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10.08.18 / Jahrestagung der Historischen Kommission / Gebrauch und Funktion handschhriftlicher Überlieferungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-18 vom 10. August 2018

Jahrestagung der Historischen Kommission
Gebrauch und Funktion handschhriftlicher Überlieferungen
Udo Arnold

Die Jahrestagung fand in Zusammenarbeit mit der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz, gefördert durch die Copernicus-Vereinigung für Geschichte und Landeskunde Westpreußens, in der Staatsbibliothek statt. Dementsprechend begrüßten seitens der Staatsbibliothek deren Ständiger Vertreter der Generaldirektorin, Reinhard Altenhöner („keine Tagung ohne Grußworte“), der Kommissionsvorsitzende Professor Arno Mentzel-Reuters und der Vorsitzende der Copernicus-Vereinigung Privatdozent Sven Tode  die Teilnehmer. 

Sodann stellte der Leiter der Handschriftenabteilung, Professor Eef Overgaauw, den „Borussica-Bestand und seine Handschriften aus dem Preußenland“ vor. Der Bestand erwuchs aus der Königlichen Bibliothek und bildete ab 1830 einen eigenen Komplex mit damals bereits über 700, heute über 2000 Handschriften, von denen 20 bis 30 aus dem Mittelalter stammen. Allerdings kommen nur etwa 100 wirklich aus dem Preußenland. Die meisten wurden erst im 18. bis 20. Jahrhundert erworben, wobei im 19. Jahrhundert viele aus geistlichem Besitz als Säkularisationsergebnis hinzukamen. Sie sind nach inhaltlichen Kategorien geordnet: Chroniken, Sammelhandschriften als Abschriften, Recht, Kirchengeschichte (unter anderem mit Deutschordensbezügen), Heraldik, Numismatik und so weiter, Genealogie, Militär, Herrschaft in den Regionen. Ihre Erschließung steht zum Teil noch aus. Heute stellt die Abteilung „das  kulturelle Erbe eines untergegangenen Staates“ dar.

Professor Jürgen Sarnowsky  (Hamburg) widmete sich der „Überlieferung von Handschriften und Amtsbüchern im Preußenland des 15. und 16. Jahrhunderts“. Er stellte Buchproduktion innerhalb des Deutschen Ordens vor, meist rechtlich orientiert, sodann den Buchbesitz einzelner Ordensbrüder – zum Beispiel der Prokuratoren – als Kauf oder eigene Abschrift. Die Buchbestände auf einzelnen Ordensburgen waren theologischer, juristischer oder chronikalischer Natur, während die Kanzleien Amtsbücher den Besitz betreffend, Rechnungsbücher, Briefbücher führten. Einen wesentlichen Bestand machten auch die Bücher der Domkapitel und der Bischöfe und ihrer Kanzleien aus, vor allem für Rechts- und Privilegienfragen. Ähnliches galt für die Pfarrkirchen der großen Städte, manchmal aber auch in kleineren Städten oder sogar ländlichen Pfarren mit theologischen, kirchenrechtlichen, historischen, wissenschaftstheoretischen oder medizinischen Titeln. Es existierte ein Netzwerk von Ausleihen im geistlichen Raum, während dies im bürgerlichen Bereich schlechter überliefert ist, aber wohl ebenfalls existierte, nicht zuletzt bei den Kanzleien und Stadtschreibern. Dabei handelte es sich um pragmatische Sammlungen unter Gebrauchsgesichtspunkten: sogenannte Stadtbücher, Missivbücher (Danzig), Ratsprotokolle (Thorn), Schöffenbücher, jedoch keine Literatur. 

Begleitend wurde eine Kabinettsausstellung präsentiert mit einigen einschlägigen Titeln der Handschriftenabteilung mit unmittelbaren Bezügen auf folgende Vorträge (Löffler, Götz, 

M.-L. Heckmann, Holtmann).

Den öffentlichen Abendvortrag der Staatsbibliothek hielt Professor Marc Smith (Paris) über „Manuscript studies in the digital age. New tools and new questions“. Die Begeisterung über die digitalen Möglichkeiten zur Auswertung von Handschriften in aufregenden Zeiten technischen Wandels war spürbar, doch die Diskussion zeigte auch die Grenzen auf, zum Beispiel hinsichtlich der Wasserzeichen, der Pergament- oder Papierbeschaffenheit und nicht zuletzt des besonderen Anmutungscharakters, den ein Original stets besitzt.

Der zweite Tag wurde eröffnet durch die Ausstellung von Neuerscheinungen aus der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek, der Kommission und der Copernicus-Vereinigung.

