23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
03.08.18 / Eine schwere Kindheit in Allenstein / Der Zeitzeuge Otto Tuschinski schilderte polnischen und deutschen Schülern sein Schicksal

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-18 vom 03. August 2018

Eine schwere Kindheit in Allenstein
Der Zeitzeuge Otto Tuschinski schilderte polnischen und deutschen Schülern sein Schicksal
Dawid Kazanski

Lebendige Geschichte Ostpreußens aus dem Munde eines Zeitzeugen konnten Schüler des Oken-Gymnasiums in Offenburg und des 3. Lyzeums in Allenstein hören, als Otto Tuschinski, Vorstandsmitglied der Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit, vor ihnen auftrat.

Heute leben nur noch wenige Zeitzeugen, die lebendige Erinnerungen an das Ostpreußen der Kriegszeit haben. Umso wertvoller sind Begegnungen Jugendlicher mit solchen Personen, weil sie und ihre Schicksale als ein unentbehrliches und emotionales Bindeglied zwischen Vergangenheit und Gegenwart fungieren. Geschichte aus dem Munde eines Zeitzeugen zu erfahren, ist nicht nur ein einzigartiges Erlebnis, sondern ein einmaliger Geschichtsunterricht, der in keiner Schule in solch einem Format stattfindet und sogar durch die beste pädagogische Arbeit schwer ersetzbar ist. 

Das konnten die Schüler des Oken-Gymnasiums in Offenburg und des 3. Lyzeums in Allenstein erfahren, die während eines deutsch-polnischen Schüleraustausches mit Otto Tuschinski zusammentrafen. Tuschinski ist ein 84-jähriger, gebürtiger Allensteiner. Er ging auf den Vorschlag ein, den deutschen und polnischen Jugendlichen im Alter von 17 bis 18 Jahren aus seinem eigenen Blick-winkel von den Ereignissen in Allenstein aus der Kriegs- und Nachkriegszeit zu berichten sowie geschichtlich-gesellschaftliche Hintergründe des Alltagslebens in vergangenen Zeiten zu beleuchten.

Zunächst erläuterte der Zeitzeuge, was Ostpreußen ist und wie es dazu kam, dass diese Gebiete von Deutschland abgetrennt und zum Teil polnisch, litauisch oder russisch wurden. Dabei betonte er, dass Ostpreußen bereits vor 100 Jahren ein Sammelbecken von Menschen verschiedener Herkunft war, wobei die deutsche Bevölkerung die Mehrheit ausmachte. 

Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde Tuschinski mit sechs Jahren eingeschult. Er könne sich zum Beispiel sehr gut daran erinnern, dass zunächst die meisten Männer zum Militär eingezogen worden seien, oder dass es 1944 in Allensteiner Schulen auf einmal viele Mitschüler aus dem Memelland gegeben habe. In der Erinnerung des Zeitzeugen blieben auch deutliche Bilder von der Eroberung Allensteins durch die Rote Armee haften. Das Schrecklichste sei dabei gewesen, dass die Russen, obwohl sie die Stadt ohne jegliche Kämpfe eingenommen hatten, vieles verbrannten und zerstörten, weil sie angeblich einen Befehl aus Moskau bekommen hätten, laut dem sie in dem eroberten deutschen Gebiet 48 Stunden lang alles machen durften, was sie wollten. Erschießungen wehrloser Zivilisten, Vergewaltigungen von Frauen und zahlreiche gewaltreiche Taten, die Bestialität Soldaten offenbarten, seien keine Ausnahmen gewesen, und der junge Tuschinski habe diese Gräuel mit eigenen Augen gesehen. 

Im Mai 1945 wurde Allenstein von den polnischen Behörden übernommen. Wie Tuschinski unterstrich, brachen damals schwere Zeiten für die heimatverbliebenen Deutschen an. Am Anfang seien deutschstämmige Bewohner Allensteins registriert worden, wobei ihre Vor- und Nachnamen polonisiert wurden. Ein ernstes Problem sei es gewesen, dass Deutsche diskriminiert wurden. Man habe keine Möglichkeit gehabt, sich über die Plünderung seiner Wohnung durch Polen bei polnischen Behörden zu beschweren, weil man erstens kein Polnisch gekonnt habe, und einem zweitens bon den meisten Polen unterstellt wurde,  im Krieg noch Schlimmeres getan zu haben. Auf der Straße habe man kein Deutsch sprechen dürfen, sodass diejenigen Deutschen, die sich gezwungenermaßen auf Polnisch umgestellt hätten, die deutsche Sprache langsam vergessen hätten. Viele hätten ihre deutsche Abstammung verheimlicht. 

Dank des Vortrags von Tuschinski konnten die Anwesenden mitbekommen, wie das Leben der Deutschen Minderheit in der Zeit nach der Wende 1989 aussah und wie es gegenwärtig gestaltet wird beziehungsweise mit welchen Problemen sich die Deutsche Minderheit als Institution heutzutage abmüht.   

Die interessierten Jugendlichen haben Tuschinski gespannt zugehört. Er enthüllte auch viele Details aus seinem Privat- und Berufsleben. Manchmal wollte der ein oder andere Zuhörer Genaueres wissen und fragte nach. So erfuhren die Schüler zum Beispiel, dass Tuschinski entgegen allen damaligen Konventionen eine polnische Frau heiratete, mit der er 60 Jahre lang eine glückliche Ehe führte. Außerdem erfuhr man, dass der gebürtige Allensteiner jahrelang als Boxlehrer und -trainer gearbeitet hatte. Er trug unter anderem dazu bei, dass der Allensteiner Sportverein Budowlani recht schnell in die zweite Liga aufstieg. Das Vorstandsmitglied der Allensteiner Gesellschaft Deutscher Minderheit wurde auch als Boxtrainer in Hindenburg erfolgreich. 

Auf die Frage nach seinem Selbstverständnis und ob er sich nach so vielen Jahren eher als Deutscher oder als Pole fühle, antwortete Tuschinski auf eine überraschende Weise. Er wisse es im Grunde genommen nicht könne  seine Zugehörigkeit wegen der Wendungen des Schicksals und der komplizierten Geschichte Ostpreußens nicht eindeutig einschätzen oder definieren. Was aber feststeht, ist, dass Tuschinski eine faszinierende Person ist, die mit ihrem Erzähltalent und ihrer Hingabe für eine wahrheitsgetreue Geschichtsvermittlung alle Anwesenden beeindruckte.