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20.07.18 / Es lebe das »Geheime Deutschland«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-18 vom 20. Juli 2018

Es lebe das »Geheime Deutschland«
Harald Tews

Gerät Stefan George in Vergessenheit? Der 150. Geburtstag des Dichters am 12. Juli hätte den Verlagen genügend Anlass gegeben, sich mit dessen Leben und Werk auseinanderzusetzen. Viel herausgekommen ist dabei nicht gerade.

Immerhin ist im Theiss-Verlag von Jürgen Egyptien, einem früheren Vorstandsmitglied der Stefan-George-Gesellschaft, mit „Stefan George. Dichter und Prophet“ eine neue Biografie über den Lyriker erschienen – die doch nur wieder bekannte Tatsachen auflistet: Hang zur Esoterik, Nitzscheaner, Ästhetizismus, Homoerotik, Zentrum eines elitären Mannerbunds, Sektenheiliger im Priestergewand sowie anderen Klatsch und Tratsch (man lese darüber in der PAZ vom 30. November 2013).

Der Mensch George, der über seine Jünger wie den Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg sowie die aus seiner Reformbewegung hervorgegangene Odenwaldschule noch lange Zeit nachwirkte, scheint interessanter zu sein als der Dichter George. Abgesehen von einer bei Klett-Cotta erschienenen 18-bändigen Ausgabe sämtlicher Werke für 329 Euro ist von einer neuen handlichen wie auch preisgünstigen Werkausgabe weit und breit nichts zu sehen.

Das mag natürlich an der Lyrikverdrossenheit heutiger Leser liegen oder auch daran, dass die literaturwissenschaftliche Rezeption lieber den zwei dichtenden George-Zeitgenossen Rilke und Hofmannsthal den Vorzug gibt. Die beiden stehen schließlich nicht im Verdacht, Wegbreiter des Nationalsozialismus gewesen zu sein, mit dem George wegen seines dunklen konservativen Tons und des um ihn gepflegten Führerkults immer wieder in Verbindung gebracht wird. Dabei starb er selbst im Jahr der „Machtergreifung“ 1933 und distanzierte sich früh von jeglicher politischen Instrumentalisierung.

Der C.H.- Beck-Verlag gibt den Lesern nun Gelegenheit, sich selbst anhand einer preiswerten Ausgabe ein Bild vom Dichter George zu machen. Der Auswahlband „Geheimes Deutschland“ wählt dabei nicht nur eines der bekanntesten George-Gedichte als Titel, sondern setzt damit geradezu provokativ ein schon 1910 entstandenes Postulat des George-Kreises in den Mittelpunkt, das die Herankunft eines „neues Reiches“ aus alten, mythischen Werten beschwört. Doch erst 1928 veröffentlichte George sein gleichnamiges Gedicht, das – in George-typischer Kleinschreibung – die prophetische Strophe enthält: „Dann aus der friedfertigen ordnung bezirk / Brach aus den fosfor-wolken der nacht / Wie rauchende erden im untergang / Volltoniges brausen des schlachtengetobs / Es stürmten durch dust und bröcklig geröll / Die silberhufigen rosse.“

Dass es sich dabei weniger um die Ahnung des kommenden als um eine Reminiszenz des früheren Krieges handelt, ist den umfangreichen Erläuterungen zu den etwa 100 Gedichten zu entnehmen. Der Germanist Helmuth Kiesel, von dem im Beck-Verlag erst vor einem Jahr eine monumentale „Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1918 bis 1933“ erschienen ist (PAZ vom 11. August 2017), hat Gedichte aus allen Schaffensperioden Georges ausgewählt, die sich in erster Linie – von „Aachen“ bis „Worms“ – mit deutschen Städten und deutschen Landschaften („Rhein I bis VI“) befassen. Nicht immer sind die mystisch verschlüsselten Gedichte mit der archaischen auf Kommata verzichtenden George-Orthografie auf Anhieb zu verstehen, zumal den früheren dichterischen Ergüssen auch noch ein alliterierender Wagner-Ton anhaftet („Es schmachtet leib und leib sich zu umfahen / Der Dichter auch der töne lockung lauscht“). 

In seinem glänzenden Nachwort bricht Kiesel eine Lanze für den ungelesenen Dichter George und erinnert daran, dass der Legende nach der George-Adept Graf Stauffenberg kurz vor seiner Hinrichtung vor genau 74 Jahren am 20. Juli 1944 seinen Meister zitierend ausgerufen haben soll: „Es lebe das Geheime Deutschland.“

Jürgen Egyptien: „Stefan George. Dichter und Prophet“, Theiss Verlag, Darmstadt 2018, gebunden, 504 Seiten, 29,95 Euro

Stefan George: „Geheimes Deutschland. Gedichte“, Auswahl, Kommentar und Nachwort von Helmuth Kiesel, C.H. Beck Verlag, München 2018, broschiert, 161 Seiten, 18 Euro