19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
29.06.18 / Prahlerei am Fluss / Mit seinen Schlössern an der Loire wollte Frankreichs Adel Eindruck schinden – Noch heute steht man staunend davor

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-18 vom 29. Juni 2018

Prahlerei am Fluss
Mit seinen Schlössern an der Loire wollte Frankreichs Adel Eindruck schinden – Noch heute steht man staunend davor
Helga Schnehagen

Seit dem Jahr 2000 gehören das Loiretal und seine Schlösser zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die vielen Prestigebauten sind seit 500 Jahren eines der wichtigsten Aushängeschilder Frankreichs.

Chambord, das genialste, größte und bekannteste Schloss der Loire-Region, war 2016 Treffpunkt von 20 EU-Agrarministern. Eine Ortswahl, die angesichts der angespannten finanziellen Lage vieler französischer Landwirte unter dem Motto „Minister im Schloss, Bauern auf der Straße“ lautstarken Protest hervorrief. Ganz im Geist der Französischen Revolution, bei der die Bauern 1789 gegen das Luxusleben des Adels aufbegehrten.

Chambord wurde als Prestigeobjekt geboren. Sein Baubeginn 1519 war der Grundstein für eine Demonstration der Leistungsfähigkeit Frankreichs. Franz I. hoffte, dadurch Karl V. die Krone des Heiligen Römischen Reichs entreißen zu können. Sogar der habsburgische Rivale bescheinigte Chambord, der Inbegriff dessen zu sein, „was menschliche Kunst“ vermag. Kaiser wurde Franz I. dennoch nicht. 

Rund 1,6 Millionen Besucher zieht es jährlich in die heutige Staatsdomäne, über die Hälfte davon bis ins Schloss. Wer Chambord als leeres Schloss in Erinnerung hat, wird über die vielen neuen Prunkbetten, Gobelins, Gemälde, Ausstellungen und Sammlungen, die sich in immer mehr seiner 440 Räume wiederfinden, erstaunt sein. Ein sogenanntes Histopad, ein Tablet-PC in zwölf Sprachen, dient als digitaler Führer durch die alte Geschichte und neue Pracht.

Auch der Außenbereich hat eine Renaissance erfahren. Durch die großzügige private Unterstützung des frankophilen US-Bürgers Stephen A. Schwarzman konnte der 1734 unter Ludwig XV. entstandene französische Barockgarten nach 14-jähriger historischer Forschung wiederhergestellt werden. Für 3,5 Millionen Euro wurden Kieselalleen, riesige Rasenflächen komplett neu angelegt sowie 32500 Pflanzen und 800 Bäume gepflanzt. 

Damit wurde Europas größtem geschlossenem Park – seine Mau­er ist 32 Kilometer lang und die Gesamtfläche von 5440 Hektar so groß wie die Pariser Altstadt – neues Leben eingehaucht. Dazu gehören auch mehr als 20 Kilometer neu erschlossene Wege durch den Forstbereich. Dessen geschützte Flora und Fauna mit ihren Hirschen und Wildschweinen ist dadurch zu Fuß, per Rad oder im Geländewagen mit einem Führer noch besser zu entdecken.

Erst 2010 waren die präsidialen Jagdpartien in Chambord offiziell abgeschafft worden. Noch Georges Pompidou reiste unzählige Male in die Sologne, wo er seine Liebe zur Architektur und zur Jagd vereint fand. Heute generiert Chambord mit Veranstaltungen wie Konzerten, Märkten, Pferde- und Raubvogelshows bereits gut 86 Prozent seiner jährlichen Betriebskosten und Investitionen selber, etwa 18 Millionen Euro kamen so zuletzt zusammen. Die Eigenfinanzierung soll sich 2019 auf 100 Prozent belaufen. Das Mittel der Wahl heißt: Das „Châ­teau de Chambord“ als Markennamen für typisch französische Edelprodukte zu verkaufen. 

Franz I. ließ für das Schloss noch Kirchenschätze plündern und das Silberzeug seiner Untertanen einschmelzen.

Vier Jahre vor Baubeginn in Chambord hatte Franz I. bereits damit begonnen, dem 15 Kilometer westlich gelegenen Schloss in Blois durch einen modernen Renaissance-Flügel ein neues Ge­sicht zu geben. Während Franz I. in Chambord keine 100 Tage verbracht hatte, war Blois über ein Jahrhundert lang der bevorzugte Sitz der französischen Könige. 

Seit 2003 hat Blois in mehreren Restaurierungsphasen eine neue Renaissance erfahren. Zuletzt wurden wieder drei neue Säle für Besucher geöffnet. Ausgestattet mit neu erworbenem historischen Mobiliar sowie einigen Möbeln aus den Depots der staatlichen Mu­seen, geben sie zusammen mit umfangreichen Informationen tiefe Einblicke in die Geschichte des royalen Frankreich und das Leben am Hof.

Zu Blois’ düsterer Seite gehört die Ermordung des Herzogs von Guise 1588 durch Heinrich III. 1908 diente das Drama als Stoff für einen Stummfilm, der weltweit erstmals mit Originalmusik, komponiert von Camille Saint-Saëns, unterlegt war. Das Meisterwerk läuft als Endlosschleife in der im Schloss breit angelegten Ausstellung über das Attentat. 

Nach seiner im vergangenen Jahr abgeschlossenen Total-Sanierung erstrahlt das Schloss von Azay-le Rideau im neuen Glanz. Dach, Fassaden, Innenräume und Garten wirken wie frisch geputzt. Von 1518 bis 1524 von Gilles Berthelot, dem Schatzmeister 

Franz’ I., erbaut, hatte 1870/71 Prinz Karl-Friedrich von Preußen in dem „Juwel der Renaissance“ Quartier bezogen. Als ein herabstürzender Kronleuchter ihn um ein Haar verfehlt hatte, drohte er das Schloss wegen Sabotage nie­derreißen zu lassen. Zum Glück be­sann er sich anders. Seit 1905 ist das Schloss in Staatsbesitz.

In steter Neuerfindung ist die kommunale Domäne Chaumont-sur-Loire als modernes Zentrum von sogenannter Natur-Art: Ge­meint sind phantasievolle Kunstwerke im Freien. Dazu gibt es jedes Jahr ein Gartenfestival, bei dem Landschaftsgärtner aus der ganzen Welt immer neue Mu­stergärten erfinden. Die 27. Ausgabe (bis 4. No­vember) steht unter dem Motto „Gärten der Gedanken.“

Infos: www.valdeloire-france.de. Deutschsprachige Internetseite zum Gartenfestival auf Chaumont-sur-Loire: www.domaine-chaumont.fr/de. Wohnen und Essen: La Maison d’à Côté 3*, Montlivaut bei Chambord (mo­derne Designer-Zimmer, Sterne-Restaurant und Bistro, moderate Preise); Le Clos d’Amboise 4*, Amboise (Schloss-Hotel, gehobene Küche, moderate Preise).