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27.07.18 / Die Frau, die Marat in der Badewanne erstach / Charlotte Corday: Vor 250 Jahren kam die französische Adlige und Urenkelin des Dramatikers Pierre Corneille zur Welt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-18 vom 27. Juli 2018

Die Frau, die Marat in der Badewanne erstach
Charlotte Corday: Vor 250 Jahren kam die französische Adlige und Urenkelin des Dramatikers Pierre Corneille zur Welt
Erik Lommatzsch

Alt wurde Charlotte Corday nicht. In der Blüte ihrer Jahre starb sie unter dem Fallbeil. Damit zahlte sie den Preis für ihr Attentat auf Jean-Paul Marat, das zumindest insofern erfolgreich war, als es ihrem Opfer das Leben kostete.

Das unappetitlich-lästige Hautleiden, das den Arzt, Naturwissenschaftler, Publizisten und vor allem Propagandisten der Französischen Revolution Jean-Paul Marat am 13. Juli 1793 wie schon so oft in sein mit Kräuteressenzen versetztes Bad gezwungen hatte, sollte am Abend dieses Tages für ihn kein wirkliches Problem mehr darstellen. Von abschließender Bedeutung für das Leben Marats war der Besuch einer allen Quellen zufolge sehr ansehnlichen Dame von Mitte 20, die sich energisch um Zutritt zur Pariser Wohnung des Herausgebers der Zeitung „L’Ami du Peuple“ (Der Volksfreund) bemüht hatte. Vorgelassen worden war sie schließlich auf dessen eigenen Wunsch, hatte sie doch angekündigt, ihm eine Liste mit „Verrätern“ beziehungsweise Informationen über einen geplanten Aufstand gegen die Revolutionsregierung zu übergeben. 

Marat war einer der radikalsten Köpfe der sogenannten Bergpartei, Sprachrohr der Sansculotten und für eine Periode Präsident des Klubs der Jakobiner. Immer empfänglich für derartige Hinweise, hatte er in den zurückliegenden Monaten oft das Blut seiner Gegner gefordert, nicht nur der Royalisten, sondern auch das der gemäßigten Vertreter der Französischen Revolution, der Girondisten. 

Letzteren fühlte sich seine Besucherin nahe, die neben der – vorgeblichen – Denunziationsliste vor allem ein Küchenmesser mitführte, mit dem sie Marat erstach. Weniger ein Racheakt sollte es sein, vielmehr eine politische Tat, ein Fanal, um den – zu dieser Zeit erst in seiner ganzen Dimension einsetzenden – Terreur, die Terrorherrschaft zu beenden.

Bei Marats Besucherin handelte es sich um die aus der Normandie stammende Marie Anne Charlotte Corday d’Armont. Unter ihrem bürgerlichen Namen Charlotte Corday sollte sie mit ihrer Tat in die Geschichte eingehen. Geboren wurde sie am 27. Juli 1768. Pierre Corneille, einer der bedeutendsten Theaterautoren seiner Epoche, war ihr Urgroßvater. Gemessen an ihrem adeligen Stand, wuchs sie in bescheidenen Verhältnissen auf. Ihre Erziehung erfolgte in einem Kloster in Caen. Die wissbegierige Heranwachsende vertiefte sich unter anderem in die Werke von Jean-Jacques Rousseau und die biografischen Arbeiten des Plutarch. Durch derartige Lektüre soll sich ihr „republikanisches Denken“ geformt haben. Entsprechend sympathisierte sie mit den ursprünglichen Ideen der Französischen Revolution. 

Marats Name war nicht nur mit den sogenannten Septembermassakern des Jahres 1792 verbunden, bei denen inhaftierte Gegner der Revolution ermordet wurden. Vor allem in seinen Schriften, aber auch als Abgeordneter im Nationalkonvent und als Präsident des Jakobinerklubs verlangte er die physische Vernichtung derjenigen, die seines Erachtens seiner radikalen Linie im Weg standen. Gerichtsverfahren waren ihm lästiges Hindernis. Er selbst verstand sich als Anwalt des Volkes, dem er jedoch misstraute. 