Anette Löffler (Threna) stellte „Schreiber, Empfänger und Benutzer liturgischer Handschriften des Deutschen Ordens im Preußenland“ vor, anhand von Handschriften der Marienbibliothek Danzig (heute Biblioteka PAN Gdansk), der Diözesanbibliothek Pelplin und des Staatsarchivs Königsberg (heute Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin). Von den 23 Danziger Handschriften des 14. und 

15. Jahrhunderts, deren Empfänger bestimmte Altäre der Marienkirche als Benutzer waren, tragen drei einen Schreibervermerk, eine ist mit einer bekannten Person zu verbinden. Bei den vier Pelpliner Handschriften des 14. und 

15. Jahrhunderts dürften drei aus Kulm und eine vielleicht aus Thorn stammen. Ihre Benutzung reichte teilweise lange über die Ordenszeit hinaus mit Nachträgen und Besitzeinträgen bis ins 

17. Jahrhundert, eine enthält sogar einen Schreibervermerk, den Auftraggeber und ein Widmungsbild (L 5). Der Berliner Bestand bietet insofern Probleme, als es sich um Fragmente aus Makulierung handelt, ohne Schreibervermerk, ohne Empfängerhinweis, ohne Verwendungsnachweise, und nur wenige tragen preußische Spezifika – die Überlieferungsbasis ist einfach zu schmal.

Professor Piotr Olinski (Thorn) betrachtete „Eine Franziskanerhandschrift aus dem Ordensland Preußen. Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation“. Die früher in Königsberg bewahrte Handschrift entstand in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts als Sammelhandschrift, mit Ergänzungen des 15. Jahrhunderts. Sie ist zwar eindeutig franziskanischer Herkunft, doch Texte, Kalender und Nachträge lassen keine genaue Ortszuschreibung zu. Sie vertrüge sich mit der Konventsgeschichte von Wehlau, doch ist ihre Entstehung andernorts ebenso möglich. 

Johannes Götz (Berlin) verfolgte „Aus dem Heiligen Land nach Preußen. Die Redaktionsstufen der ‚preußischen’ Statutenhandschriften des Deutschen Ordens“, die jedoch nur etwa zehn Prozent der Gesamthandschriftenüberlieferung ausmachen. Insgesamt liegen heute 47 Handschriften vor, die Edition Perlbachs 1890 kannte nur 33. Ihre genaue Entstehungschronologie ist nach wie vor offen. Das 1190 gegründete Akkoner Hospital verfügte natürlich über Lebensvorschriften, die bei der Umwandlung in eine Ritterkorporation 1198 sich an den Vorschriften der Johanniter für den Hospitaldienst und der Templer für den Ritter orientieren sollten. Da 1236 das englische Thomasspital in Akkon die Deutschordensregel erhielt, muss also bereits etwa Eigenständiges existiert haben. Anhand der Überlieferung, die aufgrund der päpstlichen Erlaubnis von 1244 entstand, differenzieren die Statuten zwischen Regel, Gesetzen und Gewohnheiten; vielleicht lagen Gesetze und Gewohnheiten schon vor 1244 vor. Jedenfalls ist die Neubewertung der Handschriften und ihrer Abhängigkeitsverhältnisse, nicht zuletzt mit Blick auf die lateinische Prager Lobkowitz-Handschrift, dringend nötig.

Dieter Heckmann (Berlin) stellte „Das Kulmer Privilegienbuch (1431 bis 1456). Beschreibung zum Zweck der Erschließung“ vor. Den Kern bilden das Kulmer Recht 1233 und der Alte Kulm im Allgemeinen, hinzu tritt unter anderem eine Vielzahl von Privilegien. Angelegt wurde es durch den Stadtschreiber Konrad Bitschin, von seinem Nachfolger Schönsee fortgesetzt. Es spricht für die Intention Bitschins, eine regelgerechte Kommunalverwaltung in Kulm aufzubauen. Dieser Ordensfoliant 83 im Geheimen Staatsarchiv ist als auch Kopie zugänglich in der Bibliothek der Kommission in der Forschungsstelle Deutscher Orden der Universität Würzburg.

Im Abendvortrag der Staatsbibliothek sprach Rombert Stapel (Amsterdam) über „Die Jüngere Hochmeisterchronik und ihr Weg von Utrecht nach Preußen um 1500“. Die Chronik entstand in mehreren Phasen zirka 1480, zirka 1490, bis 1496. Das im Deutschordenszentralarchiv Wien als Hs. 392 erhaltene Autorenmanuskript stammt von Hendrik Gerardsz. van Vianen, im Auftrag des Utrechter Landkomturs Jan van Drongelen geschrieben. Die sehr zahlreichen allgemeinen Quellen und preußischen Grundlagen waren in den südlichen Niederlanden, im nördlichen Frankreich, aber auch durch den Fundus der Älteren Hochmeisterchronik und Archivalien preußischen Ursprungs vorhanden, wobei ein Quellenstrang wohl nach Marburg verweist. Zielgruppe der Chronik waren die Deutschordensbrüder sowohl der Ballei Utrecht als auch außerhalb der Ballei. Nachwirkungen sehen wir zum einen in Preußen, etwa durch Paul Pole und Johannes Freiberg in Königsberg um 1530, dann um 1550 durch Christoph Jan aus Weißenfels. Die erste Benutzung in Preußen erfolgte wahrscheinlich 1528 durch die Brüder Waiblingen, und Adrian von Waiblingen hatte sie wohl 1530 im Gepäck bei seinem Besuch in Mergentheim beim Deutschmeister, dessen Sekretär Gregor Spieß sie 1531 benutzte. Eine mögliche Benutzung in Livland bleibt spekulativ. 

