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06.07.18 / Schicksal der Wolfskinder / Der Brandenburger Landtag zeigt im Foyer eine litauische Ausstellung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-18 vom 06. Juli 2018

Schicksal der Wolfskinder
Der Brandenburger Landtag zeigt im Foyer eine litauische Ausstellung

Zur Eröffnung der Ausstellung „Wolfskinder. Auf dem Brotweg von Ostpreußen nach Litauen 1945–1948“ sprach der litauische Botschafter in Deutschland S.E. Darius Jonas Semaška folgendes Grußwort:

Die Geschichte von Wolfskindern gehört zu einem der tragischsten Kapitel des 20. Jahrhunderts. Sie verkörpert die Schre-cken des Zweiten Weltkrieges und ist zu dem Inbegriff der totalitären Terrorherrschaft geworden. Es ist deshalb wichtig, die Erinnerung an die Schicksale der ehe-

maligen Wolfskinder wach zu halten und sie als Mahnung an die künftigen Generationen weiterzugeben.

Ich freue mich sehr, dass die heutige Ausstellung in dem mit der Geschichte Preußens eng verbundenen Landtag Brandenburg eröffnet wird. Es ist zu begrüßen, dass das Thema Wolfskinder immer stärker in dem Bewusstsein der Menschen verankert wird. Davon zeugt auch die Tatsache, dass der litauische Schriftsteller Alvydas Šlepikas für seinen den Wolfskindern gewidmeten Roman „Mein Name ist Maryt“ in diesem Jahr mit dem renommierten Georg Dehio-Buchpreis ausgezeichnet wird.

Wie schmerzvoll das auch sein mag, aber das Schicksal von Wolfskindern steht auch stellvertretend für den Untergang Ostpreußens und den Abriss direkter Nachbarschaft zwischen den Litauern und den Deutschen. Nicht jedem ist zum Beispiel bekannt, dass die Litauer und die Deutschen rund 700 Jahre lang eine gemeinsame Grenze hatten. Das meist gute nachbarschaftliche Verhältnis zeigte sich nicht zuletzt darin, dass diese Grenze fast 

500 Jahre unverändert bestehen blieb und damit zu den ältesten und stabilsten Grenzen in ganz Europa zählte.

Der Zweite Weltkrieg bedeutete eine schmerzliche Zäsur in unserem Zusammenleben als Nachbarn. Während Litauen durch die Sowjetunion besetzt wurde, ist aus dem ehemaligen Ostpreußen das Kaliningrader Gebiet geworden.

Das Ende des Krieges brachte in den von uns bewohnten Teil Europas weder Frieden noch Freiheit. Ganz im Gegenteil: die brutale Verfolgung Andersdenkender, willkürliche Hinrichtungen und Deportationen von unschuldigen Menschen zählten in Litauen zum Alltag der Nachkriegsjahre unter sowjetischer Herrschaft.

Nicht zu vergessen ist auch, dass bis zu 14 Millionen Deutsche unter anderem aus Ostpreußen ab 1945 ihre Heimat verlassen 

mussten. Auch etwa 80000 litauische Bürger haben die Zuflucht im damals zerstörten Deutschland gefunden. Wir sind bis heute dankbar für die Menschlichkeit und Anteilnahme, die unseren Menschen damals hierzulande erwiesen wurde.

Mit der Bundesrepublik Deutschland sind wir auch bis heute in tiefer Dankbarkeit verbunden für ihre konsequente und standhafte Haltung zur litauischen Souveränität. Die im Jahre 1940 erfolgte militärische Besatzung und spätere Annexion der Baltischen Staaten durch die Sowjetunion wurde von Deutschland de jure nie anerkannt. Diese weitsichtige Entscheidung hat auch in den dunkelsten Stunden sowjetischer Herrschaft unseren Freiheitsgeist befeuert und letztendlich zu der Wiedererlangung unserer Unabhängigkeit vor rund 28 Jahren beigetragen.