Die rege demagogische Tätigkeit Marats war es wohl vor allem, die ihn für Corday zum personifizierten Hauptübel der sich radikalisierenden Revolution werden ließ. Sein Tod, so ihre Annahme, würde diesbezüglich einen Schlussstrich bedeuten. Sein Wort fand tatsächlich Gehör, er verfügte über beträchtlichen Einfluss. Dennoch überschätzte Corday die Bedeutung Marats. Dass sie ihre Tat mit dem Leben bezahlen würde, stand für sie außer Frage. Öffentlichkeitswirksam hätte sie ihn lieber im Nationalkonvent erstochen. Diesen Plan musste sie allerdings aufgegeben, da er dort krankheitsbedingt nicht zugegen war. Vermutet wird im Übrigen auch, dass die biblische Gestalt der Judith, die ihr Volk rettet, indem sie den Feldherrn Holofernes enthauptet, ihr zum Vorbild diente.

Nach der Tat wurde sie überwältigt. Bei sich trug sie ein Manifest, eine „Adresse an die französischen Freunde von Gesetzen und Frieden“ (Adresse aux Français amis des lois et de la paix), einen Aufruf zum Aufstand gegen die Bergpartei. Dass der „außerordentliche Kriminalgerichtshof“, der später als „Revolutionstribunal“ bekannt wurde, sie am 17. Juli 1793 zum Tode auf der Guillotine verurteilte, war weniger überraschend, als dass der Ankläger Quentin Fouquier-Tinville und der Richter Jacques Bernard Marie Montané das weitreichende politische Motiv des Anschlags nahezu völlig ausklammerten. Lediglich Meuchelmord an einem Abgeordneten des Konvents wurde ihr zur Last gelegt. Verschwiegen wurden das Manifest und Aussagen Cordays zu ihren Beweggründen, die sie in den der Hauptverhandlung vorangegangenen Verhören getätigt hatte.

Das Urteil wurde noch am Tag der Verhandlung vollstreckt. Die nach außen getragenen Sympathien der Pariser waren auf der Seite des erstochenen Marat. Der Henker soll sogar noch den abgeschlagenen Kopf der Corday geohrfeigt haben. 

Unmittelbar erreicht hatte sie zunächst das Gegenteil ihres Vorhabens. Marat wurde, vor dem Hintergrund des immer weiter ausgreifenden Terreur, zum Märtyrer. Er erfuhr kultische, die Grenzen zum Religiösen klar überschreitende Verehrung. Seine Büste wurde mehrfach an die Stelle der von den Revolutionären entfernten Heiligenstatuen gestellt, kurzzeitig war er im Pariser Panthéon beigesetzt. Bekannt und bis heute in Schulbüchern verbreitet ist das Gemälde „Der Tod des Marat“ von Jacques-Louis David aus dem Todesjahr Marats und das Drama „Marat/Sade“ von Peter Weiss. 

Die Verehrung und Verklärung der Charlotte Corday sollte erst später einsetzen. Eine Vielzahl von literarischen Arbeiten ist ihr gewidmet, in Form einer Oper wurde ihre Geschichte nicht nur einmal verarbeitet. Nicht weit war der Vergleich mit der französischen Nationalheldin, ja Nationalheiligen Jeanne d’Arc. Auch wurde der folgende Gegensatz präsentiert: Auf der einen Seite eine gebildete, gutaussehende, junge Adelige, die den Terreur beenden will und dafür ihr Leben opfert; auf der anderen ein blutdürstender Fanatiker, gerade mal 1,50 Meter groß, bewusst ungepflegt und zudem skrofulös entstellt. 

Dabei gab es durchaus auch ein Verbindendes zwischen Täterin und Tatopfer: Nicht nur Corday, sondern auch Marat war durch die Schriften Rousseaus beeinflusst. Im abstrahierenden Abstand konstatieren heutige Historiker, dass beiden die Grundidee innewohnte, mit Gewalt weitere Gewalt zu beenden. Nach eigener Lesart erstrebte Marat schließlich die „Befreiung“ des Volkes. 

Bei näherer Betrachtung halten sich die Parallelen allerdings in Grenzen. Die „Befreiung“ betrieb Marat mit unverhohlenem Eifer, der ihn direkt und indirekt zum Mörder Tausender werden ließ. Eben dem wollte Corday ein Ende setzen.