denn je die Nähe zu Deutschland suchten, um vom Sieg Hitlers über Stalin profitieren zu können.

Wie ernst ihnen dies war, zeigt der Entschluss Cakmaks vom Sommer 1941, zwei Drittel der türkischen Armee, immerhin 700000 Mann, an die Grenze zur UdSSR zu verlegen. Das unterblieb dann aber zunächst wegen des Stockens des deutschen Vormarsches – bis die Wehrmacht ihre Sommeroffensive des Jahres 1942 eröffnete, in deren Verlauf sie auch in den Kaukasus vordrang. Nun startete Cakmak die größte Militäraktion in der Geschichte seines Landes und beorderte nach und nach 43 Divisionen mit 650000 Mann nach Ostanatolien. Hierdurch lag ab Anfang Juli 1942 ein Kriegseintritt der Türkei auf Seiten Deutschlands in der Luft.

In diesem historischen Moment erlagen kurz hintereinander der prodeutsche Ministerpräsident Saydam und dessen politischer Intimus, der Innenminister und Geheimdienstchef Fikri Tuzer, mysteriösen „Herzanfällen“, woraufhin es Inönü gelang, Cakmak in die Isolierung zu drängen. Das führte zu einem Einschlafen der „Militärmanöver“ vor den Toren von Stalins Imperium. Hitler reagierte hierauf höchst verschnupft, begnügte sich dann angesichts des Debakels von Stalingrad aber mit dem türkischen Verharren in der Neutralität und der Lieferung von strategisch wichtigem Chromerz – wofür Ankara Gegenleistungen verlangte: schwere Panzer, Panzerabwehrgeschütze und Kampfflugzeuge. Und die erhielt die Türkei auch 1943, während Großbritannien und die USA immer massiveren Druck ausübten, um einen Kurswechsel des eigenwilligen Bündnispartners zu erzwingen. So zum Beispiel durch ein Lebensmittelembargo. Dass Ankara dann tatsächlich am 2. August 1944 die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland abbrach, hatte aber einen anderen Grund: Die Türken ahnten, dass sie nach dem Krieg westlichen Schutz gegen die Sowjetunion benötigen würden.

Mit der ebenfalls erwarteten Kriegserklärung ließ sich Inönü noch bis zum 23. Februar 1945 Zeit, als die Gefahr deutscher Luftangriffe von Griechenland und Bulgarien aus gebannt war. Aktionen der türkischen Streitkräfte gegen die Wehrmacht auf dem Balkan oder in der Ägäis kamen allerdings auch zu diesem Zeitpunkt nicht in Frage. Denn dann hätte Ankara seine Truppen an der Grenze zur UdSSR reduzieren müssen. Insofern blieb die Türkei bis zum letzten Tag des Zweiten Weltkriegs ein problematischer Verbündeter, der – egal wie die außenpolitische Konstellation gerade aussah – stets nur seinen Egoismen folgte.