Milosz Sosnowski (Posen) stellte „Two Warmian manuscripts in Uppsala and their Latin basis for Jeroschin’s metric Vita Adalberti“ vor, die er ausgehend von seinen Studien zu Brun von Querfurt und dessen Rezeption dort entdeckt hatte. Die Handschriften stammen aus Frauenburg und enthalten den Adalbert-Text übereinstimmend, entweder von einer gemeinsamen Vorlage oder voneinander abhängig – ein bedeutsamer Fund.

Krzysztof Kwiatkowski (Thorn) sprach über „Eine preußische Handschrift für einen polnischen Diplomaten. Die lateinische Übersetzung der mittelhochdeutschen Reimchronik Wigands von Marburg für Jan Dlugosz – die Frage nach inhaltlicher Adäquatheit, neu gestellt“. Anhand der Übersetzung Wigands durch Konrad Gesselen stellte er übersetzungstheoretische Überlegungen an. Es war ein Experiment anhand einer sehr schmalen Originalüberlieferung von Wigand, bei dem deswegen manche Fragen offen blieben.

Der Kurzbeitrag von Professor Slawomir Zonenberg (Bromberg) „Simon Grunau. Eine Neuedition und ihre handschriftlichen Grundlagen“ stellte bisherige Edition, erhaltene und verlorene Handschriften vor und forderte eine neue Edition.

Professor Marie-Luise Heck-mann (Potsdam) referierte über „Amtsbuch oder Chronik? Der Fall des Danziger Mühlschreibers Stenzel Bornbach“. Sie stellte die Person Bornbach vor und seine allgemeine preußische Chronik sowie die Chronik des Danziger Aufruhrs 1522 bis 1526 in den verschiedenen Überlieferungsformen und der Literatur, skizzierte den jeweiligen Inhalt und fragte nach dem Publikum und der Rezeption. Ihr Vortrag bildete den Auftakt eines Blocks zur Danziger Chronistik des 16. Jahrhunderts, ein aufgrund seiner Quantität der Überlieferung dankbares, aber auch „sumpfiges“ Feld.

Ansgar Holtmann (Berlin) untersuchte „Die Bornbachsche Abschrift im Kontext der bebilderten Chroniken des Danziger Kaufmanns Heinrich von Reden“. Er führte neben der Handschrift Redens (Berlin), die als Original anzusehen ist, die Abschrift Bornbachs (Gotha) an, eine ehemals Königsberger Handschrift in Thorn, die sogenannte Tettausche Handschrift der ehemaligen Wallenrodschen Bibliothek Königsberg (Thorn) und die Handschrift Johann Liebbrüders (Krakau); die verlorene Handschrift aus Celle verwendete er nur als Bildparallele. Allen gemeinsam ist die übereinstimmende Bebilderung, die mit dem Text unlösbar verbunden ist und durch Holtmann gemäß der  Forderung in meiner Dissertation 1967 nunmehr als Einheit in die Überlieferungsdiskussion eingeht. 

Julia Mozdzen (Thorn) sprach über „Autor, Kodex und Rezeption. Die Editio princeps der Danziger Chronik von Bernd Stegmann“. Nach Vorstellung des Autors, der Handschrift und des Inhalts der Chronik charakterisierte sie sie im Hinblick auf die Empfänger als Mittel zur Identitätsbildung. Die Chronik wurde von Bornbach rezipiert, eine weitere Rezeption erfolgte in Danzig mit ergänzten Quellenauszügen, durch Georg Melmann und Schlieff. 

Anstelle einer ursprünglich vorgesehenen ausführlichen Zusammenfassung – die hiermit vorgelegt wird – erinnerte ich aus Zeitgründen nur knapp an die aus heutiger Sicht fast abenteuerlichen Umstände, unter denen ich die Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek in (Ost-)Berlin vor 55 Jahren für meine Dissertation benutzte – jetzt lag die Handschrift Reden für alle sichtbar in der Kabinettausstellung aus.

Die Mitgliederversammlung gedachte des verstorbenen Hans-Jürgen Schuch. Ansonsten ergaben sich keine Änderungen des Mitgliederstandes. Der Vorsitzende erstattete den Arbeitsbericht und stellte neue Projekte vor, die normalen Regularien erfolgten problemlos. Die kommende Tagung soll in Danzig stattfinden.