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27.07.18 / »Absolutes Sorgenkind« / Der zweite Platz bei der WM kann die vielfältigen Probleme Kroatiens nur kurzfristig überdecken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-18 vom 27. Juli 2018

»Absolutes Sorgenkind«
Der zweite Platz bei der WM kann die vielfältigen Probleme Kroatiens nur kurzfristig überdecken
Peter Entinger

Einst galt Kroatien als Hoffnungsträger. Doch die Probleme sind mittlerweile groß. In die Freude über das gute Abschneiden der Nationalmannschaft bei der Fußball-WM mischen sich ausländische Medienberichte, die vor einem angeblichen Nationalismus-Problem warnen.

Dass es in Frankreich, dem Land des Weltmeisters, in der Nacht nach dem Finale schwere Krawalle vor allem durch jugendliche Maghrebiner gegeben hat, war vielen deutschen Medien kaum eine Notiz wert. Der begeisternde und weitgehend friedliche Empfang der kroatischen Mannschaft in Zagreb bestimmte dagegen die Berichterstattung über die Nachwehen des Fußball-Spektakels. „Über Rechtsaußen ins Finale“, schrieb die „Rheinische Post“ beispielsweise, und das Nachrichtenmagazin „Focus“ berichtete auf seinem Online-Portal von nationalistischen Exzessen und kriegsverherrlichenden Rufen auf den Straßen des Landes. „Marko Perkovic, Frontsänger der Rechtsrock-Gruppe Thompson, steht mit auf dem Lastwagen, als hätte er selbst in Russland Tore geschossen. Ivan Rakitic, einer der Mittelfeldstars der Auswahl von Zlatko Dalic, veröffentlicht später ein gemeinsames Foto auf seinem Instagram-Profil“, schreibt die Tageszeitung „Die Welt“ und berichtet davon, dass der Barcelona-Star den Sänger als „König“ tituliert habe. Abwehrspieler Josip Simunic habe zudem Richtung Haupttribüne gebrüllt: „Za Dom!“ (für die Heimat“). Dies sei ein Wahlspruch und Gruß der Ustascha, eines 1929 gegründeten Geheimbundes, der sich zu einer faschistischen Bewegung entwickelte.

Außer Frage steht, dass Kroatien eine wechselvolle Vergangenheit mit vielen Brüchen hat. Die politischen Verhältnisse sind nach wie vor nicht stabil. 

Das Land ist erst 2013 der Europäischen Union beigetreten und damit deren jüngstes Mitglied. Die Wirtschaft kommt aus einem tiefen Tal und erholt sich erst seit 2016 kräftig. Zagreb würde gerne der Eurozone und dem Schengenraum beitreten, die EU-Mehrheit ist aber bislang dagegen. Eine Europa-Begeisterung, wie anderswo im ehemaligen Ostblock direkt nach dem Beitritt, blieb in Kroatien aus. Als sich das Land 1991 vom Vielvölkerstaat Jugoslawien verabschiedete und selbstständig wurde, war die Aufbruchstimmung groß. Doch diese ist längst verflogen. Ausufernde Bürokratie und Korruption haben sich über alle Bereiche von Staat und Gesellschaft gelegt. Das Pro-Kopf-Jahreseinkommen liegt gerade einmal bei umgerechnet 13000 US-Dollar.

Eine Massenabwanderung soll die Folge gewesen sein. Hunderttausende sollen nach Darstellung heimischer Demografen ihre Heimat vorübergehend oder für immer verlassen haben. Etwa zehn Prozent der einstmals 4,4 Millionen Einwohner sollen das Weite gesucht haben. Jeden Tag leben 41 Kroaten weniger in dem Land, berichtet der „Spiegel“ unter Berufung auf kroatische Experten. Gerade junge, gut ausgebildete Kroaten versuchen ihr Glück in den westlichen EU-Ländern. Fachkräfte aller Art sollen mittlerweile das Land verlassen haben. Nach einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur zeichnet sich in mehreren Landesteilen ein Pflegenotstand ab. Der Tourismus, mit 17 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig, suche in der Hauptsaison händeringend nach Kellnern, Köchen und Putzkräften. 

Gemäß den meisten Wirtschaftsstatistiken haben die vor der „Wende“ gleichfalls sozialistisch regierten EU-Partner in Mittel- und Osteuropa das einst wesentlich wohlhabendere Kroatien längst überflügelt. Selbst Rumänien kann mittlerweile ein höheres Sozialprodukt vorweisen als der auf den vorletzten EU-Platz abgerutschte Adriastaat. 

Der WM-Erfolg überdeckt diese Probleme zeitweise. Die Präsidentin lebt es vor. Auf ihrer Facebook-Seite ging es wochenlang ausschließlich um Fußball. In fast jedem Bild und Video war Kroatiens Staatsoberhaupt Kolinda Grabar-Kitarovic in einem Trikot der Nationalmannschaft zu sehen. Geschickt setzte sie sich als moderne Konservative ins Bild, Kritiker sagen allerdings, dass sie innenpolitisch nichts erreicht habe.

Die Verhältnisse sind schwierig. Nach der Jahrtausendwende steuerte der langjährige Premier Ivo Sanader von der Partei „Hrvatska demokratska zajednica“ (HDZ, Kroatische Demokratische Union), die heute zur christdemokratischen Europäischen Volkspartei gehört, das Land entschlossen in Richtung EU. Er gab dem Land eine gewisse innenpolitische Stabilität. Unzählige Korruptionsskandale ließen ihn jedoch 2009 straucheln. Am Ende seiner Amtszeit musste er sogar eine Haftstrafe antreten. 

Sein Nachfolger machte es nicht besser. „Unglücklich und schlecht vorbereitet stolperte der Neuling unter dem sozialdemokratischen Premier Zoran Milanovic in das neue Zeitalter“, beschreibt die Deutsche Welle den kroatischen EU-Beitritt. 

Seit 2016 stellt die HDZ nun wieder den Regierungschef. Den direkt vom Volk gewählten Staatschef stellt sie bereits seit 2015. Ungeachtet des gleichen Parteibuchs gilt das Verhältnis zwischen Staatspräsidentin Grabar-Kitarovic und Premier Andrej Plenkovic als gestört. Sie wird dem rechten Parteiflügel zugerechnet, während er als viel liberaler nicht nur als sie, sondern auch als der durchschnittliche HDZ-Wähler gilt. In Brüssel stöhnen EU-Funktionäre über das uneinheitliche Auftreten kroatischer Politiker. Die Rede ist von einem „absoluten Sorgenkind“.

So bleibt den Kroaten am Ende nur die Hoffnung, dass der Fußball etwas von seiner Euphorie auf das Land überträgt. „Die Fußballer haben uns allen gezeigt, dass man nicht jammern und aufgeben soll“, erklärte die Politologin Ljubica Vidovic-Vranic gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. „Es ist für mich schwer, doch ich weiß, ich kann und will das!“, müsse der Leitspruch lauten.