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13.07.18 / Der »weißen Stadt am Meer« fehlt Geld / Der Großherzog lieferte Soldaten und baute Heiligendamm

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-18 vom 13. Juli 2018

Der »weißen Stadt am Meer« fehlt Geld
Der Großherzog lieferte Soldaten und baute Heiligendamm
Klaus J. Groth

Es war ein Sprung ins kalte Wasser, im doppelten Sinn. Vor 225 Jahren, am 22. Juli 1793, gründete Großherzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin (1756–1837) das erste deutsche Seebad Heiligendamm und stieg als erster Badegast in die Ostsee.

Noch einmal erlebte Heiligendamm glanzvolle Tage. Im Juni 2007 blickte die Welt auf den kleinen Ort in Mecklenburg-Vorpommern. Angela Merkel hatte zum G8-Gipfel geladen. Anders als im vergangenen Jahr in Hamburg flogen keine Steine und wurden keine Schaufenster eingeschlagen. Nur die Ostseewellen schlugen friedlich an den Strand, und die Regierungschefs der mächtigsten Nationen nahmen einträchtig für ein Foto in einem Strandkorb mit XXL-Format Platz. 

So wie die internationale Aufmerksamkeit verflogen auch die Pläne, die Heiligendamm wieder zu einem Luxusbad machen sollten. Das Vorhaben eines Immobilienunternehmers, an großherzogliche Zeiten anzuknüpfen, scheiterte an der Finanzierung.

Geld war auch für Friedrich Franz ein Problem, das er aber zu lösen wusste. Entsprechend einem Vertrag mit den Niederlanden entsandte er jährlich 1000 Soldaten an die Generalstaaten. Von den Einnahmen bezahlte er die Investitionen für die Gründung Heiligendamms. Der Landesherr war in jeder Hinsicht ein Pionier. Er machte das Baden im Meer populär. Sein Leibarzt Professor Samuel Gottlieb Vogel hatte ihm das Planschen im Ostseewasser als Heilmittel gegen allerlei Zipperlein empfohlen. Er riet, „die außer Zweifel gesetzte heilsame Wirkung des Badens im Seewasser in sehr vielen Schwachheiten und Kränklichkeiten des Körpers“ zu nutzen. Viele Schaulustige hatten sich am Strand versammelt, als der Herzog mit den Mutigsten seines Hofstaats im Hochsommer 1793 in die Fluten stieg. Das war der Startschuss für die Gründung der „Weißen Stadt am Meer“, so genannt nach dem Bild weiß verputzter Logierhäuser, die sich wie eine Perlenschnur am Strand aufreihen.

Der Großherzog wollte nicht nur etwas für die Gesundheit tun, sondern auch seine klamme Staatskasse füllen. Heiligendamm sollte nach dem Vorbild südenglischer Seebäder ein Anziehungspunkt für Adel und reiche Bürger werden. Die Bauconducteure Johann Christoph von Seydewitz, Carl Theodor Severin und Georg Adolph Demmler bauten bis 1870 ein Ensemble aus Logier-, Bade- und Gesellschaftshäusern, das in Europa einzigartig ist. Es entstanden die „Burg Hohenzollern“, das Severin-Palais, das Kurhaus, das Grand Hotel, die Orangerie, flankiert von Logierhäusern. Die Inschrift „Heic te laetitia invitat post balnea sanum“ (Hier empfängt dich Freude, entsteigst du gesundet dem Bade) am Giebel des von ihm errichteten Kurhauses wurde zum Motto des elegantesten Badeorts Deutschlands.

Es gab viel Freude und Zerstreuung in Heiligendamm. Darauf legte der Großherzog, Vater von acht ehelichen und mindestens 15 unehelichen Kindern, großen Wert. Ein Theater, Konzerte, Bälle, Ballonflüge und Pferderennen auf der benachbarten Doberaner Rennbahn ließen keine Langeweile aufkommen. Die größte Attraktion war aber Friedrich Franz selbst, der mal im Badekostüm, mal im Abendanzug sich unter die Gäste mischte. Sein Konzept ging auf. Ein Zeitgenosse schrieb „Unstreitig ist diese Anstalt für ganz Mecklenburg von großer Wichtigkeit. Sie hemmt größtenteils den starken Ausfluß des Geldes in die Fremde …“ Wie in Brighton durfte ein Kasino nicht fehlen. Der Landesherr war selbst ein leidenschaftlicher Spieler. „Gejeut“ wurde beim Pharao, einem berüchtigten Kartenspiel. Im Spielsaal galt der Rang des Herzogs nichts. Er gewann und verlor wie seine Mitspieler auch. Als er einmal mit leerem Beutel vom Spieltisch aufstand, sagte er leutselig zu einem Nachbarn, dem es ebenso gegangen war: „Dat Geld is heidi, wat mokt wie nu?“ Der Mann, ein Töpfermeister aus Rostock, antwortete: „Tjä, Kö’liche Hoheit, ick gah nu na Hus und drei wedder Pött, Sei künn jo wedder ne nige Stüer untschriebn“. So berichtet es jedenfalls eine Anekdote.

Sämtliche Gebäude Heiligendamms und der Kurbetrieb gehörten zum großherzoglichen Domanium. Die Behörden in Schwerin hatten ein strenges Auge auf die wunderbare Einnahmequelle. Um die Aufnahme von Badegästen und die Restauration kümmerte sich ein Pächter. Die „obere Leitung des ganzen Etablissements, wie auch alles, was in Doberan in die Badeangelegenheiten einschlägt“, hatte ein „Großherzog­licher Bade-Intendant“.

Adel und Prominente verbrachten auch nach dem Tod des Gründers die Sommerferien in Heiligendamm. Aber das älteste Seebad hatte Konkurrenz bekommen. Heringsdorf und Travemünde zogen viele Gäste ab. Für Heiligendamm begannen unselige Zeiten. 1872 verkaufte Friedrich Franz II. (1823–1883) die komplette Anlage für 500000 Taler an die Aktiengesellschaft des Barons von Kahlen. Dessen Sohn und Erbe veräußerte sie 1910 an Walter John, den Neffen der Bestsellerautorin E. Marlitt. Konkurs und Zwangsversteigerung folgten. Die „Ostseebad Heiligendamm GmbH“ ging durch mehrere Hände und wurde 1924, wieder hochverschuldet, vom Bankier Oskar Adolf Baron von Rosenberg-Redé gerettet. Der herzoglichen Familie blieb nur das Alexandrinen-Cottage. 

Während des Zweiten Weltkriegs dienten die Gästehäuser als Lazarett. Ab 1947 wurden sie als Klinikum und als Ferienlager genutzt. Das ehemals so prachtvolle Ensemble verfiel immer mehr. Nach der „Wende“ übernahm die Bundesvermögensanstalt den größten Teil der Häuser, um sie möglichst schnell zu verkaufen. Die Fundus-Gruppe des Projektentwicklers Anno August Jagdfeld, der das Hotel Adlon in Berlin zu neuem Leben erweckte, erhielt 1996 den Zuschlag. Das 2003 eröffnete Luxus-Resort Grand Hotel Heiligendamm im Zentrum des denkmalgeschützten Ensembles litt an Gästemangel. Nach der Insolvenz und dem Einstieg eines neuen Eigentümers konnte das noble Refugium weiter existieren. Von den Logierhäusern strahlt bislang nur die Villa Greif mit sechs Eigentumswohnungen in alter Pracht. Die halb verfallenen Gebäude daneben sollen ebenfalls restauriert werden. Wann Heiligendamm aussehen wird wie zu großherzoglichen Zeiten, lässt sich nicht absehen.