In Berlin gibt es insgesamt 269 sogenannte Cold Cases, also Mordfälle, die auch nach Jahren noch nicht aufgeklärt werden konnten. Obwohl aufgrund der Nachrichten aus Berlin, wie kürzlich erst der Mordversuch an zwei Obdachlosen, die ein Unbekannter mit Benzin übergossen und angezündet hatte, der Eindruck entsteht, dass in Berlin besonders häufig Verbrechen verübt werden, ist laut Kriminalstatistik die Anzahl der Tötungsdelikte seit 2008 in etwa gleich geblieben. 2017 gab es laut dieser Statistik 40 Morde und Mordversuche, 2008 waren es 42. In den Jahren dazwischen schwankten die Zahlen leicht.
Selbst bei der Aufklärungsquote liegt Berlin im Bundesdurchschnitt. Die Aufklärungsquoten lagen in den vergangenen Jahren zwischen 80 und 97 Prozent, im letzten Jahr waren es 82 Prozent.
Der Grünen-Politiker Benedikt Lux, der im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt und innen- und rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist, hatte bereits mehrfach Anfragen bezüglich ungeklärter Morde an die Senatsinnenverwaltung gerichtet. Auf seine jüngste Anfrage antwortete diese, dass von 55 Fällen, bei denen die Spuren älterer ungeklärter Mordfälle neu untersucht und bewertet wurden, dies in sieben Fällen zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens führte. Mit Hilfe von DNA-Analysen konnten in zwei Fällen die Täter auch nach Jahren noch überführt und verurteilt werden. In vier Fällen läuft die Bearbeitung laut Senatsinnenverwaltung noch, in einem Fall musste das Verfahren mit einem Freispruch beendet werden, weil Restzweifel bestanden.
Unbefriedigend ist laut Lux, dass viele Tatverdächtige sich auf der Flucht befinden. 60 Verdächtige, die mit Haftbefehl im Zusammenhang mit Mordfällen gesucht werden, haben sich ins Ausland abgesetzt. In der Antwort der Senatsinnenverwaltung heißt es dazu: „Der überwiegende Teil der Gesuchten ist in seine Heimatländer geflüchtet, um sich erfolgreich einer Strafverfolgung zu entziehen.“ Diese seien neben der Türkei der Libanon, der Irak, Syrien, Russland, Vietnam, Thailand, die Nachfolgestaaten Jugoslawiens sowie mehrere afrikanische Staaten. Es sind allesamt Länder, mit denen keine Auslieferungsabkommen bestehen.
Ungeklärte Altfälle werden in Berlin seit 1968 statistisch erfasst. Allerdings bilden solche Statistiken nur einen Teil der Realität ab, da nicht alle Mordfälle und Totschlagdelikte Eingang in die Statistik finden. Dies offenbarte wiederum eine Anfrage der Grünen an die Senatsinnenverwaltung, bei deren Beantwortung diese angab, dass in den Jahren 2009 bis 2013 41 Tötungsdelikte nicht in die Kriminalstatistik der Polizei aufgenommen wurden, weil noch keine Anhaltspunkte für einen konkreten Tatbestand vorgelegen hätten. Als Beispiel wurden Fälle genannt, in denen die Leiche eines vermissten Menschen nicht gefunden wurde. Auch damals war es der Politiker Lux, der forderte, dass über solche Fälle zumindest berichtet werden müsse: „Die Menschen haben ein Recht auf Transparenz.“
Eine große Chance, alte Mordfälle doch noch zu lösen, bietet die DNA-Analyse, die sich seit den 1990er Jahren rasant entwickelt hat und mit deren Hilfe es möglich ist, anhand von Blutspuren, Haar- oder Textilfasern am Tatort einen Mörder auch nach Jahren noch zu überführen, wie bei den zwei gelösten Altfällen geschehen. Allerdings hat die Methode ihren Preis. Je Analyse können es 1000 Euro sein. Bei mehreren Spuren kommt da einiges zusammen. Zudem sind den Ermittlern bei der Verwendung der Proben enge juristische Grenzen gesetzt.
Auch in anderen Bundesländern gibt es Hunderte ungeklärter Mordfälle. In Niedersachsen sind es beispielsweise 300, in Nordrhein-Westfalen (NRW) über 900. Wie viele Tausende es bundesweit sind, ist unbekannt, da eine offizielle Statistik bislang fehlt. NRW plant den Aufbau einer Datenbank für ungeklärte Mordfälle.