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13.07.18 / »Vergib uns, Monarch!« / 100 Jahre nach der Ermordung der letzten Zarenfamilie: Russland verehrt Zar Nikolaus II. als Heiligen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-18 vom 13. Juli 2018

»Vergib uns, Monarch!«
100 Jahre nach der Ermordung der letzten Zarenfamilie: Russland verehrt Zar Nikolaus II. als Heiligen
Manuela Rosenthal-Kappi

Am 17. Juli 2018 ist es 100 Jahre her, dass die letzte Zarenfamilie in Jekaterinburg erschossen und in einem Waldstück verscharrt wurde. Nichts mehr sollte von ihnen übrig bleiben. Seit der Heiligsprechung der Zarenfamilie im Jahr 2000 wird Zar Nikolaus II. und seinen Nächsten im Volk große Verehrung entgegengebracht.

Anlässlich des 100. Jahrestags der Ermordung des letzten Monarchen und seiner Familie tauchten in vielen russischen Städten Plakate mit dem Bild der letzten Zarenfamilie und der Aufschrift „17. Juli. 100 Jahre seit dem Tag der Ermordung der Heiligen Zarenfamilie und Gläubigen. Vergib uns, Monarch!“ auf. Solche Großplakate sind in St. Petersburg, Krasnodar, Omsk, Nowosibirsk, Sewastopol, Stawropol und Rostow am Don zu sehen.

Für die Aufstellung solcher Plakate machen Internetnutzer eine ungenannte Organisation verantwortlich, die – mit der Unterstützung von Staat oder Kirche? –schon seit einigen Jahren im ganzen Land zu den verschiedenen Gedenktagen, die mit der Zarenfamilie in Verbindung stehen, ähnliche Plakate an öffentlichen Straßen anbringt. 

Pilgerfahrten zur Gedenkstätte Ganina Jama, die bei einer ehemaligen Grube errichtet wurde, in der die sterblichen Überreste der Zarenfamilie gefunden wurden, zeugen von der großen Verehrung, die der Zarenfamilie seit ihrer Heiligsprechung aufgrund ihres Märty­rertods am 20. August 2000 zuteil wird. DNA-Tests, die an den gefundenen sterblichen Überresten vorgenommen wurden, lieferten den Beweis, dass es sich tatsächlich um die Leichen Nikolaus II. und seiner Familie handelte. Konnte zunächst nicht zweifelsfrei geklärt werden, ob auch die Gebeine der jüngsten Zarentochter Anastasja darunter waren, so lieferten weitere DNA-Untersuchungen schließlich den Beweis, dass auch Anastasia das Erschießungskommando nicht überlebt hatte. 

Gleichzeitig mit Wladimir Putins Antritt zu seiner ersten Amtszeit als Präsident und dessen öffentlichem Bekenntnis zum russisch-orthodoxen Glauben war es in Russland wieder möglich geworden, sich mit dem Schicksal der letzten Zarenfamilie auseinanderzusetzen. So sind heute Porträts und Charakterbeschreibungen jedes einzelnen Mitglieds der Zarenfamilie abrufbar: Von Olga, der ältesten Tochter, 1895, ein Jahr nach der Hochzeit der Eltern, geboren, wird berichtet, dass sie die Zurückgezogenheit und Bücher liebte, tieffühlend und ein Papakind war. Um den Hals trug sie ein Medaillon mit dem Bild Nikolaus’ II., das in der Grube Ganina Jama bei Jekaterinburg gefunden wurde, wo man die Zarenfamilie verscharrt hatte. Ihre anderthalb Jahre jüngere Schwester Tatjana, nach Puschkins Protagonistin des „Eugen Onegin“ Tanja genannt, galt als energisch. Sie war eine hervorragende Reiterin und war mit Stolz verantwortlich für ihr Ulanenregiment. In der Familie hatte sie den Spitznamen Gouverneurin. Wegen ihrer Charakterstärke war sie der Mutter während der Gefangenschaft eine große Stütze. 