Ja, es gab in unseren Beziehungen verschiedene, auch dunkle Perioden, aber ohne Zweifel kann ich behaupten, dass in dieser langen gemeinsamen Vergangenheit die positiven Elemente deutlich überwiegen.

Wir erinnern uns in Litauen gerne daran, dass in den deutschen Gebieten jenseits der Memel im 16. Jahrhundert das erste litauische Buch gedruckt wurde. Dort wurde zum ersten Mal die Bibel ins Litauische übersetzt und die erste Grammatik der litauischen Sprache verfasst. In Königsberg wurde auch das erste klassische Werk der litauischen schöngeistigen Literatur geschrieben, das Poem „Die Jahreszeiten“ von Kristijonas Donelaitis.

Es gibt unheimlich viele interessante und nennenswerte Beispiele unseres Zusammenlebens als Nachbarn. Aber das wich-

tigste, womit ich persönlich heute den Begriff Ostpreußen verbinde, ist der Freiheitsgeist dieses Landstriches. Denn dort erschienen während des zaristischen Presseverbots in Litauen im 

19. Jahrhundert die ersten litauischen Volkszeitungen. Damals wurden in Ostpreußen massenweise auch Bücher, Zeitschriften und Broschüren in litauischer Sprache gedruckt und von den sogenannten Bücherträgern unter Lebensgefahr über die Grenze nach Litauen geschmuggelt.

Man kann also ohne Weiteres behaupten, dass Ostpreußen einen wichtigen Beitrag zur Wiederbelebung der litauischen Sprache und zur Stärkung unserer nationalen Identität geleistet hat. Und wohin das geführt hat, ist uns in diesen Tagen bewusster denn je. Denn Litauen feiert in diesem Jahr den 100. Jahrestag seit der Wiederherstellung seiner Staatlichkeit. Der Unabhängigkeitsbeschluss des Litauischen Rates vom 16. Februar 1918 steht sinnbildlich für den Wunsch des litauischen Volkes nach Freiheit und Selbstbestimmung.

Es ist daran zu erinnern, dass Deutschland damals das erste Land war, das die Unabhängigkeit Litauens völkerrechtlich anerkannte. Es spielte auch eine bedeutende Rolle bei der Konsolidierung der jungen litauischen Republik. Wenn man den Bogen zu der heutigen Zeit spannt, wird man eindeutige Parallelen feststellen: Wie vor 100 Jahren bei der Wiederherstellung der Unabhängigkeit, so steht auch heute Deutschland ganz vorne bei der Verteidigung der litauischen Souveränität. Damals half es, uns vor den Angriffen der Roten Armee zu schützen. Heute spielt Deutschland eine zentrale Rolle im Rahmen der Verstärkten Vornepräsenz der NATO. Die nun seit anderthalb Jahren laufende Bundeswehr-Mission in Litauen steht auch für Freiheit und Solidarität. Und dafür sind wir unseren deutschen Freunden von Herzen dankbar.

Liebe Gäste, ich freue mich sehr, dass die Litauer und die Deutschen anlässlich unserer Jubiläumsfeier noch enger zusammenrücken. Die vielfältigen gemeinsamen historischen Erfahrungen stellen heute eine wichtige Grundlage, die den Ausbau unserer Beziehungen erleichtert und fördert. 

Ich bin zuversichtlich, dass auch die Ausstellung über die Wolfskinder zu einem noch besseren Verständnis und Annäherung zwischen unseren beiden Völkern beitragen wird. Ich möchte deshalb abschließend die Gelegenheit nutzen, um allen Beteiligten, vor allem der Präsidentin des Landtages Brandenburg, Britta Stark, dem Landtagsvizepräsidenten Dieter Dombrowski, und dem Abgeordneten Henryk Wichmann sowie der Familie Pasenau ganz herzlich für die Ermöglichung dieser wichtigen Ausstellung zu danken.

Ich wünsche Ihnen viele interessante Erkenntnisse bei der Besichtigung der Ausstellung. Vielen Dank!