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06.07.18 / Der satirische Wochenrückblick mit Klaus J. Groth / Das Endspiel abgepfiffen / Warum Seehofers Harakiri scheiterte, Mali für eine Deponie gut ist und Boko Haram prima Wachpersonal bietet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 27-18 vom 06. Juli 2018

Der satirische Wochenrückblick mit Klaus J. Groth
Das Endspiel abgepfiffen / Warum Seehofers Harakiri scheiterte, Mali für eine Deponie gut ist und Boko Haram prima Wachpersonal bietet

Er war gekommen, um zu bleiben. Nein, nicht der Horst Seehofer. Der hat ein Bleiberecht, und das hat er genutzt. Der ehemalige Leibwächter von Osama bin Laden hat kein Bleiberecht, aber er bleibt mit Frau und Kindern ebenfalls. Seit Jahren schon. Nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Abschiebeverbot des Gefährders kürzlich aufgehoben hatte, ist er dennoch geblieben. Weil er wieder einmal klagt. So viel zu Wunsch und Wirklichkeit im Asylstreit. Diese Lücke wird wohl auch noch klaffen, wenn die bereits vor drei Jahren vereinbarten Transitzentren stehen, die jetzt Angela Merkel und Horst Seehofer als Kompromiss ausbuddelten. 

Nochmal nein, das Kuddelmuddel zwischen Berlin und München war nicht das Endspiel. Noch nicht. Was die Löw-Elf nicht geschafft hat (darauf kommen wir später, wenn die Randereignisse der Vorwoche kurz betrachtet werden), das schaffte die Merkel-Elf gegen die Seehofer-Elf locker: die totale Zerlegung des Gegners. Spätestens seit die Kanzlerin sehr nachdrücklich und wiederholt auf ihre Richtlinienkompetenz verwiesen hatte, war klar, dass das nicht ohne Antwort bleiben konnte. Aber gleich so ein Harakiri? Da bekam selbst Horst Seehofer Angst vor der eigenen Courage. Gerade noch rechtzeitig zum Ende der „denkwürdigen“ Sendung „Anne Will“ ließ er durchsickern, er schmeiße der Kanzlerin den Bettel vor die Füße, um dann noch einmal den Drehhofer zu machen: Er kam nach Berlin, um dort zu bleiben.

Kurz zuvor war die Kanzlerin hoch beglückt von dem EU-Notgipfel heimgekehrt. Da werde sich der Seehofer, Horst, aber freuen. Was sie mitbringe, das sei mehr als wirkungsgleich zu den Wünschen des Seehofer, Horst. Doch auch eine Kanzlerin kann sich erstaunlicherweise mal irren. Er freute sich nämlich gar nicht, der Seehofer, Horst. Trotzig mäkelte er, was die Merkel da anbiete, das sei „kein wirkungsgleiches Surrogat“. Kein was? Na eben ein Surrogat, ein minderwertiger Ersatzstoff. Nicht einmal das.

Wo er recht hat, da hat er recht. Was an Absichtserklärungen und Versprechungen offeriert wurde, beträfe allenfalls eine fernere Zukunft, vorausgesetzt, es bliebe nicht bei Absichtserklärungen. Das allerdings wäre nach hinlänglichen Erfahrungen ziemlich wahrscheinlich. Und warum sollte man eine Sache einfach machen, wenn es auch kompliziert geht? Von heute auf morgen marschierte auch Seehofers Grenzpatrouille nicht, aber etwas mehr Aussicht auf Realisierung als ein Sammellager in Mali hätte sie schon. Ähnlich unrealistisch dürften die Abkommen über die Rücknahme von Immigranten durch die europäischen Partner sein. Volltönend hatte die Kanzlerin dies als ihren Erfolg beim EU-Gipfel verkauft. Erst als die Visegrád-Staaten heftig protestierten, mit ihnen sei überhaupt nicht verhandelt worden, das sei „der übliche politische Bluff“, ruderte Merkel zurück, es sei um politische Absprachen gegangen. Mit anderen Worten: um Muster ohne Wert. Aber wer wird denn da kleinlich sein? Muss man nicht einfach ein bisschen mehr Vertrauen haben und über den Dingen stehen? So wie Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier. Der mahnt, den „bemerkenswerten Erfolg“ des EU-Gipfels nicht zu zerreden, sich „nicht in alle Details zu verkämpfen“. So zeigt sich wahre Größe, wenn es auf das Kleingedruckte nicht ankommt. Vielleicht sollte Volker Bouffier einmal die auch von seinem Bundesland mitfinanzierte Verbraucherberatung aufsuchen. Dort kann man ihm erklären, warum das Wichtigste häufig gerne im Kleingedruckten versteckt wird. Was bleibt dann noch von dem Gipfel außer Schauergeschichten? Was dort beredet wurde, durfte vor zwei Jahren nicht einmal gedacht werden. Jetzt wird es als Erfolg hochgejubelt. Vergessen die Zeit der Flüchtlings-Selfies. Vergessen das Willkommensspalier an der Bahnsteigkante. Vergessen die verantwortungsbewusst geführte Diskussion, ob Menschenfischer nicht den Drang aufs Mittelmeer förderten. Die wurde abgewürgt. Menschenverachtend sei es, so etwas nur zu denken. Wenn die Bremse nicht rechtzeitig gezogen wird, bleibt nur die Notbremse. Auf die hat niemand mehr Einfluss. Sie ist brutal. Sie ist heftig. Egal, Hauptsache, sie wirkt. 

