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10.08.18 / Ein Doppelpass für Südtiroler / Österreich will deutschsprachiger Bevölkerung in Italien Staatsbürgerschaft anbieten – Widerstand aus Rom

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-18 vom 10. August 2018

Ein Doppelpass für Südtiroler
Österreich will deutschsprachiger Bevölkerung in Italien Staatsbürgerschaft anbieten – Widerstand aus Rom
Reinhard Olt

Die Regierung in Wien plant, Südtirolern die österreichische Staatsbürgerschaft zu gewähren, sofern sie dies wünschen. Italiens Außenminister Enzo Moavero Milanesi hält das für einen „mehr als ein feindseligen Akt“.

Nachdem in Österreich ein Gesetzesentwurf für eine zweite Staatsbürgerschaft für Südtiroler „bis auf wenige textliche Präzisierungen“ bereits ausgearbeitet sein soll, pflegte René Pollitzer, Österreichs Botschafter in Rom, einen „freundschaftlichen Meinungsaustausch zum Thema Doppelpass für Südtiroler“ mit Milanesi. Dabei dürfte der Diplomat Italiens Außenminister mit der Wiederholung der von seiner Außenmi-

nisterin Karin Kneissl vorgegebenen Formel – welche auch die offizielle Position der türkis-blauen Wiener Regierung ist – beruhigt haben: Das „im europäischen 

Geiste“ angelegte Vorhaben solle „im permanenten Dialog mit Rom“ verwirklicht werden. 

Sollte es bei dieser Festlegung Wiens bleiben, nämlich Südtirolern die Staatsbürgerschaft „nur im Einvernehmen mit Italien“ zu erteilen, so liefe dies unweigerlich auf eine politische Selbstfesselung Österreichs hinaus. Rom lässt wohl kaum von seiner Verweigerungshaltung ab, welche seine Diplomatie in Formeln zu kleiden vermag. Denen zufolge soll Wien sozusagen als Störenfried der „gemeinsamen staatsbürgerschaftsrechtlichen EU-Verfahrensweise“ erscheinen. 

Seit der Annexion des südlichen Landesteils Tirols 1918 und der mittels des Friedensvertrags von Saint-Germain-en-Laye 1919 legitimierten Einverleibung dieser durch den 1915 vollzogenen Seitenwechsel erlangten Kriegsbeute gilt für Italien die vom einstigen Ministerpräsidenten Antonio Salandra geprägte Maxime vom „heiligen Eigennutz“ („sacro egoismo“). Wer auch immer vor und nach 1945 Italien regierte – stets betrachtete Rom entgegen vielen Verträgen und Bekundungen, wonach die mühsam erkämpfte Autonomie ein „Vorzeige-Modell“ sei und damit betreffende Fragen „im europäischen Geiste“ beantwortet würden, Südtirol als inneritalienische Angelegenheit. 

Die derzeitige aus Lega Nord (LN) und Movimento 5 Stelle (M5S, Fünf-Sterne-Bewegung) gebildete Regierung dürfte das kaum anders sehen. Umso mehr als sich deren „starke Männer“, Innenminister Matteo Salvini (LN) sowie Arbeits- und Sozialminister Luigi Di Maio (M5S), nicht klar zur Causa äußern, hat das Wort des Staatspräsidenten Gewicht. Sergio Mattarella nannte das österreichische Vorhaben unverblümt eine „ohne Bedacht gefasste Initiative“, welche das „Rad der Geschichte“ zurückzudrehen beabsichtige.

Natürlich weiß Mattarella, dass sein Land italienischstämmigen Bürgern anderer Staaten überall auf der Welt die Staatsbürgerschaft erteilt. Davon machten mehr als eine Million Menschen insbesondere in Süd- und Nordamerika Gebrauch. Italien hat eigens das 1975 getroffene Europaratsabkommen zur „Verringerung von Fällen mehrfacher Staatsangehörigkeit“ aufgekündigt und per Gesetz nicht nur sein von 1912 stammendes Staatsbürgerschaftsgesetz entsprechend geändert, sondern auch den im slowenischen Küstenland sowie in Kroatien (Istrien, Fiume, Dalmatien) ansässigen ethnischen Italienern den Erwerb seiner Staatsbürgerschaft eröffnet. Davon machten 37000 Personen Gebrauch. 

