19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
06.07.18 / Grönlands Sprung ins kalte Wasser / Die Eisinsel will weg von Dänemark – trotz grassierender sozialer Probleme und hoher Subventionen aus Kopenhagen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-18 vom 06. Juli 2018

Grönlands Sprung ins kalte Wasser
Die Eisinsel will weg von Dänemark – trotz grassierender sozialer Probleme und hoher Subventionen aus Kopenhagen
Frank Bücker

Grönland will von Dänemark unabhängig werden. Über die Probleme infolge einer Loslösung scheinen die Insulaner nicht so viel nachzudenken wie über mögliche Chancen. Das könnte sich rächen bei einem kleinen Volk, um das es beileibe nicht zum Besten steht.

Auf den ersten Blick überraschend: Die Regierung in Kopenhagen dürfte dem Unabhängigkeitsbegehren der Grönländer wenig Widerstand entgegensetzen. Die Eskimos haben insoweit Glück. Denn von dieser toleranten Haltung können Katalanen, Bas­ken, Korsen, Bretonen oder Kurden nur träumen. Grönland hatte schon nach einer Volksabstimmung im Jahre 1983 mit Wirkung zum 1. Januar 1985 seinen Austritt aus der Europäischen Gemeinschaft erklärt. Seither brauchen die Grönländer den Fischreichtum ihrer Küstengewässer nicht mehr mit fremden Fangflotten der EU-Partner zu teilen. 

Auch verzichten die Grönländer (wie die Dänen) gern auf den Euro als Zahlungsmittel, ebenso auf die aus Brüssel kommenden Anordnungen der Kommissare. Bereits seit 1979 hat die eisige Insel weitgehende Autonomie von Dänemark erhalten. In Kopenhagen wird nur noch über die Außen- und Verteidigungspolitik bestimmt. 

Die Grönländer sind allerdings kräftige Kostgänger Dänemarks. Bisher kassieren die Insulaner jährlich rund 500 Millionen Euro  aus Kopenhagen. Diese hohe Summe erklärt sich daraus, dass die beiden traditionell linken grönländischen Abgeordneten im Folketing sich ihre Zustimmung zu einer Linksregierung stets teuer bezahlen ließen. Auch die letzte Linksregierung war von den beiden grönländischen Volksvertretern abhängig. Daher scheint die amtierende bürgerliche Regierung in Kopenhagen die Unabhängigkeitsbestrebungen der Eskimos gewissermaßen achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen. Die gigantischen Subventionen für gerade mal 56000 Einwohner scheinen indes mehr Probleme zu schaffen als zu lösen. Die dauerhafte Alimentation von Menschen ohne jede Gegenleistung erstickt jede Initiative und Leistungsbereitschaft. 

Rund 90 Prozent der Grönländer sind ethnische Eskimos – die sich selbst lieber Inuit nennen lassen. Der Rest setzt sich überwiegend aus ethnischen Dänen und einigen Norwegern zusammen. Die Ureinwohner plagen erhebliche soziale Probleme. Exzessiver Alkoholkonsum, eine verbreitete Bildungsunwilligkeit, erschreckende Zahlen beim Kindesmissbrauch und schließlich eine hohe Suizidrate überschatten das Leben am Ende der Welt. Ein Drittel aller Frauen zwischen 18 und 24 Jahren wurde bereits sexuell missbraucht, mehr als zehn Prozent der Kinder ebenfalls.

Besonders schlimm nehmen sich die Verhältnisse offenbar im nördlichsten Ort Grönlands, in Qaanaaq mit seinen 650 Einwohnern, aus. Die dänische Filmemacherin Karen Littauer hat darüber eine Dokumentation gedreht: „Das war das Schlimmste, was ich je gesehen habe. Die Kinder sind sich selbst überlassen, während die Eltern betrunken durch die Stadt torkeln. Die ganze Stadt schwimmt in Alkohol. Selbst in der Verwaltung sind alle betrunken.“ Qaanaaq ist keine „gewachsene“ Struktur. Der Ort entstand, als die ortsansässigen Eskimos von ihrem angestammten Wohnort deportiert wurden, um den ungestörten Bau der Nato- (richtigerweise US-) Luftwaffenbasis Thule zu ermöglichen. 

