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03.08.18 / »Furchtbarer Jurist« erliegt der »Menschenhatz« / Vor 40 Jahren sah sich Hans Filbinger zum Rücktritt als baden-württembergischer Ministerpräsident gezwungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-18 vom 03. August 2018

»Furchtbarer Jurist« erliegt der »Menschenhatz«
Vor 40 Jahren sah sich Hans Filbinger zum Rücktritt als baden-württembergischer Ministerpräsident gezwungen
Erik Lommatzsch

In „Folge einer Rufmordkampagne, die in dieser Form bisher in der Bundesrepublik Deutschland noch nie vorhanden war“, trete er als Ministerpräsident zurück. Dies erklärte Hans Filbinger am 7. August 1978 in Stuttgart. 

Zwar räumte er „taktische Fehler bei der Zurückweisung der ehrverletzenden Angriffe“ ein, ebenso hätte er sich „an bestimmte Vorfälle am Ende des Naziregimes besser erinnern müssen“. Seinen erzwungenen Rückzug, den nicht nur er als „Sturz“ betrachtete, empfand er nichtsdestoweniger bis an sein Lebensende als tiefe Ungerechtigkeit.

Der verregnete Sommertag, an dem der Ministerpräsident seine Ausführungen verlas, markiert das recht abrupte Ende einer relativ spät einsetzenden, aber sehr erfolgreichen politischen Karriere. Hans Filbinger, 1913 geboren, studierte Rechtswissenschaften. Der NSDAP sei er beigetreten, um seine Ausbildung abschließen zu können, wie er später erklärte. 1940 wurde er eingezogen. Nachweislich bemühte er sich 1943 um eine Verwendung bei der U-Boot-Waffe, wurde jedoch zur Marinejustiz kommandiert. Tätig war er unter anderem im besetzten Norwegen. Nach der Rückkehr wurde ihm im Rahmen der Entnazifizierung das Prädikat „entlastet“ zugestanden, allerdings nicht im ersten Anlauf. Der CDU trat er 1951 bei. 1960 wurde Filbinger Innenminister, 1966 schließlich Ministerpräsident von Baden-Württemberg. In seine Regierungszeit fallen maßgebliche Entscheidungen wie die große Gebiets- und Verwaltungsreform, die endgültige Abstimmung über den Bestand des Südweststaates sowie wesentliche Akzente in der Bildungs- und Umweltpolitik. Als Beitrag zu Letzterer verstand Filbinger seinen – nicht unumstrittenen – vehementen Einsatz für die Kernenergie. Als „Landesvater“ galt er als äußerst beliebt. Bei den Wahlen 1972 und 1976 konnte er absolute Mehrheiten erringen. Baden-Württemberg verzeichnete zu dieser Zeit die größte Industriedichte und die niedrigste Arbeitslosigkeit innerhalb der Bundesrepublik. Als möglicher Bundespräsident wurde er gehandelt.

Der Anfang vom Ende ist datierbar. In einer Veröffentlichung des Schriftstellers Rolf Hochhuth vom 17. Februar 1978 heißt es unter anderem, Filbinger sei in der NS-Zeit ein „furchtbarer Jurist“ gewesen. Zudem griff Hochhuth einen Fall auf, der bereits 1972 diskutiert worden war. Filbinger war nach Kriegsende auf Betreiben der Briten während der Internierung als Jurist im Amt verblieben. Dennoch wurde und wird, insbesondere im Zusammenhang mit einem Disziplinarurteil vom 29. Mai 1945, immer wieder – bar jeder Kenntnis der Zusammenhänge – behauptet, Filbinger habe „noch nach Kriegs­ende NS-Recht gesprochen“. 

