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13.07.18 / Zwei Autoren über Aufstände in West- und Ost-Berlin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-18 vom 13. Juli 2018

Zwei Autoren über Aufstände in West- und Ost-Berlin
Dirk Klose

Liegt den Berlinern die Rebellion in den Genen? Michael Sontheimer und Peter Wensierski stellen in ihrem Buch „Berlin. Stadt der Revolte“ die Frage mit Blick auf die meist missglück-ten Aufstände in der Hauptstadt, sei es 1849/49, 1918 oder am 17. Juni 1953, um dann die heftigen, oft in Gewalt ausartenden Revolten in Ost und West in den Jahren vor der Wende zu beschreiben. Der Dramatik ihrer Beschreibung von Rebellion gegen die Obrigkeit kann man sich auch heute noch kaum entziehen. Und auch wenn man vieles weiß, so erstaunt doch, wie rebellisch es fast zeitgleich in beiden Stadthälften zuging.

Beide Autoren schreiben aus eigenem Erleben und als teilweise Beteiligte, was das Buch authentisch macht, was aber auch seine Schwäche ist. Sontheimer hat sich auf West-Berlin konzentriert und geht von den Studentenunruhen aus, gipfelnd um Rudi Dutschke und den Anti-Springer-Kampagnen, bis hin zu zahlreichen Hausbesetzungen, die oft in gewaltsamer Auseinandersetzung mit der Polizei endeten, aber auch zu Arrangements mit der Staatsgewalt führten – Aktionen, die angesichts des Wohnungsmangels in Berlin einige Sympathie in der Bevölkerung hatten. Viele Aktionen verliefen anfangs spontan und mit viel Witz und Ironie. Als das Ganze dann eskalierte, wurden die anfangs eher politischen Aktionen, die mehr und mehr von den Studenten zu sogenannten Autonomen übergingen, aggressiver und gewalttätiger.

Auch Wensierski beginnt mit dem Ende der 1960er Jahre. Oppositionelles Verhalten in Ost-Berlin, der „Hauptstadt der DDR“, wie diese Stadthälfte offiziell hieß, konnte nichts anderes als intellektueller Widerstand sein, und so finden sich hier bekannte Namen wie Bettina Wegner, Wolf Biermann, Rudolf Bahro, Robert Havemann, das Ehepaar Ulrike und Gerd Poppe, aber auch Aktionen von mutigen Pfarrern der evangelischen Kirche sowie Literarische Salons. Alle Aktionen sprachen sich offenbar in Windeseile herum. Der Zulauf von jungen Leuten aus der Stadt, aber auch aus anderen Städten wie Leipzig und Jena war außerordentlich und rief entsprechend rasch die Staatssicherheit der DDR auf den Plan. Ihr gelang es häufig, und Wensierski zeigt dies an mehreren Beispielen, Spitzel in die Szene einzuschleusen. Manch „erfolgreiche“, drakonisch harte Gegenaktionen ließen denn auch nicht lange auf sich warten. 

Die Intensität und Breite der Ereignisse fanden zwar ein breites publizistisches Echo, waren aber tatsächlich in beiden Stadthälften doch nur Randerscheinungen. Ost-Berlin gleich gar nicht, aber auch der Westteil der Stadt war nicht von einer Rebellion gegen die Obrigkeit erfasst, im Gegenteil, die heftigen Anti-Vietnam-Demonstrationen weckten bei vielen Berlinern die nicht ganz unberechtigte Befürchtung, man könne die USA verprellen, deren Schutz für die Stadt ja überlebenswichtig war. 

Beide Autoren schreiben mit viel Sympathie für ihre Protagonisten. Mitunter geht das auf Kosten der Nüchternheit, so wenn von „konservativen Frontstädtern“ die Rede ist, von „braven Bürgerkindern“, die Ostern 1968 politischen Nachhilfeunterricht bekamen, oder von den „karrieristischen Töchtern und Söhnen der Wohlhabenden aus München und Stuttgart“. Aber wo die Szene allzu krass über die Stränge schlug, fehlt es doch nicht an Distanz, etwa, dass West-Berliner Autonome unberechenbar für ihren Gegner, „aber oft auch für sich selbst“ waren. Da lief der selbstgestellte politische Anspruch vollends ins Leere. Was sich dem Leser vor allem einprägt: Die aufsässigen Oppositionellen in Ost-Berlin waren wesentlich ernsthafter und mutiger. Sie waren ständig mit der Stasi konfrontiert und wussten, was ihnen blühen konnte. Ihren Mut, sich öffentlich in Aktionen, Veröffentlichungen und auf Versammlungen zu äußern, verdient noch immer hohen Respekt.

Michael Sontheimer/Peter Wensierski: „Berlin. Stadt der Revolte“, Ch. Links Verlag, Berlin 2018, gebunden, 448 Seiten, 25 Euro