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13.07.18 / Kleine Städte groß im Kommen / Die Wiederentdeckung der Kleinstadt – So manche Provinz-Metropole prosperiert wider Erwarten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-18 vom 13. Juli 2018

Kleine Städte groß im Kommen
Die Wiederentdeckung der Kleinstadt – So manche Provinz-Metropole prosperiert wider Erwarten
Norman Hanert

Metropolen wie Berlin gewinnen jedes Jahr viele Einwohner hinzu. Abseits der Großstädte ist aber seit einigen Jahren auch im ländlichen Raum eine überraschende Entwicklung zu beobachten. 

Das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung hat die Wanderungsbewegungen im Zeitraum von 2006 bis 2015 ausgewertet und dabei festgestellt, dass neben den großen Metropolen wie Berlin, Hamburg und München, auch mittelgroße Städte und Kleinstädte wieder Einwohner hinzugewinnen. In einer Studie namens „Trend Re-Urbanisierung?“, die das Forschungsinstitut und die Bertelsmann-Stiftung kürzlich vorgestellt haben, werden einige Kommunen aufgezählt, bei denen das Wachstum der Bevölkerungszahlen beson­ders deutlich ausfiel. Genannt werden Bad Neustadt an der Saale in Bayern, das ostfriesische Aurich und die Kreisstadt Heide in Schleswig-Holstein. 

Im Kontrast zur weitverbreiteten Ansicht einer generellen Entvölkerung des ländlichen Raums stehen auch mehrere Beispiele aus den östlichen Bundesländern: Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern wird in der Studie als eine derjenigen Klein- und Mittelstädte mit einem deutlichem Zuwachs genannt. Auch Finsterwalde im Süden Brandenburgs profitiert nach den Daten des Instituts für Landes- und Stadtentwick­lungsforschung von Zuzug.

Die Forscher sehen ein ganzes Bündel an Ursachen hinter dieser Entwicklung. Festgestellt wurde unter anderem eine Wanderungsbewegung aus den Großstädten mit mehr als einer halben Million Einwohner. Vom Wegzug aus diesen Städten profitiert insbesondere das angrenzende Umland, der sogenannte Speckgürtel. Die Studie spricht in diesem Zusammenhang von „Überschwappeffekten“.

Allerdings gibt es nicht nur im Umland von Großstädten eine positive Bevölkerungsentwicklung, sondern zum Teil auch im ländlich geprägten Raum. Als Beispiele nennt die Untersuchung die Sängerstadt Finsterwalde in Brandenburg, Parchim in Mecklenburg-Vorpommern, Eschwege in Hessen und Hildburghausen in Thüringen. 

Hinter dieser Bewegung stehen mehrere Faktoren: Wohnungsmangel und explodierende Mieten in den Großstädten, aber auch das Angebot an Arbeitsplätzen bei mittelständischen Unternehmen in den betreffenden Regionen. Eine wichtige Rolle spielt zudem die persönliche Lebensplanung. Jugendliche zieht es zum Studium oder Lehrausbildung häufig in die größeren Städte, Familien mit Kindern sowie Senioren bevorzugen dagegen oft mittelgroße Städte oder das Leben in einer Kleinstadt. 

Insbesondere die Rolle von Kleinstädten könnte in den kommenden Jahrzehnten sogar weiter wachsen. Im Zuge des demografischen Wandels werden in vielen Teilen Deutschlands die Dörfer weiter an Bevölkerung verlieren und immer stärker von Überalterung geprägt sein. Sinkende Einwohnerzahlen in ohnehin sehr kleinen Kommunen werden vielerorts dazu führen, dass eine Daseinsvorsorge in der kompletten Fläche kaum noch, oder nur zu extrem hohen Kosten geleistet werden kann. Dies betrifft die ärztliche Versorgung, die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, Schul- und Kitaplätze, aber auch Einkaufsmöglichkeiten. 

In diesen dünnbesiedelten Regionen können Kleinstädte stabilisierende Ankerpunkte darstellen, die eine Grundversorgung sicherstellen und sogar für junge Menschen und Familien das Leben im ländlichen Raum attraktiv machen. Bereits im vergangenen Jahr hat das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung mit einer Emsland-Studie gezeigt, wie so etwas in der Praxis tatsächlich funktionieren kann.

Bereits der Titel der Studie „Von Kirchtürmen und Netzwerken – Wie engagierte Bürger das Emsland voranbringen“ weist auf einen entscheidenden Faktor hin in erfolgreiche ländliche Regionen hin. Aus Sicht des Berlin-Instituts verdankt es das Engagement „tatkräftiger Bürger, Unternehmer und Bürgermeister“, die im Emsland ein attraktives Lebensumfeld schaffen. Die Region bleibt damit wirtschaftlich stabil und für junge Menschen und Familien lebenswert. 

Auch der Soziologe Rolf G. Heinze, von der Ruhr-Universität Bochum, sieht im Engagement einzelner Personen wie Bürgermeister, Pfarrer oder Unternehmer, die oft im Zentrum eines Netzwerkes sitzen, einen entscheidenden Faktor. Das Emsland wird gelegentlich schon als „Blaupause“ für andere Regionen empfohlen, tatsächlich gibt es in Deutschland abseits der Großstädte noch weitere ländlich geprägte Regionen, die stark prosperieren.

Auch die Politik hat die stabilisierende Wirkung der Kleinstädte längst erkannt. Auf einem Kongress „Kleinstädte in Deutschland“, der im Juni in Berlin stattfand, wies Marco Wanderwitz (CDU), Staatssekretär im Bundesinnenministerium, darauf hin, dass Deutschlands Kleinstädte die Heimat für 24 Millionen Menschen sind. Die Bundesregierung kündigte zudem auf dem Kongress eine Initiative zur Stärkung kleiner Städte an. Im kommenden Jahr soll erst einmal testweise eine Kleinstadtakademie ihre Arbeit aufnehmen. Kommunalpolitiker und Verwaltungsmitarbeiter sollen dort Lösungen für Kleinstädte bei der Stadtentwicklung und auf den Gebieten Bildung, Wirtschaft und Digitalisierung kennenlernen. Zudem will die Bundesregierung auch ein bereits bestehendes Förderprogramm „Kleinere Städte und Gemeinden – überörtliche Zusammenarbeit und Netzwerke“ in ihre Kleinstadt-Initiative integrieren. 

Für das Jahr 2018 ist dieses Förderprogramm mit rund 70 Millionen Euro ausgestattet. Angekündigt wurde zudem, dass das Bundesinnenministerium künftig regelmäßig einen Bericht zur Lage der Kleinstädte in Deutschland vorlegt.