19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
06.07.18 / Die »Puppenmutter der Nation« / Käthe Kruse schuf Puppen als kleine Persönlichkeiten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-18 vom 06. Juli 2018

Die »Puppenmutter der Nation«
Käthe Kruse schuf Puppen als kleine Persönlichkeiten
Klaus J. Groth

Käthe Kruse schuf Puppen, die mehr als ein Spielzeug waren: lebensechte Wesen, die wie Kinder aussahen. Sie sollten in kleinen Mädchen die Mutterliebe wecken. Die Künstlerin und Unternehmerin starb am 19. Juli 1968, vor 50 Jahren.

Der Monte Verità, eine Aussteiger-Kolonie bei Ascona, bot Katharina Simon und ihrer unehelichen Tochter Maria Zuflucht. Die junge Schauspielerin hatte Berlin verlassen müssen. Ihr Lebensgefährte, der Bildhauer Max Kruse, war Marias Vater. Als er plötzlich keine Aufträge mehr erhielt, glaubte er den Grund zu kennen. Die Berliner Gesellschaft missbilligte die Liaison des über 50-Jährigen mit der erst 17 Jahre alten Käthe. Die Geliebte, nun schon ein zweites Mal schwanger, musste von der Bildfläche verschwinden. Sie fügte sich und reiste 1904 ins Tessin. 

Auf dem 321 Meter hohen „Berg der Wahrheit“ führten Künstler, Naturfreaks und Verächter aller bürgerlichen Zwänge ein alternatives Leben. Viele trugen lange Haare, liefen im Sommer nackt und im Winter in selbstgewebten wallenden Gewändern herum. Freie Liebe gehörte zur Gruppendynamik. Käthe malte und kochte Marmelade. Gelegentlich kam Kruse vorbei. Wohlgefühlt hat er sich dort anscheinend nicht. Er meinte, „unter Urwaldmenschen“ zu sein. 

Die kleine Maria, Mimerle genannt, wünschte sich zum Weih­nachtsfest eine Puppe. Kruse sollte sie in Berlin kaufen. Die Puppen mit ihren kalten, starren Porzellanköpfen im Kaufhaus Tietz gefielen ihm nicht. Er schrieb an Käthe: „Ick koof euch keene Puppen. Ick find se scheißlich. Macht euch selber welche.“ 

Käthe nähte für Maria eine Puppe. Die Urahne aller Käthe-Kruse-Puppen, das „Sandbaby“, hatte einen Kopf aus einer Kartoffel. Den Bauch aus einem Stück Tuch füllte sie kugelig rund mit Sand. Maria war begeistert. Aber das Puppenkind alterte rasant. Die Kartoffel schrumpelte, begann zu stinken, und aus einem Loch im Bauch rieselte der Sand. So schwand sie dahin. Maria weinte.

Katharina Simon, genannt Käthe, wurde 1883 als uneheliches Kind in Breslau geboren, sie wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Ihr Traum, als Schauspielerin auf der Bühne zu stehen, ging in Erfüllung. Sie wurde festes Mitglied im Ensemble des Lessingtheaters. In der Berliner Künstlerszene lernte sie den arrivierten Max Kruse kennen. Fünf Jahre lang pflegte das Paar eine Fernbeziehung, er in Berlin, sie im Tessin.

Käthe, immer noch Simon, experimentierte mit Nesselstoff, Pappmaché und Rehhaar zum Stopfen, Drahtgeflecht für den Torso und kam ihrer Vision langsam näher. Die Puppenmacherin war inspiriert vom Geist der Reformpädagogik, die das Kind als kleine Persönlichkeit betrachtete, in dessen Entwicklung die Mutter die wichtigste Rolle spielte. Käthes Puppen sollten im Arm liegen wie ein Baby, der Körper ein bisschen schwer, weich und anschmiegsam, Arme und Beine beweglich. 