Filbinger klagte gegen Hochhuth. Bald geriet die juristische Dimension zugunsten der öffentlichen und politischen Debatte in den Hintergrund. Die Gegenseite förderte nach und nach vier Todesurteile zu Tage, an denen der Marinejurist Filbinger zwischen 1943 und 1945 als Ankläger oder Richter beteiligt war. Beim einzigen vollsteckten Urteil war Filbingers Spielraum von Anfang an gering. Es handelte sich um ein wiederaufgenommenes Verfahren. Der als Gerichtsherr fungierende Admiral hatte das vorhergehende Urteil mit dem Verweis aufgehoben, dass auf Todesstrafe hätte erkannt werden müssen. Desertion, 14 Vorstrafen und schließlich die fälschliche Vorgabe, das Eiserne Kreuz II. Klasse erworben zu haben, wogen schwer. Zwei weitere Todesurteile fällte Filbinger in Abwesenheit der auf der Flucht befindlichen Beschuldigten. Einer davon war wegen Mordes angeklagt, er wurde 1953 wegen dieser Tat verurteilt. Das vierte Todesurteil – wegen „fortgesetzter Plünderung“ – wurde auf Betreiben Filbingers selbst in eine Zuchthausstrafe umgewandelt. Obwohl später medial vielfach anders suggeriert, standen in keinem dieser Fälle Personen vor Gericht, denen Opposition gegen das NS-Regime zur Last gelegt wurde.

Filbinger agierte bezüglich der Erwartungen der Öffentlichkeit ungeschickt. Nach Bekanntwerden des ersten Todesurteils hatte er zunächst weitere bestritten, musste diese aber später einräumen, mit der Begründung, er habe sich nicht erinnern können. Zudem veröffentlichte ein Journalist das Zitat: „Was damals rechtens war, das kann heute nicht Unrecht sein.“ Mit seiner Darstellung, diesen Satz nicht gesagt zu haben, oder Entlastendem – dem zum Tode verurteilten Pfarrer Karl-Heinz Möbius etwa hatte er das Leben gerettet – fand der Ministerpräsident wenig Gehör. Erwartet wurde, dass er bedauernde Worte für sein damaliges Handeln fände – womit er sich schwer tat. Seine eigene Partei, die ihn zunächst noch ihrer „kritischen Solidarität“ versichert hatte, drängte ihn schließlich zum Rück­tritt. 

Der Fall war tief. Trotz anderweitiger Zusicherungen verlor Filbinger innerhalb kürzester Zeit nahezu sämtliche anderen Positionen. Von einem angedachten Bundestagsmandat war schnell keine Rede mehr. Das Verhalten des Amtsnachfolgers Lothar Späth bezeichnete sogar Helmut Kohl als „degoutant“, sprich ekelerregend, widerlich, abstoßend. Späth habe Filbinger in die Tiefe gestoßen. Allerdings fand sich auch Kohl nicht bereit, im Bundestag rehabilitierende Worte für den Gestürzten zu finden.

Filbinger trat ab 1979 vor allem mit dem von ihm begründeten „Studienzentrum Weikersheim“ hervor sowie mit dem nur von mäßigem Erfolg gekrönten Drängen, Genugtuung für das ihm seiner Meinung nach widerfahrene Unrecht zu erlangen. Dabei ergriff er auch so manchen Strohhalm, etwa die Vermutung, die Staatssicherheit habe ihn betreffendes Material gefälscht – was nach heutigem Kenntnisstand nicht den Tatsachen entspricht. 

Allerdings finden sich auch prominente Stimmen zu seinen Gunsten. Golo Mann bezeichnete die gegen Filbinger geführte Kampagne als „Menschenhatz“. „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein meinte, das Problem sei nicht Filbingers Verhalten während des Krieges gewesen, sondern die Tatsache, dass er sich im Nachhinein als Widerstandskämpfer geriert habe, was er trotz Kontakten zu damaligen Oppositionellen in der Tat nicht gewesen ist.

Nach dem Tod Filbingers im April 2007, fast 29 Jahre nach dessen Rücktritt, war die Atmosphäre noch immer reichlich angespannt. Heftige Reaktionen erfuhr Ministerpräsident Günther Oettinger mit seiner Äußerung, Filbinger sei ein „Gegner des NS-Regimes“ gewesen. Dem Berliner Domkapitular Wolfgang Knauft wurde seitens des Erzbischofs ein Gedenkgottesdienst für den ehemaligen Ministerpräsidenten untersagt.