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27.07.18 / Auf den Spuren deutscher Industriekultur / Europäisches Netzwerk verbindet Standorte: Sieben liegen in Polen – bis auf Lodsch befinden sich alle im einstigen Preußen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-18 vom 27. Juli 2018

Auf den Spuren deutscher Industriekultur
Europäisches Netzwerk verbindet Standorte: Sieben liegen in Polen – bis auf Lodsch befinden sich alle im einstigen Preußen
Chris W. Wagner

Auf der Europäischen Route der Industriekultur, kurz ERIH (European Route of Industrial Heritage), dem Netzwerk der wichtigsten Standorte des industriellen Erbes Europas, bilden mehrere Ankerpunkte die Hauptroute. Sieben solcher Ankerpunkte, die die industriegeschichtlich bedeutendsten und touristisch attraktivsten Standorte der Industriekultur markieren, wurden polenweit festgelegt. Der Großteil befindet sich in Schlesien.

So ist man in Tarnowitz [Tarnowskie Gory] auf die Silbermine Friedrich besonders stolz, in der vor 230 Jahren die erste Dampfmaschine Oberschlesiens und die insgesamt dritte Kontinentaleuropas eingesetzt wurde. Im vergangenen Jahr schaffte es das Tarnowitzer Technikensemble auf die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes. An die Industrierevolution erinnert auch das Tarnowitzer Dampfmaschinen-Freilichtmuseum. Den Hauptteil der Ausstellung machen dort Dampfloks aus, denn Tarnowitz zählte einst zu den größten Bahnknotenpunkten der Region. Besucher des Museums können eine Fahrt mit der Schmalspurbahn genießen.

Die Guido-Grube in Hindenburg [Zabrze] zählt ebenfalls zur ERIH, genau wie die Hindenburger Königin-Luise-Zeche, deren Errichtung 1791 als Beginn der Industrialisierung Oberschlesiens angesehen wird. Tagebauanlagen aus dem 19. Jahrhundert und Bergbautechnologie erwarten dort den Besucher genauso, wie eine 2000 PS starke Dampffördermaschine aus der Eisenhütte Prinz Rudolph im westfälischen Dülmen. Der Wilhelmine-Schacht dieser Zeche bietet Zugang zu einem anderthalb Kilometer langen unterirdischen Rundgang, der die Fördertechnik des späten 20. Jahrhunderts versinnbildlicht. 

Auf der ERIH liegen auch oberschlesische Brauereien. In Tichau [Tychy] knüpft man gern an die deutsche Braukunst an und stellt man auch wieder das „Tichauer“ her. In Tichau wurde 1629 der Braubetrieb aufgenommen, im habsburgischen Saybusch [Zywiec] hat man 1856 damit angefangen. Beide Orte haben Brauereimuseen eingerichtet. Die moderne Tichauer Brauerei entstand dank Herzog Hans Heinrich XI. von Hochberg und Prinz von Pless in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Allein der Standpunkt des Brauereimuseums in Tichau ist interessant, da er sich in der ehemaligen evangelischen Kirche befindet. Das Saybuscher Museum ist unterirdisch.

Im niederschlesischen Waldenburg [Walbrzych] wurde die 1770 gegründete Thorez-Grube (Julia) als Ankerpunkt der ERIH erkoren. Auf dem viereinhalb Hektar großen Areal entstand ein Wissens- und Kulturzentrum mit einem Café, Übernachtungs-, Ausstellungs- und Schulungsräumen sowie einer Bühne. 

Zu den sich außerhalb Schlesiens befindenden Ankerpunkten der ERIH zählen die ehemalige Textilfabrik von Izrael Poznanski in Lodsch [Lodz] und das Bromberger Exploseum. Das Exploseum befindet sich in den Wäldern um Bromberg [Bydgoszcz] in den Fabrikhallen der ehemaligen Dynamit Nobel Aktien-Gesellschaft (DAG). Dort wurde im Zweiten Weltkrieg Munition und Sprengstoff für die deutsche Wehrmacht produziert. Im „Exploseum“, das rund 30 Gebäude umfasst, dreht sich alles um die Herstellung von Sprengstoffen. Sieben der 30 Gebäude, die durch einen Tunnel verbunden sind, stehen für Besucher offen. 

Ein Großteil der Ausstellung wird der Geschichte des Geländes sowie der DAG und ihrem Gründer Alfred Nobel, dem Erfinder des Dynamits, gewidmet. In einer multimedialen Installation erfährt man beispielsweise, wie die Produktion von Nitroglycerin im Werk Bromberg ablief. Im größten Gebäude des Komplexes erwartet die Besucher eine Ausstellung zur Geschichte der Feuerwaffen vom einfachen Handrohr bis hin zu den Maschinengewehren des 20. Jahrhunderts. Zwei weitere Ausstellungen sind den dortigen Zwangsarbeitern sowie deren Sabotageaktionen gewidmet.

Ziel des ERIH-Projektes ist es, das Interesse für das gemeinsame europäische Erbe der Industrialisierung zu stärken, Regionen, Orte und Objekte der Industriegeschichte vorzustellen und im Freizeit- und Tourismusbereich als Ausflugs- und Reiseziel zu etablieren. Das ERIH-Netzwerk ist in den Jahren 2003 bis 2008 von elf Projektpartnern mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union aufgebaut worden. Um das Netzwerk nach Auslaufen der Projektförderung fortzuführen, wurde 2008 ein Verein nach deutschem Recht, der ERIH-European Route of Industrial Heritage e.V. gegründet. Mittlerweile ist die Mitgliederzahl von 17 Gründungsmitgliedern auf über 150 aus 17 Ländern Europas angewachsen.