1909 heirateten Käthe und Max Kruse. Das Kaufhaus Tietz zeigte 1910 eine Ausstellung mit Käthe-Kruse-Puppen. Eine Zeitung nannte die kleine Gesellschaft begeistert das „Ei des Kolumbus“. Die Puppenmacherin reiste zu Ausstellungen nach Florenz, Frankfurt und Breslau und erhielt überall Preise. Aufträge des Spielzeugfabrikanten FAO Schwarz in New York zunächst über 150, dann über 500 Puppen konnte sie nicht mehr allein bewältigen. Die Familie verließ Berlin und zog nach Bad Kösen in Sachsen-Anhalt. Eine Werkstatt mit Näherinnen, Modelleuren und Malern fertigte die Puppen nach Entwürfen der Künstlerin. Vorbilder gab es genug. Käthe Kruse bekam sieben Kinder, Maria, Sofie, Hanne, Michael, Jochen, Friedebald und Max. 

Als „Puppenmutter der Nation“ wurde sie berühmt. Jedes Mädchen wünschte sich eine Käthe-Kruse-Puppe, aber nur wohlhabende Eltern konnten diesen Wunsch erfüllen. Die Künstlerin konnte nicht verhindern, dass die Konkurrenz ihre Puppen nachahmte und billig verkaufte. Als die Nürnberger Firma Bing ganz offen mit „Imitationen von Käthe-Kruse-Puppen“ warb, klagte sie. Bing mit über 500 Mitarbeitern galt in den 20er Jahren als größter Spielwarenhersteller der Welt. Nach einem fünf Jahre dauernden Rechtsstreit gewann Käthe Kruse in letzter Instanz. Zum ersten Mal sprach ein Gericht 1925 einem Spielzeug Urheberschutz zu.

Käthe Kruse lehnte eine industrielle Fertigung ab. Sie blieb bei der Handarbeit, getreu ihrem Motto „Die Hand geht dem Herzen nach. Nur die Hand kann erzeugen, was durch die Hand wieder zum Herzen geht.“ Das Unternehmen expandierte. Ab 1916 entwarf die Chefin Mini-Puppen für Puppenstuben und Puppenkleidung. Ihre Schaufensterpuppen standen in den feinsten Modegeschäften der europäischen Hauptstädte.

 Bei aller Herzenswärme erhielten die Puppenmodelle neben Namen auch Nummern, wie das seit 1922 hergestellte „Schlenkerchen“ (Nummer II), das „Träumerchen“ von 1925 (Puppe V) und „Du Mein“ (Puppe VI, 1928). Die erste Puppe mit echtem frisierbarem Haar, Puppe VIII, das „Deutsche Kind“ (1928) genannt, hatte die Gesichtszüge von Friedebald. Der reizende Fratz mit dem Lockenkopf stand auch für ein unpassendes Mitglied der Puppenfamilie Pate, als Puppenjunge in SS-Uniform. Kruse wird von Zeitgenossen als unpolitische Frau beschrieben. Ihr ging es um den Erhalt ihres Lebenswerks wie anderen Unternehmern dieser Zeit auch. Friedebald kehrte aus dem Krieg nicht zurück. 

Bis 1950 blieb die Produktion in Bad Kösen bestehen. Als die Enteignung drohte, ging Kruse in den Westen nach Donauwörth und baute hier mithilfe ihrer Kinder eine neue Manufaktur auf. Viele ihrer Mitarbeiter blieben zurück, und die Produktion ging dort weiter. Der Fortgang Kruses hinderte die DDR nicht daran, diese Produkte als  Käthe-Kruse-Puppen zu vermarkten. Sie trugen auf der Sohle des linken Fußes die Buchstaben VEB für Volkseigener Betrieb. In ihrem westdeutschen eigenen Unternehmen war die Puppenmacherin noch als Seniorin aktiv. Sie starb kurz vor ihrem 85. Geburtstag in Murnau. Ihre Tochter Hanne Adler-Kruse wurde ihre Nachfolgerin. 2013 übernahm die Schweizer Hape Holding die Käthe Kruse Produktions- und Vertriebs-GmbH. Seltene antike Puppen erzielen heute enorme Preise. Das „Träumerchen“ ging für 24000 Euro in eine Sammlung, das „Schielböckchen“ für 40000 Euro.