Die dritte Tochter Maria ähnelte ihrem Großvater Alexander III. Sie galt als gutmütig und einfach. Sie fand eine gemeinsame Sprache mit den unterschiedlichsten Menschen, egal ob Offizier, Soldaten oder sogar Rotarmisten. 

Um die jüngste Zarentochter Anastasja hielt sich lange Zeit die Legende, dass sie als einzige die Ermordung überlebt hätte. Immer wieder gaben sich Frauen für sie aus. Anastasja war der Sonnenschein der Familie, da sie immer zu Scherzen aufgelegt war. Sie galt als Quelle der Freude. Liebevoll wurde sie „Sonnenschein“ oder „Wildfang“ genannt. Mit Grimassen brachte sie ihre Schwestern zum Lachen und lenkte den kranken Alexej von seinen Schmerzen ab. Stundenlang saß sie an seinem Bett, las ihm vor oder erzählte selbst ersonnene Geschichten. 

Dem lang erwartete Thronfolger Alexej galt die ganze Sorge der Familie. Schon mit acht Jahren, als er zum ersten Mal schwer erkrankte, ahnte er, dass ihm kein langes Leben beschieden war. „Wenn ich sterbe, stellt mir im Park ein kleines Denkmal auf“, bat er seine Eltern. Bei der Exekutierung stachen die Bolschewiki auf Alexej und drei seiner Schwestern mit Bajonetten ein, da sie nicht sofort tot waren. Alexej soll noch lange gestöhnt haben.  

Das Ende der Romanow-Dynastie und damit verbunden das Schicksal seiner Familie haben Nikolaus II. und seine Gattin Alexandra selbst heraufbeschworen. Nikolaus II. trat seine Regentschaft am 1. November 1894 an. Wie seine Vorväter regierte er als autokratischer Herrscher, der die Monarchie als Gottesgnadentum betrachtete. Darin wurde er von Alexandra unterstützt. Beide verkannten, dass infolge der Industrialisierung mit dem Bürgertum und der Arbeiterschaft neue Gesellschaftsschichten entstanden waren, die Mitsprache forderten. Der Zar verweigerte jedoch jegliche politischen und sozialen Reformen. Im Jahr 1905 kam es zu einer ersten Revolution aufgrund der schlechten Versorgungslage. Die sich abzeichnende Niederlage im Russisch-Japanischen Krieg führte zu einem Autoritätsverlust des autokratischen Regierungssystems. Als der Zar eine friedliche Demonstration niederschießen ließ, begann der Stern der Romanow-Dynastie unaufhaltsam zu sinken. 

Zunehmend wurde Nikolaus II. als schwacher Regent angesehen. In dieser Lage kam erschwerend die Rolle des Wunderheilers Rasputin hinzu, der ab 1903, nachdem er dem an der Bluterkrankheit leidenden Zarewitsch Alexej in einer akuten Situation geholfen hatte, immer größeren Einfluss am Hof erlangte. Der Starez (Einsiedlermönch) galt zwar als moralisch verkommen, verfügte jedoch über einen außergewöhnlich scharfen Verstand und präzise analytische Gaben. Rasputins Einfluss zog den Unmut der Würdenträger und der Gesellschaft auf sich, die ihm schließlich nach dem Leben trachteten. Gerüchte machten die Runde, dass die Zarin seine Geliebte sei. Wegen ihrer deutschen Herkunft geriet sie zudem unter Verdacht, eine preußische Spionin zu sein. 

Am 15. März 1917 musste Nikolaus II. infolge der Februarrevolution abdanken. Im April 1918 wurde die unter Hausarrest stehende Familie nach Jekaterinburg verbracht, wo sie lebte, bis der Kommandant der Tschekisten-Garde, Jakow Jurowskij, der die Mordbrigade anführte, in den frühen Morgenstunden des 17. Juli 1918 den Schießbefehl erteilte.