Zudem hat Italien allen Auslandsitalienern auch das aktive und passive Wahlrecht sowie feste Parlamentssitze – zwölf Vertreter in der Abgeordnetenkammer, sechs im Senat – zugestanden. Kein anderes Land, um dessen primäre Staatsbürger es dabei ja ging, ist um sein Einverständnis ersucht worden.

Wien hingegen soll nicht Gleiches für die deutsch-österreichischen und ladinisch-österreichischen Südtiroler tun dürfen, deren Vorfahren Staatsbürger Österreichs waren? Soll gelten, worauf die italienische Haltung hindeutet, nämlich die altrömische Maxime „Quod licet Iovi non licet bovi“ („Was Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt“)? 

Mitnichten. Niemand kann Österreich untersagen, im eigenen nationalen Interesse zu handeln und kraft eigener Souveränität die rechtliche Grundlage für die im Regierungsübereinkommen von ÖVP und FPÖ vorgesehene Erteilung der österreichischen Staatsbürgerschaft zu schaffen, welche für „die Angehörigen der Volksgruppen deutscher und ladinischer Muttersprache in Südtirol, für die Österreich auf der Grundlage des Pariser Vertrages und der nachfolgenden späteren Praxis die Schutzfunktion ausübt“, gelten soll. 

Besagter Personenkreis bliebe, sofern von den 528379 Südtirolern (Wohnbevölkerung im ersten Quartal 2018 laut Landesstatistik-Institut) alle gemäß dieser Definition Anspruchsberechtigten den österreichischen Pass beantragten und annähmen, weit unter der Zahl der gut 1,2 Millionen Auslandsitaliener, denen Rom den italienischen Pass zuerkannte. 

Im Übrigen hätten, wenn Wien den Kreis der Anspruchsberechtigten nach Art Italiens festlegen wollte, auch die Trentiner – wie die Südtiroler zuvor Staatsbürger Österreich-Ungarns – ein Anrecht auf „Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft“. Die Trentiner Autonomis-tenpartei PATT mahnte bereits, Wien möge „die im Trentino lebenden Nachkommen ehemaliger Bürger der k.u.k. Monarchie nicht vergessen. Auch unsere Vorfahren waren Bürger von Österreich-Ungarn; auch unsere Großväter sind im Ersten Weltkrieg zu Tausenden in den Reihen des Heeres Kaiser Franz Josefs gestorben.“ 

Darüber hinaus wäre es folgerichtig, auch die Ladiner der Gemeinden Cortina d’Ampezzo, Colle Santa Lucia und Livinallongo del Col di Lana in den Kreis der Anspruchsberechtigten aufzunehmen, deren unbestreitbare Tiroler Geschichte in nichts von jener der Kommunen Südtirols abweicht – außer dass sie unter Mussolini gegen ihren Willen der Provinz Belluno zugeschlagen wurden. 

Würden letztgenannte Personenkreise Berücksichtigung finden, so wäre unter dem von Regierungsseite bekundeten Aspekt unbedingter Einvernahme mit  Italien das Vorhaben überfrachtet und wohl chancenlos. Angesichts all dessen fragt man sich, wieso niemand den Schneid besitzt, dem italienischen Gegenüber nicht nur dessen eigenes Verhalten in Staatsbürgerschaftsangelegenheiten vorzuhalten, sondern auch auf das alleinige Recht des souveränen Österreich hinweisend zu bestehen, seine Staatsbürgerschaft zu verleihen, wem immer es will. 

Wien hat es nicht nötig, in Rom zu antichambrieren. Außenministerin Kneissl sollte sich daher beim Wort nehmen und ihre zutreffende Sentenz, welche sie unlängst auf die Außen- und Energiepolitik der EU gemünzt verwandte, als österreichische Handlungsmaxime vorgeben: Es sei „hoch an der Zeit“ für „eine von eigenen Interessen geleitete Politik“, schrieb sie unlängst in der „Presse“. In der „Causa Staatsbürgerschaft für Südtiroler“ ist sie, wie die gesamte Bundesregierung, daran zu messen.