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27.07.18 / »Nie war er so wertvoll wie heute« / Maria Clementine Martin erfand »Klosterfrau Melissengeist« und sorgte für das Preußenwappen auf der Flasche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-18 vom 27. Juli 2018

»Nie war er so wertvoll wie heute«
Maria Clementine Martin erfand »Klosterfrau Melissengeist« und sorgte für das Preußenwappen auf der Flasche
Manuel Ruoff

Nie war er so wertvoll wie heute“ gehört zu den geflügelten Werbesprüchen wie „Aus Erfahrung gut“ oder „Nicht nur sauber, sondern rein“. Beworben wird damit der „Klosterfrau Melissengeist“. Dessen Alkoholgehalt ist mit 79 Prozent schon beachtlich, aber noch höher ist sein Bekanntheitsgrad. 94 Prozent aller Deutschen sollen ihn und das klassische Emblem mit den drei Nonnen unter dem gotischen Spitzbogen kennen. Zumindest noch zu Beginn unseres Jahrtausends soll der Geist in jeder dritten deutschen Hausapotheke seinen festen Platz gehabt haben.

Die Klosterfrau, von der im Produktnamen die Rede ist, ist Maria Clementine Martin. So lautete wenigstens der Name, den sie als Nonne und danach führte. Geboren wurde sie am 5. Mai 1775 im damals noch zu Österreich gehörenden Brüssel als Wilhelmine Martin. Ab dem Jahre 1783 ist die Tochter eines Offiziers und dessen Ehefrau in Jever aufgewachsen, wo der Vater Schlosshauptmann wurde. Mit 17 Jahren trat sie in das Annuntiatinnenkloster Sankt Anna in Coesfeld ein. 

Einem ruhigen klösterlichen Leben stand längerfristig die der Französischen Revolution folgende Säkularisation im Wege. Nach dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 wurde noch im selben Jahr Martins Kloster aufgelöst. Kurzfristig kam sie im Kloster Glane bei Gronau unter – bis dieses 1811 dasselbe Schicksal erlitt. Zwar zahlte die Nutznießerin jener Säkularisation, die Fürstin Friederike zu Salm, Rheingräfin zu Coesfeld, den vertriebenen Schwestern eine kleine Pension, aber Martin musste sich nun selber durchschlagen. Es zog sie über ihre Geburtsstadt nach Tirlemont in der Nähe von Waterloo. Als es dort 1815 zur Entscheidungsschlacht von Belle-

Alliance/Wa­terloo kam, erwarb sie sich als Krankenschwester auf humanitärem Gebiet Verdienste um die preußische Armee. Als Dank und Anerkennung erhielt sie dafür von Preußens König eine jährliche Leibrente von 160 Goldtalern, die ihr ökonomische Bewegungsfreiheit gewährte.

Obwohl nach Napoleons endgültiger Niederlage im Zuge der Restauration viele neue Klöster entstanden, entschied sich die geschäftstüchtige Frau für ein weltliches Leben. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Münster kam sie 1825 nach Köln, wo seit der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress die Preußen herrschten. Dort lebte sie nahe dem Dom im Haus Auf der Litsch 1, wo sie wohl den kranken 86-jährigen Domvikar Hermann Gumpertz pflegte, der dort wohnte. Noch im selben Jahr erschien in der „Kölnischen Zeitung“ folgende Anzeige: „Ein sich selbst empfehlend ächtes Kölnische Wasser, ist zu haben auf der Litsch Nro. 1, die große Flasche zu 6 Sgr. 3Pf.“ Im darauffolgenden Jahr ließ Martin das Unternehmen „Maria Clementine Martin Klosterfrau“ ins Handelsregister der Stadt eintragen. Sie variierte das Angebot und fand schließlich zum Melissengeist als Hauptprodukt. 

Doch die Konkurrenz war groß, und hier versuchte Martin ihre Beziehungen zum König auszuspielen. Ihr Versuch, vom Staat ein Monopol auf die Herstellung und den Vertrieb von Melissengeist und dessen Anerkennung als Arznei zu erhalten, scheiterte zwar schließlich Mitte der 1830er Jahre, aber dafür erhielt sie ein Privileg, das der Konkurrenz verwehrt blieb und ihr ein Alleinstellungsmerkmal bescherte. 1829 erreichte den preußischen König ein „allerunterthänigstes Gesuch der Klosterfrau Maria Clementine Martin, Köln am Rhein, um die Allerhöchste Erlaubniß, den Preußischen Adler auf ihren Fabrikaten führen zu dürfen“. Der Wunsch wurde ihr noch im selben Jahre gewährt. Ganz unbescheiden interpretierte Martin das Privileg in der Weise, dass sie gleich das gesamte sogenannte Mittlere Wappen verwendete. Die Konkurrenz beschwerte sich zwar, aber Martin kam damit durch. Noch heute ziert das Preußenwappen die „Kosterfrau Melissengeist“-Flaschen an prominenter Stelle.

Inwieweit es an dieser Auszeichnung des Königs lag, sei dahingestellt, jedenfalls wuchs und gedieh Martins Betrieb mit Niederlassungen in Bonn, Aachen und Berlin, sodass sie schließlich feststellen konnte: „Wollte ich eine Statistik meines Absatzes liefern –keine Stadt der zivilisierten Welt würde darin unvertreten sein.“

Vor 175 Jahren, am 9. August 1843, starb Maria Clementine Martin kinderlos. Zu ihrem Erben machte sie ihren Mitarbeiter und Ziehsohn Peter Gustav Schaeben, in dessen Familie die Firma über drei Generationen verblieb. 1933 ging das Unternehmen in Konkurs und den alleinigen Besitz des bisherigen Kommanditisten und Hauptgläubigers Wilhelm Doerenkamp über. Nach dessen Tod 1972 wechselte die Firma in das Eigentum der zu diesem Zwecke von ihm im schweizerischen Chur gegründeten Wilhelm Doerenkamp-Stiftung, die heute noch Inhaber ist.