Es ist schon eine besondere Begabung notwendig, von diesem EU-Gipfel mit der Feststellung „Alles gut“ heimzukehren. Darunter fallen Fernziele wie Sammellager in Nordafrika, aus unseliger Vergangenheit auch bekannt als Internierungslager. Darunter fallen „kontrollierte Zentren“, die Migranten vor Abschluss ihres Verfahrens nicht verlassen dürfen. Darunter fallen „regionale Ausschiffungsplattformen“ irgendwo im Niemandsland. Lauter Lügen, die nicht notwendig gewesen wären, hätten sich die politischen Wortführer rechtzeitig zur Wahrheit bekannt.

Jetzt werden die Entsorgungsplätze für die Fracht aus dem Mittelmeer verzweifelt gesucht. Kaum jemand schämt sich mehr, die abenteuerlichsten Deponien vorzuschlagen. Marokko wäre fein, will aber nicht. Geht auch nicht, weil Marokko was gegen Schwule hat, unvorstellbar, was dort passieren könnte. Gegen Tunesien wäre auch nichts einzuwenden, obgleich nach Tunesien bekanntlich nicht einmal ein früherer Leibwächter von Osama bin Laden ausgewiesen werden kann. Macht nichts. Wir haben ja noch Libyen. Das ist eine besonders empfehlenswerte Adresse. Ach, Afrika ist groß. Mali sollte man sich auch mal anschauen. Oder Nigeria. Oder Sudan. Merkwürdigerweise ist die Demokratische Republik Kongo noch nicht im Gespräch. Deren Kindersoldaten gelten als besonders empfindsam. Man könnte bei der Kooperation mit diesen Staaten doch eine Win-Win-Situation herstellen. Wenn die Ursachen der Migration vor Ort bekämpft werden sollen, wenn den Menschen eine Perspektive geboten werden soll, dann wären solche Lager doch das Ei des Columbus. Dem geschulten Wachpersonal des Boko Harams böte sich endlich eine gesicherte Zukunft, vielleicht mit Rentenanspruch. Auch vom Islamischen Staat sind einige gerade auf Jobsuche. Hier könnte man auch helfen. Im Sinne der Menschenrechte. 

Glücklicherweise hatte die Woche noch andere Überraschungen parat. Aber schön waren die auch nicht. Die Löw-Elf reiste als Weltmeister an und landete als Bettvorleger. Immerhin, beim Fußball ist die Sache klar, ein Tor ist ein Tor. Na ja, meistens. Auch nach mehr als 50 Jahren ist für manchen noch nicht zweifelsfrei geklärt, ob 1966 beim Weltmeisterschafts-Endspiel Deutschland gegen England der Ball im Tor war oder nicht. Deutschland verlor das Spiel, hatte aber anschließend eine tröstliche Legende: Ohne die falsche Entscheidung des sowjetischen Linienrichters wäre das Spiel vermutlich nicht verloren gewesen. Daraus lassen sich feine Verschwörungstheorien spinnen. Der Löw-Elf, die in Kasan schon aus der Vorrunde flog, stand so eine feine Erklärung für ihr Versagen leider nicht zur Verfügung. Es stand überhaupt keine Erklärung zur Verfügung. Nur allgemeine Sprachlosigkeit. Verbal das gleiche Unvermögen wie beim Spiel zwischen den Toren. Es war ja nicht einmal der Torwart im Tor, geschweige denn der Ball im gegnerischen Tor. Der Torwart stand am Ende in einem Akt der Verzweiflung an der Mittellinie. Dort fängt man keine Bälle. Nun ist der Erklärungsnotstand groß. Wer will schon eingestehen, dass der Erdogan uns diese WM vermasselt hat? Wie, der hat nicht mitgespielt? Und wie der mitgespielt hat. Seit er sich von Özil und Gündogan hofieren ließ, spielt er mit. Da konnten der Deutsche Fußballbund und der Bundestrainer noch so sehr die Methode „Schwamm drüber“ bemühen, solch eine Entgleisung wirkt langsam, aber nachhaltig. So etwas trägt Spannungen und miese Stimmung in die Mannschaft. Von wegen „elf Freunde müsst ihr sein“. Es ist lange her, dass ein solcher Satz eine deutsche Mannschaft formte. Aber elf Millionäre in naiver Freundschaft vereint? Da ist schon eher an das Tor von Wembley zu glauben, das vielleicht doch keines war.