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20.07.18 / »Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer« / Vor 50 Jahren gründeten die Ureinwohner Nordamerikas das American Indian Movement

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-18 vom 20. Juli 2018

»Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer«
Vor 50 Jahren gründeten die Ureinwohner Nordamerikas das American Indian Movement
Wolfgang Kaufmann

Was manche in der Gegenwart für die Europäer fürchten, erlebten und erlitten die Ureinwohner Nordamerikas ab 1608 als bittere Realität: Verdrängung aus den angestammten Lebensräumen durch immer größere Massen von Zuwanderern, Vernichtung der eigenen kulturellen und religiösen Traditionen sowie nahezu vollständige physische Ausrottung. 

 „Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer“ – so lautete das erklärte Credo von General Philip Sheridan, ab 1883 Oberbefehlshaber des US-Heeres. Damit fasste er das in Worte, was vor ihm schon zahlreiche andere weiße Amerikaner gedacht und zum Motto ihres Handelns gemacht hatten. Schon lange vor der Proklamation der Vereinigten Staaten begann die Ausrottung der Ureinwohner der „Neuen Welt“ mit der Ankunft britischer Kolonisten, die 1607 James­town im Stammesgebiet der Powhatan gründeten. Hier brach 1608 der erste englisch-indianische Krieg aus, dem 1637 der Pequot-Krieg folgte. Bereits während dieser Auseinandersetzung kam es zum ersten großen Massaker. Dabei töteten die Briten unter Captain John Mason um die 700 Mitglieder des Stammes der Pequot. 

Allerdings wurden die Indianer anfangs weniger mit Waffengewalt als durch aus Europa eingeschleppte Infektionskrankheiten wie Pocken, Masern, Keuchhusten, Diphtherie, Grippe, Typhus, Cholera, Scharlach und Syphilis dezimiert. Das illustriert eindrucksvoll, welche medizinischen Gefahren alleine schon von größeren transkontinentalen Menschenströmen ausgehen. Erreger, an die sich eine Population im Laufe vieler Jahrhunderte mehr oder weniger angepasst hat, vermögen nicht resistente Völker in anderen Regionen der Erde innerhalb kürzester Zeit auszulöschen. Wie viele Ureinwohner Nordamerikas hierdurch starben, kann nur geschätzt werden. Experten wie Alfred W. Crosby von der University of Texas in Austin gehen davon aus, dass 75 bis 90 Prozent der Indianer den fremdartigen Viren oder Bakterien erlagen. Wenn die Zahl der indigenen Menschen im Gebiet der heutigen USA und Kanadas um 1500 tatsächlich – wie vielfach vermutet – bei bis zu 20 Millionen gelegen hat, ergäbe das eine erschreckend hohe Zahl von Toten. Auf jeden Fall wäre die Eroberung Nordamerikas durch die Weißen ohne die Epidemien für diese wohl kaum so einfach gewesen.

Die krankheitsbedingte dramatische Verminderung der Zahl der Indianer reichte indes nicht aus, um Konflikte mit den Neuankömmlingen zu vermeiden – zu groß war der Landhunger der Siedler und deren permanenter Drang, immer weiter nach Westen vorzustoßen. Denn es wurden ja auch ständig mehr, die Platz und ein Auskommen suchten. Von 1620 bis 1770 wuchs die Zahl der Weißen in Nordamerika von 2000 auf 2,2 Millionen und 1900 waren es bereits 67 Millionen.

Um den verbliebenen Indianern ihr Land zu rauben, gab es drei Wege. Zuerst schloss man Verträge ab, die dann aber nicht eingehalten wurden. Allein die US-Regierung brach 370 formelle Übereinkünfte mit den Ureinwohnern des Landes. 

Später begann die Verdrängung der Indianer in Reservate. „Wir werden gezwungen sein, sie wie Tiere aus den Wäldern in die Felsengebirge zu treiben“, orakelte der dritte US-Präsident und Hauptverfasser der Unabhängigkeitserklärung, Thomas Jefferson, schon 1803. Den Startschuss hierzu gab der Indian Removal Act, ein Gesetz aus dem Jahre 1830, mit dem der Kongress in Washington die Vertreibung aller Indianer aus den Gebieten östlich des Mississippi legalisierte. Dabei wurden Stämme wie die Cherokee zu regelrechten Todesmärschen gezwungen, bei denen Tausende umkamen. In ihrer neuen, vom Staat zugewiesenen „Heimat“ angekommen, konnten die Indianer sich nicht mehr frei bewegen und nur noch unzureichend ernähren.

Schließlich führten das US-Militär und Milizen unzählige Vernichtungskriege gegen die Indianer, die explizit deren Ausrottung dienen sollten. Diese Methode hatte in Nordamerika Tradition, ging sie doch bis in das Jahr 1694 zurück, als ein Gericht in Massachusetts erstmals Belohnungen für jede getötete „Rothaut“ aussetzte. Später feuerten dann Schreibtischtäter wie der Verleger William N. Byers die Mörderbanden an. Am 4. April 1863 schrieb er in seinen „Rocky Mountain News“, der größten Tageszeitung Colorados, „der einzige Weg“, mit Indianern umzugehen, bestehe darin, „einen Vernichtungskrieg gegen sie zu führen“.

Und so kam es nicht nur zu Kampfhandlungen gegen ungleich schlechter bewaffnete Krieger unter Einsatz von Artillerie und Schnellfeuerwaffen, sondern auch zu zahlreichen Massakern an der Zivilbevölkerung. Besondere Bekanntheit erlangten dabei Massenmorde wie der von Sand Creek am 29. November 1864. Damals töteten Angehörige zweier Kavallerieregimenter unter Colonel John M. Chivington 133 Cheyenne und Arapaho, darunter 105 Frauen und Kinder. Anschließend paradierten die Täter durch Denver und zeigten stolz ihre Trophäen aus dem Massaker: abgeschnittene Geschlechtsteile, Ohren und Haarschöpfe samt Kopfhaut. 

Durch die Eliminierung vieler Indianerstämme gelang es den USA, ihr Territorium bis zur Küste des Pazifik auszudehnen. Die vorgebliche Berechtigung hierzu ergab sich aus der 1845 formulierten Doktrin der „Manifest Destiny“, der zufolge  der weiße Amerikaner die „offensichtliche Bestimmung“ hat, über den ganzen nordamerikanischen Kontinent zu herrschen. 

Zum Ende des 19. Jahrhunderts, als schließlich die Indianerkriege offiziell für beendet erklärt wurden, lebten von den einstmals Millionen Ureinwohnern auf dem Gebiet der USA gerade noch 267000. Aber auch diese klägliche Restpopulation sollte nach dem Willen der US-Behörden verschwinden. Dabei setzten sie nun vor allem auf das Mittel der Zwangsassimilation. So wurden zahlreiche Indianerkinder gewaltsam aus ihren Familien herausgerissen und in Internatsschulen erzogen, um sie ihrer Kultur und ihrem Volk zu entfremden. Das zeitigte allerdings nur begrenzte Erfolge.

Am 2. Juni 1924 erhielten die Indianer dann pro forma die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, blieben aber trotzdem noch jahrzehntelang Menschen zweiter Klasse. In Reaktion hierauf wurde am 28. Juli 1968 das American Indian Movement (AIM, Amerikanische Indianerbewegung) gegründet. Seitdem kämpfen die Indianer in den USA zunehmend erfolgreicher um ihre Rechte und konfrontieren deren Gesellschaft mit dem früheren Genozid an ihnen.