Die hohe Freitodrate von 100 Fällen auf 100000 Einwohner fällt international nicht auf, weil die Zahlen sich in der Statistik für Dänemark verstecken. Dort gab es 2012 nur elf Fälle auf 100000 Einwohner. Ein Polizist aus Ostgrönland teilt die deprimierende Einschätzung der Filmemacherin: „Ich bin seit 28 Jahren Polizist, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt … Die Jugendlichen haben nichts zu tun, wohnen unter kümmerlichen Verhältnissen bei ihren Familien, saufen sich um den Verstand und bringen sich um.“ Die Bereitschaft zum Selbstmord entwickelte sich auf Grönland erst in den 70er Jahren. Der durchschnittliche Grönländer gibt mittlerweile 20 Prozent seines Einkommens für Alkohol und Tabak aus. Im dänischen Mutterland liegt diese Quote bei fünf Prozent. Dabei gelten die Dänen im europäischen Vergleich durchaus als trinkfreudig. 

Die erträumte Unabhängigkeit könnte der Gletscherinsel weitere Probleme bescheren, doch davon gibt es schon genug. Angesichts des Mangels an qualifizierten Landsleuten könnte es schon schwierig werden, politische Führungskräfte zu finden. Zwar         verfügt die Hauptstadt Nuuk               (17600 Einwohner) seit einigen Jahren über eine Universität, aber viele Grönländer studieren lieber in Dänemark und kehren dann nicht in die Heimat zurück. Die Universität von Nuuk zählt derzeit nur ganze 150 Studenten.

Die Geburtenrate der Frauen liegt bei etwa zwei Kindern und damit weit höher als in den meisten westlichen Staaten. Allerdings endet jede zweite Schwangerschaft mit einer Abtreibung. Dafür liegt die Lebenserwartung nur bei etwa 70 Jahren. 

Die Grönländer wählen traditionell linke Parteien. Die einzige „bürgerlich-rechtspopulistische“ Partei (Demokratiit) kam bei der jüngsten Wahl nicht einmal auf  20 Prozent. Aber nicht etwa dänische Linksparteien reüssieren hier, sondern eigene grönländische. Deren Programm sieht anders aus als das der meisten anderen europäischen Linksparteien. So sehnen die grönländischen Linksparteien den von ihren Genossen andernorts so gefürchteten „Klimawandel“ regelrecht herbei. Unter den dicken Eisschichten werden nämlich    Erdöl, Uran und „Seltene Erden“ vermutet. Bisher machen bis zu drei Kilometer dicke Gletscher die Ausbeutung solcher Bodenschätze fast unmöglich. 

2013 hob das grönländische Parlament das Verbot des Abbaus von Bodenschätzen auf der Insel auf. Umweltgruppen wie Greenpeace protestierten dagegen, was die Insulaner aber nicht weiter kümmerte. Bereits 2008 erklärte der damalige sozialdemokratische Regierungschef Hans Enoksen: „Wir müssen das grundlegende Eigentumsrecht der Grönländer an den Ressourcen des Landes beschützen und das Recht, das Land selbst zu steuern, sichern.“ Die Volksrepublik China bekundete großes Interesse an den Bodenschätzen. Chinesische Unternehmen sind bereits damit beschäftigt, die Grundlage für eine spätere wirtschaftliche Beziehung zu Grönland aufzubauen.

Ob und in welcher Weise China dann auch Einfluss auf die grönländische Außen- und Sicherheitspolitik nehmen könnte, und ob die in derartigen Fragen nicht gerade zimperlichen US-Amerikaner sich vor der eigenen Haustür eine solche Entwicklung bieten lassen, ist eine andere Frage. Möglicherweise könnten die USA Druck auf Dänemark ausüben, die Unabhängigkeit zu verzögern und Handelsverträge zwischen China und Grönland ganz zu torpedieren. 

Aber das dürfte nicht einfach werden: Die jährliche Zahlung von 500 Millionen Euro ist ein Klotz am Bein der dänischen Regierung, für die das Königreich praktisch keinen Gegenwert erhält. Deren plötzlicher Wegfall könnte in Grönland Probleme verursachen. Vermutlich deswegen wollen die regierenden grönländischen Sozialdemokraten (Siumut) eine langsame Realisierung ihrer Unabhängigkeit durchsetzen. Die Regierungspartei gibt ganz offen zu, dass das Wegbrechen der Finanzspritzen aus Kopenhagen kaum zu verdauende finanzielle Einschnitte mit sich brächte. Andere linke Parteien wollen dessen ungeachtet den raschen Schnitt.