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06.07.18 / Schluss mit dem Müll / »Unverpacktläden« breiten sich in den deutschen Großstädten aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-18 vom 06. Juli 2018

Schluss mit dem Müll
»Unverpacktläden« breiten sich in den deutschen Großstädten aus
Sverre Gutschmidt

Keinen Müll zu produzieren, hat Konjunktur. Ein Zurück zum Tante-Emma-Laden in Gestalt eines „Unverpackt“-Geschäftes bringt Vergessenes ins Bewusstsein: Etwa, wie es sich anfühlt, die Hand in Feldfrüchte zu strecken. Die neue Geschäftsidee lässt aber auch ahnen, warum ähnliche Läden untergingen: Eintönigkeit und regionale Selbstbeschränkung zwischen hüllenlosen Hülsenfrüchten wirken nicht auf jedermann anziehend. 

Jeder Deutsche produzierte 2013 durchschnittlich 212 Kilogramm Müll. Das sei Europaspitze, rechnet die Grünen-Bundestagsfraktion vor. Tenor: Der Müll muss weg! Die EU will bis 2030 Einwegverpackungen abschaffen. Doch in den Supermarktregalen spürt man davon noch wenig: Laut Naturschutzbund Deutschland werden 63 Prozent allen Obstes und Gemüses verpackt, Tendenz steigend. Andere Organisationen beklagen die Zunahme von Kleinstpackungen. Wer auf Unverpacktes umsteigt, kann sich als Pionier fühlen.

In Hamburg heißen sie „Ohne-Gedöns-Laden“, in Berlin „Der Sache wegen“, in Bottrop gibt es „Allerlei Verpackungsfrei“, während in Frankfurt am Main „Gramm.genau“ gekauft werden kann. Als neuester Laden seiner Gattung hat „Maßvoll“ am 9. Juni in Potsdam eröffnet. 

Doch Klopapier aus Bambus und Bio-Tofu sind nicht jedermanns Sache. Um das Geschäft anzukurbeln, treten die seit 2010 aufkeimenden Läden daher vermehrt online in Erscheinung. Die das Gewissen erleichternden Kauforte reihen sich ein in den politischen Kampf gegen Lebensmittelverschwendung, nur geht es den Unverpackern nicht darum, Reste zu retten, sondern überflüssigen Müll gar nicht erst anfallen zu lassen. Einen Eindruck von den Ideen hinter der unverpackten schönen neuen Welt vermittelt die Internetseite „kartevonmorgen.org“. Die Vorstellungen von fairem Handel, kleinen Unternehmen und Verzicht auf Plastik bilden eine bunte Gemengelage. Der Trend betrifft vor allem Städte mit jungen Käufern, die mehr als „Bio“ verlangen.

Nordhessens „Butterblume“ in Kassel setzt zudem auf das Mitmachgefühl: Behältnisse aus umweltfreundlichen Materialien wählen, selbst einpacken und nur so viel kaufen, wie man benötigt. Hier ersetzt ein als „unverpackt«“ umetikettiertes Geschäft einen eingegangenen nahen Bio-Laden. Die Waren sind selten neu oder anders, wichtig sei, „Konsument­scheidungen kritisch hinterfragen“ zu wollen, wie die Besitzerin sagt. Fairer Handel in Plastik, wie es Bioläden oft machten, gehe gar nicht. „Wohlgefühl Unverpackt“ nennt sich entsprechend einer der neuen Läden. Es geht um das Gefühl, anders zu konsumieren, das Klima zu schützen. Die Öko-Bilanz aufwändiger Pfandsysteme mancher Läden spielt dabei offenbar keine Rolle. 

Rein optisch dominiert Enthaltsamkeit, Regale aus Holz und Warengebinde mit Blech, Glas oder Jute überwiegen. Zehntausende Likes auf Facebook bedeuten allerdings nicht automatisch Zehntausende Kunden. Viele sind nur Schaulustige. Wenn die unverhüllten Waren zudem nur noch palmöl- und zuckerfrei, nur regional und vegan in die Auslage dürfen, wie in einem Berliner Pendant, erinnert das Angebot an karge Krisenjahre.

Die finanzielle Seite und der begrenzte Kundenpool schrecken Investoren ab: Viele der neuen Läden, die sich in den hart umkämpften deutschen Lebensmittelhandel wagen, existieren nur dank Kleinkrediten über das Internet, vorgestreckt von Gesinnungsgenossen. Das sogenannte Crowdfunding ermöglicht von Kassel bis Berlin seit 2016 eine regelrechte Welle der Geschäfte. Zwar sei ihr Laden „anstrengend und teuer“, geben die Macher einer Variante in einem Berliner Kiez zu, doch eine „Herzensangelegenheit“. 

Die Preise lassen keinen Raum für Schnäppchenjäger, besonders nicht, wenn Drogerie- und andere Produkte hinzukommen. Frischhaltefolie aus Bienenwachs ist besser ökologisch abbaubar, hält aber schlecht und kostet. Für eine unverpackte Zahnbürste gehen rund vier Euro in die Kasse. Verpackt im Supermarkt kostet sie rund die Hälfte. Käufer mit Kindern freuen sich über das Fehlen der Quengelware vor der Kasse, doch für die meisten Familien bleibt der Unverpacktladen unerschwinglich. Dort, wo ein breites Sortiment steht, kommen die Puristen nicht an Plastikpacks vorbei, denn die Industrie hat sich in Jahrzehnten darauf eingestellt. Weil Großhändler auf den unverpackten Kreislauf nicht vorbereitet sind, fallen viele Kleinlieferungen an, oft sind sie zum Schutz in Plastik eingepackt. Die Besitzerin eines Ladens in Münster berichtet im Internet ausgiebig von ihrem Umerziehungsringen mit Lieferanten. So verlagert sich Müll, entfällt aber nicht. 

Gerade das Konzept des Selbstscheffelns hat seinen Preis, denn es erfordert Personal. Wo zu Hause keine Behältersammlung auflaufen soll, muss umgedacht werden, denn nur wer die Aufbewahrungsbehälter stets bei sich       trägt, ist zum unverpackten Spontankauf gerüstet – doch wer macht das schon? So ist manchen der Neuen ein kurzes Dasein beschieden. Regionalen Kleinproduzenten, die in Supermärkten keine Chance haben, geben sie einen Ort, ebenso den Neugierigen. Doch nicht das Gewissen sondern der Preis hat das letzte Wort. Und mitunter auch die Hygienevorschrift, die der Wiederbefüllung im Weg steht.