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20.07.18 / Taktischer Rückzug statt Resignation / Warum der Brexit-Befürworter und Ex-Außenminister Boris Johnson Theresa Mays Kabinett verlassen hat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-18 vom 20. Juli 2018

Taktischer Rückzug statt Resignation
Warum der Brexit-Befürworter und Ex-Außenminister Boris Johnson Theresa Mays Kabinett verlassen hat
Peter Entinger

Die britische Premierministerin Theresa May hat ihr Kabinett nach den Rücktritten schnell wieder komplettiert. Doch Ex-Außenminister Boris Johnson dürfte keine Ruhe geben.

Ein EU-Austritt Großbritanniens zum 29. März 2019 ohne Abkommen aus der Zollunion und dem Binnenmarkt ist laut der Wochenzeitung „Die Zeit“ „das Schreckensszenario der Wirtschaft und damit zugleich die „Drohkulisse der Hardliner“. „Großbritannien wäre dann unabhängig, könnte EU-Vorschriften unterlaufen, mit niedrigen Steuersätzen international trumpfen, eigene Handelsabkommen mit der großen weiten Welt abschließen und als Singapur des Westens brillieren“, heißt es weiter. Es könnte das Gleichgewicht der Union aus den Fugen bringen. 

Es ist kein Geheimnis, dass der ehemalige Außenminister Boris Johnson an der Spitze dieser Hardliner steht, während Premierministerin Theresa May einen Mittelweg finden möchte. Nun sind die Hardliner aus der Regierung ausgeschieden, und schon hoffen die Brexit-Gegner, der gesamte EU-Austritt Großbritanniens könne zur Disposition stehen. „Wir haben keine Politik seit zwei Jahren. Die größte Frage ist, was wir aus dem Brexit machen. Und seit zwei Jahren hat es keine Regierungspolitik dazu gegeben“, erklärt Anthony Glees, Englands bekanntester Politologe.

May hatte ihr Kabinett bei einem Treffen auf dem Landsitz der Regierung nach langen Verhandlungen ihre Vorstellungen eines milden Brexit beschließen lassen. Johnson nannte ihre Pläne nach einem Bericht des „Stern“ „a big turd“, einen Haufen Scheiße. Und alle kosmetischen Korrekturen daran „polish the turd“. Scheiße, meint das, könne niemand zum Glänzen bringen.

Johnson verließ 48 Stunden später die Regierungsbank, ließ seine weiteren politischen Ambitionen aber offen. Seinen Rücktritt bezeichnete die Zeitung „The Guardian“ als „Befreiung für die Nation“. Johnson sei der meistüberschätzte Politiker Großbritanniens – vor allem durch sich selbst. Als „peinlich nutzloser Außenminister“ habe er dem Ansehen Großbritanniens in aller Welt geschadet, giftete das Brexit-feindliche Blatt. Nichtsdestoweniger fühlt sich Johnson zu höheren Weihen berufen. „Der Brexit-Traum stirbt, erstickt von unnötigen Selbstzweifeln“, erklärte er in seinem Rück-trittsschreiben. Der Plan der Regierung May für eine enge Beziehung zwischen Großbritannien und der EU nach dem Brexit „läuft auf den Status einer Kolonie hinaus“.

Johnson war vor zwei Jahren der Kopf der Brexit-Bewegung, die sensationell die Abstimmung gewann. Als Bürgermeister von London war er populär, galt aber stets als sprunghaft. Da zuvor Brexit-Minister David Davis zurückgetreten war, dürfte sein eigener Rück­tritt vor allem taktischer Natur sein. Denn Davis zählt ebenso wie er zu den Wortführern der Befürworter eines harten Brexit und hätte Johnson in der Popularität überflügeln können, wäre dieser im Amt geblieben. 

Johnson will Premierminister werden. Das hat er in den Vorwahlkämpfen 2010 und 2016 stets erklärt. Als David Cameron nach dem Brexit-Votum als Regierungschef zurückgetreten war, schien Johnson auf dem besten Weg, Premierminister zu werden. Aber es kam anders. Dass die Parteigremien der Konservativen May vorzogen, habe er ihr nie verziehen, schreiben britische Medien. Johnson sinne auf Rache. Doch aktuelle Umfragen unter den Anhängern der Tories zeigen, dass der ehemalige Londoner Bürgermeister in deren Gunst weit zurückgefallen ist. Sollte May tatsächlich stürzen, gibt es andere, die populärer sind als er. Der vor einigen Wochen zum Innenminister aufgestiegene Sajid Javid, der als Moslem den Tories neue Wählerschichten erschließen könnte, ist derzeit schwer im Kommen. Noch gilt der Ex-Vorstand der Deutschen Bank als unverbraucht.

Johnsons Renommee hat dagegen gelitten, er taucht nur noch an achter Stelle der möglichen May-Nachfolger auf. Manche vermuteten, seine Ernennung zum Außenminister sei eine bewusste Strategie Mays gewesen, ihn auf Distanz zu halten. Wer oft im Ausland unterwegs sei, mische sich nicht ins politische Tagesgeschäft ein. Doch das neue Amt lag dem hemdsärmeligen Johnson nicht, seine Auftritte im Ausland wirkten hölzern. Die Zeitschrift „New 

Statesman“ kam im April zu einem vernichtenden Urteil. „Boris Johnson hat das Unmögliche geschafft: Er war noch schlechter als erwartet.“

Nun liegt er in den internen Umfragen weit hinter Javid und Umweltminister Michael Gove. Selbst der Rechtsaußen der Fraktion, Jacob Rees-Mogg, würde mehr Unterstützer auf sich vereinen. Ob es zu einem offenen Putsch gegen May kommt, ist derzeit ungewiss. 

Britische Medien spekulieren seit dem Rücktritt von Johnson und Davis darüber, ob die Unterhausabgeordneten der Tories die Premierministerin mit einem Misstrauensantrag herausfordern könnten. Die Befürworter eines harten Brexit würden zwar wohl genug Stimmen zusammenbringen, um eine Vertrauensabstimmung zu erzwingen: Etwa 60 Abgeordnete in der Fraktion werden diesem Flügel zugezählt. Voraussichtlich hätten sie allerdings nicht genug Stimmen für einen Erfolg ohne Unterstützung der anderen Tory-Abgeordneten. Für eine Mehrheit bräuchte die interne Opposition 159 Tory-Abgeordnete. 

Würde der Misstrauensantrag misslingen, bliebe May für ein weiteres Jahr unangefochten im Amt. Laut der britischen Presse erhielt May bei einem Treffen der Tory-Fraktion hinter verschlossenen Türen Unterstützung für ihre Brexit-Pläne. Eine Mehrheit sei ihr sicher. Johnson bleibt derzeit nichts anderes übrig, als wie sein großes Vorbild Winston Churchill gelegentlich sehr geistreiche Sprüche abzusondern. So bezeichnet er seine Chancen, Premierminister zu werden, als „etwa gleich groß, wie dass man Elvis auf dem Mars findet“, und vergleicht den Brexit von Theresa May mit Toilettenpapier: weich und sehr lang.