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20.07.18 / Revolution am Frühstückstisch / Die Erfindung der Cornflakes begann mit Bauchgrimmen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-18 vom 20. Juli 2018

Revolution am Frühstückstisch
Die Erfindung der Cornflakes begann mit Bauchgrimmen
Leo von Loevitz

In der Geschichte der Erfindungen hat eine geniale Idee oft nicht nur einen Vater. Am 1. August vor 125 Jahren erhielt der US-Amerikaner Henry Perky das US-Patent für die Produktion von „shredded wheat“, einem Müsli aus Weizen. Wenig später brachte der promovierte Arzt John Harvey Kellogg Cornflakes, Frühstücksflocken aus gekochtem, breitgewalzten und anschließend ge­trock­neten Mais, meist Zucker und weiteren Zutaten, auf den Markt. 

Das klassische US-amerikanische „breakfast“, bestehend aus Spiegeleiern, Speck und Pfannkuchen mit Ahornsirup, lag dem Rechtsanwalt und Geschäftsmann Perky aus Ohio schwer im Magen. Sein Bauchweh und seine Blähungen setzten eine Revolution auf den Frühstückstischen in Gang. Angeblich kam ihm der Gedanke, einen magenfreundlichen Ersatz für die morgendlichen Kalorienbomben zu erfinden, als er bei einem Hotelaufenthalt einen Gast gekochte Getreidekörner mit Sahne löffeln sah. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei ihm um einen Leidensgenossen. Der berichtete, dass er durch das Getreidemahl von allen Übeln befreit sei. Perky stellte seine Ernährung um. Er aß mehrmals täglich „shredded wheat“, geschroteten, gekochten und getrockneten Weizen, und erklärte sich bald für geheilt.

Der 1843 in Ohio geborene Perky war ebenso wie Kellogg der Sohn eines Farmers. Er studierte Rechtswissenschaften und arbeitete bei verschiedenen Eisenbahngesellschaften. Mit einem Partner gründete er eine Eisenbahnfabrik, die einen zylinderförmigen Waggon aus Stahl herstellte. Die Erfindung wird Perky zugeschrieben. Der „Steel Railway Car“ fand zwar große Aufmerksamkeit, aber keine Abnehmer. Als ein Feuer die Produktionsanlage vernichtete, stand der Anwalt vor dem Nichts. Aber er ließ sich nicht entmutigen. Nun wurde er zum Gesundheitsapostel, ohne seinen Geschäftssinn zu vernachlässigen. Seine Idee: Das Frühstück sollte weder den Magen belasten noch der Hausfrau Arbeit machen. „Cookless breakfast food” und „Ready to eat“ sollte es sein.

Von einer Bäckerei ließ er Bis­kuits aus geschrotetem Weizen backen. Sie hatten die Form von kleinen Kissen und sahen sehr appetitlich aus. Um das Produkt bekannt zu machen, verteilte er persönlich Kostproben. Die „Knus­perkissen“, 1895 als „Design of Biscuit“ patentiert, wurden ein Hit. 1901 baute Perky eine Fabrik an den Niagarafällen. Er nannte sie „Palace of Light“. Das Weiß eines Kopfkissens war die dominierende Farbe in dem Gebäude. Zur Einweihung servierte er Honoratioren und Presseleuten ein Spezial-Menü: einen Drink aus Weizen, geröstetem Truthahn mit Weizenfüllung und Eis aus Weizen. Ob es allen Gästen geschmeckt hat, ist nicht bekannt. Der „Palast des Lichts“ war ausgesprochen arbeitnehmerfreundlich. Er hatte eine Kantine und Duschen für die Angestellten. Das Mittagessen kostete zehn Cent für die Männer, die Frauen aßen kostenlos. Vom Dachgarten aus konnten die Mitarbeiter in der Mittagspause den herrlichen Blick auf die Niagarafälle genießen. Die Packungen mit den Frühstückskeksen, die millionenfach die Fabrik verließen, zierte groß das Knusperkissen, dahinter klein die Wasserfälle.

Perky wurde ein reicher Mann. Kellogg hatte weniger Glück. Der 1852 in Michigan geborene Erfinder der Erdnussbutter betrieb in Battle Creek ein Sanatorium für Menschen mit Übergewicht und Verdauungsstörungen. Auch er hielt geschrotetes Getreide für das beste Heilmittel bei Problemen mit Magen und Darm. In der Diätküche der Battle-Creek-Klinik experimentierte er mit Getreideflocken, die er „Granose“ nannte. 

Kellogg war von missionarischem Eifer beseelt. Ihm ging es darum, seine Landsleute vor den schädlichen Folgen der Zivilisation zu bewahren. Die aßen noch immer, als müssten sie schwere Planwagen ziehen und Indianerland urbar machen. Neben seiner Arbeit in der Klinik schrieb er Bücher über gesunde Ernährung wie „Proper Diet for Man“, die Bestseller wurden. Zeitweise ließen sich 1200 Menschen pro Jahr in seiner Klinik behandeln. Prominente wie Henry Ford, Sarah Bernhardt, Thomas Alva Edison und die Pilotin Amelia Earhart kurten mit Granose zum Frühstück, literweise Wasser, Rohkost und Leibesübungen in Battle Creek.

Der Arzt mit dem imposanten Schnauzbart war eine schillernde Figur, die den Zeitungen pikanten Stoff lieferte. Die Spezialität seines Sanatoriums waren tägliche Einläufe, die sich auch der Chefarzt selbst verabreichen ließ. Seine Vorliebe dafür wurde ihm als sexuelle Verirrung ausgelegt, zumal Kollegg meinte, der Geschlechtsverkehr vergifte den Köper und sei die Ursache von Krankheiten. Er selbst lebte enthaltsam, die Ehe mit seiner Frau soll er nicht vollzogen haben. Das Paar adoptierte sieben Kinder. Die Hollywoodkomödie „Willkommen in Wellville“, in der Anthony Hopkins den skurrilen Arzt spielt, wurde ein Kassenschlager. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Will gründete Kellogg einen Versandhandel für Produkte aus Battle Creek. Daraus entwickelte sich die Produktion von Cornflakes, die er 1894 durch ein Patent schützen ließ. Zum Bruch zwischen den Brüdern kam es, als Will den Cornflakes Rohrzucker zusetzen wollte. Das vertrug sich nicht mit der Überzeugung des Arztes, dass Süßes schädlich sei. Bei einem Gerichtsprozess unterlag John Harvey Kellogg. Sein Bruder durfte gezuckerte Cornflakes produzieren. Die beiden sprachen nie wieder miteinander. Die vom Jüngeren gegründete 

Kellogg’s Cornflakes Company ist heute die bekannteste Müslimarke. Wegen des hohen Zuckeranteils werden industriell hergestellte „Cerealien“ von Ernährungswissenschaftlern als Dick­macher abgelehnt. John Harvey Kellogg hatte also recht gehabt, aber das half ihm nicht. Seine geschmacksneutralen Flocken wurden kein Erfolg. In der Zeit der Großen Rezession musste er seine Klinik schließen und blieb auf drei Millionen US-Dollar Schulden sitzen. Sein Bemühen um die Gesundheit der US-Amerikaner setzte er unerschüttert fort. Er gründete den Club der Hundertjährigen mit dem Versprechen, jeder könne mit seiner Diät dieses hohe Alter erreichen. Er selbst schaffte es nicht ganz. Der „King of Cornflakes“ starb mit 91 Jahren, Perky, der „King of Shredded Wheat“, wurde nur 62 Jahre alt.